Hintergrund : Rainer Seele sucht die Nähe: Der ominöse Deal der OMV

In einer Sonderprüfung wurden Ex-OMV-Chef Rainer Seele"Abweichungen von unternehmensinternen Vorgaben" attestiert
© OMV

Man kann es als Zeichen verstehen: Seine erste große Strategie-Erklärung als OMV-Chef gibt Rainer Seele nicht in Wien, sondern in London ab. Auf einer gut besuchten Analystenkonferenz präsentiert er jede Menge Schaubilder voller Pfeile und Zahlen. Der Auftritt des Topmanagers ist dynamisch, jeder Satz sitzt. Immer wieder schmückt Seele seinen Vortrag mit Slogans wie "Cash is king" oder "Jetzt eröffnet die OMV die Jagd auf Profite."

Die Bilanz des größten österreichischen Unternehmens wird hier den internationalen Geldgebern selbstverständlich komplett auf Englisch präsentiert. Nur ganz leise sind am Podium die einzigen deutschen Worte zu hören, wenn einige Mitglieder des geschlossen angereisten Vorstands kurz beraten, wer am besten die nächste Frage annimmt. Schließlich kommt nach mehr als fünf Stunden voller Präsentationen und Nachfragen tatsächlich keine Wortmeldung mehr. Und es erklingt ein mehr als erleichtertes "Na wunderboa."

Denn auch für die Vollprofis an der Spitze eines der größten Konzerne Europas ist dieser Termin kein Spaziergang. Seele muss in seiner ersten großen Bilanzkonferenz ein Umsatzminus von 37 Prozent und einen Betriebsverlust von zwei Milliarden Euro vorstellen. Mit dem dramatischen Ölpreisverfall ist der große Tanker OMV in echte Schieflage geraten.

Wie es sich für einen Manager seiner Liga gehört, liefert Seele die Strategie, mit der er dagegenhalten will, gleich mit: stärkere Orientierung an der Profitabilität. Und noch viel wichtiger: Eine starke Hinwendung nach Osten. Russland soll die neue Kernregion der OMV werden, die Gazprom der wichtigste Partner. Seele scheint zutiefst davon überzeugt zu sein, dass mit diesem Plan die Kehrtwende möglich ist. Eindringlich redet er auf die Zuhörer ein. Doch die Vertreter des Finanzkapitals bleiben skeptisch. "Sind Sie bei allen wachsenden geopolitischen Risiken wirklich sicher, dass Ihre Deals mit Russland klappen? Und wenn nicht – haben Sie einen Plan B?" fragt einer von ihnen. "Nein, wir haben keinen Plan B", sagt Seele. „Weil wir sicher sind, dass Plan A gelingt."

Ominöser Tausch

Was bisher über den ominösen Deal bekannt ist, hat es in sich: Gazprom hat den Österreichern Anteile an den Formationen Achimow 4 und 5 im westsibirischen Förderfeld Urengoy zugesagt. Das ist das drittgrößte Förderfeld Russlands. Wie groß die Rohstoffvorkommen tatsächlich sind, steht bis heute nicht fest. Doch offenbar geht es allein beim OMV-Anteil um mehr als 600 Millionen Barrel Ölaquivalent – eine enorme Menge.

Die OMV bekommt an Achimov einen Anteil von 24,98 Prozent. Ebenfalls an Bord ist Rainer Seeles ehemaliger Arbeitgeber Wintershall mit knapp über 25 Prozent. Die Hälfte der Anteile behält Gazprom für sich, die Rolle als Betriebsführer auch. Zudem muss die OMV den Rohstoff laut russischem Gesetz an Ort und Stelle an Gazprom verkaufen – zu Monopolpreisen, versteht sich.

Zudem kann Gazprom als Betriebsführer auch von der Technologie der Deutschen und Österreicher profitieren. Wie es Gazprom bei dieser Frage üblicherweise handhabt, ist in der Branche allgemein bekannt: Die leichten Felder beutet der Konzern selbst aus. Bei den besonders schweren werden Partner aus dem Ausland an Bord geholt. Tatsächlich liegen die Vorkommen in Urengoy in über 4.000 Meter Tiefe.

Der erhoffte Befreiungsschlag

Urengoy soll ein Befreiungsschlag für die OMV sein. Denn noch größer als die tiefen Ölpreise ist die Frage nach zukünftigen Reserven. Der Nachschub aus Rumänien nimmt ab, die Märkte in Libyen und dem Jemen sind ganz weggebrochen, Nabucco und South Stream wurden nie gebaut und die Exploration neuer Felder in der einstigen Hoffnungsregion Nordsee verschlingt enorme Mengen an Geld und Zeit. Und für neue Bohrungen bleiben angesichts dieser Ölpreise kaum Mittel. Rainer Seele meint dazu: "Unsere Vorräte schmelzen schneller dahin als der Schnee in der Sonne."

Mit Urengoy hat Gazprom noch mehr Asse im Ärmel. Etwa die Produktionskosten: Bei der OMV liegen sie heute im Schnitt bei 13 Dollar je Fass, in Nordeuropa inklusive der teuren OMV-Nordseeregion bei 43 Dollar. In Russland dagegen kostet es weniger als zehn Dollar pro Fass, den Rohstoff aus der Erde zu pumpen. Bisweilen ist sogar von zwei Dollar die Rede. Die neue Rettungsstrategie der OMV steht und fällt mit Urengoy – eine Position, die man auch in Moskau sehr wohl registriert hat. Doch auch die Österreicher haben einen Vorteil an ihrer Seite: Die sanktionsgeplagten Russen brauchen Dringend Know-how und Geld.

Was ist die Gegenleistung?

Gazprom ist berühmt dafür, praktisch nie Deals zum eigenen Nachteil abzuschließen. Was – neben Cash und Knowhow – die Gegenleistung der OMV für den Anteil an Urengoy sein kann, kristallisiert sich nur langsam heraus.

• Ertragsperle Borealis vom Tisch

Noch im Vorjahr stand der 36-Prozent-Anteil an der Kunststoffgruppe Borealis für die OMV zur Disposition. Gazprom wurde damals Interesse nachgesagt, doch in Oktober hat die OMV ihren Syndikatsvertrag mit dem Mehrheitseigner IPIC bis zum Jahr 2028 verlängert. Offenbar will die OMV die Beteiligung an der Ertragsperle selbst behalten: Knapp 400 Millionen Euro kassierten die Wiener vom Petrochemiehersteller, ein neuer Rekord. Für heuer wird ein ähnlicher Betrag erwartet – in den Vereinigten Arabischen Emiraten verfügt Borealis in Kürze über die größte Produktionskapazität für den Industriekunststoff Polyolefin weltweit

.

• Gas Connect: Tafelsilber am Tablett

Fix ist das Vorhaben von Rainer Seele, 49 Prozent am Gasnetzbetreiber Gas Connect Austria (GCA) zu verkaufen. Das Interesse von Gazprom ist wahrscheinlich – und wenig verwunderlich: Der Gasnetzbetreiber spielt strategisch eine zentrale Rolle in der heimischen Infrastruktur. Die GCA verfügt über 900 Kilometer Gasleitungen quer durch Österreich und in weite Teile Europas sowie über Knotenpunkte an den Grenzen. Den Wert der Gas Connect beziffern Eingeweihte mit bis zu 750 Millionen Euro. Dass die Russen hier einsteigen, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich: Offiziell wollen sie nicht. Die Wahrheit: Heimische Energierechtsexperten halten es für ausgeschlossen, dass Brüssel mitspielen würde. Deshalb ist auch der OMV das Risiko wohl zu groß. Die Wiener wollen mit den Einnahmen daraus den Einstieg in die Ostseepipeline Nord Stream II finanzieren. Und wollen dem Vernehmen nach auf jeden Fall vermeiden, dass ihnen ein Verkauf an Gazprom untersagt wird – und sie am Ende ohne Geld da stehen. Bei der Auktion, die im März startet, wird sich trotzdem sicher ein Käufer finden – aus dem Ausland. Die deutsche Allianz hat bereits angeklopft.

• Lukrative Raffinerien: Schwechat und Burghausen

Eine der wenigen Sparten, die sich für die OMV derzeit in Gold aufwiegen lassen, ist das Raffineriegeschäft. In Zeiten billigen Öls entwickeln sich Schwechat und Burghausen (Auslastungsgrad: 93 Prozent!) zu richtigen Cashcows. Weil auch die Konkurrenz in dem Geschäft aufrüstet – und der Ölpreis möglicherweise nicht ewig so niedrig bleiben wird, ist der Wert dieses Filetstücks derzeit schwer zu schätzen. Dass Gazprom sich für den Anteil an Urengoy Raffinerien sichern könnte, wurde in der Vergangenheit mehrfach bestritten. In einem Interview zu dieser Frage meinte er jedoch Ende Februar: "Ich schließe gar nichts aus."

• Baumgarten: Gasknoten im Fokus

Gut möglich, dass die Verhandlungen über den Tausch deshalb so lange dauern, weil es um den OMV-Gasverteilerknoten im niederösterreichischen Baumgarten geht. Über diesen Knoten wird Gas in großen Mengen nach ganz Österreich, nach Deutschland, Italien und weiter nach ganz Westeuropa gepumpt. Hier ist auch die Handelsplattform Central European Gas Hub (CEGH) tätig, die mehrheitlich der OMV gehört. Auch am Gasknoten Baumgarten hat Rainer Seele eine Beteiligung der Gazprom in der Vergangenheit ausgeschlossen – doch die Spekulationen dazu gehen trotzdem weiter. Nicht zuletzt, weil der Hub mit russischem Gas massiv aufgewertet würde, wenn eines Tages Gas aus der Pipeline Nord Stream II weiterfließt. Das weiß man auch in Moskau genau. Bereits 2011 sagte der damalige OMV-Chef Gerhard Roiss den Russen die Hälfte an CEGH zu, doch der Deal scheiterte an den Wettbewerbshütern der EU. Dass es diesmal trotzdem klappen kann, zeigt das Beispiel Wingas in Deutschland. Dort hat Gazprom erst im vergangenen Herbst Wingas, einen der größten Gashändler des Landes, zur Gänze von der BASF-Tochter Wintershall übernommen. Der Konzernchef, der den Deal 2013 eingefädelt hatte, heißt Rainer Seele.

Lesen Sie auch den Kommentar des Chefredakteurs Rudolf Loidl zum Thema.

Zuallererst die gute Nachricht: Auf eine Dividende muss der österreichische Finanzminister selbst in dieser krisenhaften Situation nicht verzichten. Mit einer Hybridanleihe von 1,5 Milliarden Euro finanziert Rainer Seele den Obolus quasi auf Pump. Das sei ein notwendiges Signal an die Finanzmärkte, erklärt Chefcontroller Christoph Trentini. Die Dividende ganz auszusetzen hätte möglicherweise fatale Auswirkungen auf den Aktienkurs.

Doch auch strukturell soll kein Stein auf dem anderen bleiben: Petrol Ofisi, türkisches Tankstellennetz und einst Kernstück der Strategie, die OMV über den Kaspischen Raum zu erweitern, soll verkauft werden. Denn weder die Nabucco Pipeline noch South Stream – beides Vorbedingungen für die erfolgreiche Expansion - wurden jemals realisiert. Gerade wird ein Käufer für Petrol Ofisi gesucht. Das wird allerdings alles andere als einfach.

Ein weiterer Einschnitt: Die Ausgaben für Förderung werden massiv zurückgefahren. Das betrifft vor allem die Felder in der Nordsee. Vor drei Jahren zahlte die OMV unter Roiss der norwegischen Statoil 2,65 Milliarden Dollar für Anteile an Förderfeldern – die bis dahin größte Transaktion in der Industriegeschichte Österreichs. In die Exploration steckt der Konzern heuer nur noch 300 Millionen Euro – rund 60 Prozent weniger als im Jahr 2014. Die neue Linie im Upstream: Nur noch dort in die Produktion investieren, wo schnell und billig Rohstoff zu holen ist. Die OMV scannt zwar gerade genau ihre Marktchancen in den Vereinigten Arabischen Emiraten und im Iran. Doch die drei Kernregionen bleiben weiter Österreich und Rumänien, die Nordsee sowie der Mittlere Osten und Afrika. Und dann macht die neue Konzernführung eben alles dafür, dass Russland zu einer neuen, zentralen Kernregion der OMV aufsteigt.