Meinung : Guter Grieche. Böse Bank.

Wenn sich Freitag nachmittag die Finanzminister der Eurozone treffen um (endlich!) eine Lösung im Drama rund um Griechenland zu finden, werden wohl alte Gespenster wieder aus der Mottenkiste geholt. Etwa jenes, wonach mit all den Milliarden, die bislang angeblich nach Griechenland gingen, letztlich nur Banken und nicht die Hellenen selbst gerettet wurden. Oder jenes, wonach man in Hellas endlich mit dem Sparen aufhören sollte - nur Konsum könnte die Wirtschaft Griechenlands wieder in Schwung bringen.

Das findet zumindest der griechische Finanzminster Giannis Varoufakis. In seinem diese Woche erschienenen Buch Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise schreibt er: „Unter dem Vorwand, Griechenland retten zu müssen, wurden in den letzten Jahren Verluste in der Höhe von hunderten Milliarden Euro aus den Büchern der Banken auf die schwachen Schultern der griechischen Steuerzahler verschoben. Und das in dem vollen Bewusstsein, dass die griechischen Schultern zu schwach dafür sein würden und die Kosten damit auf andere EU-Länder überschwappen würden.“

Zentrales Argument Varoufakis’: Europa hat mit all dem Geld, das nach Griechenland geflossen ist, nicht die Hellenen sondern ausschließlich Kreditinstitutionen (vorwiegend letztlich französische und deutsche, so die Mär) gerettet. Deshalb möge man doch, bitte, die Troika-Hilfen abschreiben – und (mit frischen Krediten) einen Neubeginn wagen.

Die Meinung des griechischen Finanzministers formte sich nicht in der Echokammer akademischer sozialistischer Zirkel: Die Volkswirte der Europäischen Zentralbank hatten schon im Jahr 2009 einen ähnlichen Verdacht. Damals untersuchten die Notenbanker Jacob Ejsing und Wolfgang Lemke in einer Studie mit dem fast schon lyrischen Titel „Die Janusköpfige Rettung“ die Auswirkungen des Griechenland-Paketes und wiesen darauf hin, dass durchaus die Gefahr bestünde, dass mit dem Steuergeld unbotmäßig riskant agierende Kreditinsitute gepäppelt würden. Seitdem kursiert das Papier (zumeist ungelesen) in linken Zirkeln – und dient als politische Rechtfertigung für ein Ende jeglicher Sparpolitik.

Dabei stützen die seither eingetretenen Fakten den Befund aus dem Jahr 2009 nur bedingt, wie Berechnungen der globalisierungskritischen Organisation Attac zeigen. Nach der neoliberalen Tendenzen gänzlich unverdächtigen NGO flossen bis Mitte 2013 knapp 207 Milliarden Euro zur Rettung Griechenlands. Davon gingen rund 101 Milliarden an (nicht-griechische) Finanzinstitutionen, die Gläubiger des griechischen Staates waren. Das ist, zugegebenermaßen sehr viel - aber trotz allem weniger als die Hälfte der bis zu dem Zeitpunkt für das Rettungsprogramm reservierten Gesamtsumme.

Hier geht's weiter: Zynische Argumentation.

Weitere 58 Milliarden Euro der Rettungssumme gingen, so Attac, direkt in die Rekapitalisierung hellenischer Kreditinstitute. Damit flossen sie zwar nach Definition der Bankenkritiker streng genommen in die "Finanzwirtschaft", entlasteten aber letztendlich vor allem griechische Haushalte, Privatunternehmen und staatsnahe Unternehmen von dem Mühlstein uneinbringlicher (Konsum- und Investitions-)Kredite, der zwischenzeitlich die griechische Volkswirtschaft zu ersticken drohte. Auf der damals sprichwörtlichen und auf Pump finanzierten „höchsten Porsche Cayenne-Dichte der Welt“ klebte längst die Pfandmarke.

Zu guter Letzt flossen zwischen 2009 und 2013 aber auch rund 48 Milliarden Euro an Hilfsgeldern direkt in den griechischen Staatshaushalt, wie Attac errechnete. Und finanzierten damit das Gemeinwesen der unter dem „Diktat der Troika“ (O-Ton Varoufakis) ächzenden Hellenen.

Das Argument Varoufakis’, wonach Europa nur die Banken gerettet hat, ist also nicht ganz zutreffend.

Zu behaupten, die Rettungspakete wären aus eigennützigen Motiven (um französische und deutsche Banken zu sanieren) geflossen, ist unfair und populistisch. Denn jeder Volksschüler weiß: Der Nachbar, der meine Schulden begleicht, rettet vorderhand mich – und erst in zweiter Linie meinen Gläubiger.

Vergegenwärtigt man sich, wer dies Gläubiger letztlich sind, wird die Argumentation Varoufakis' vollends zynisch. Denn es sind eben nicht abstrakte, ungreifbare Spekulanten, Heuschrecken oder Kredithaie sondern die durchaus bodenständige Banken und Versicherungen, die (übrigens auch griechische!) Pensions- und Vorsorgegelder, Sparkonten und unternehmerisches Wagniskapital in Anleihen eines Eurostaates veranlagten.

Einem Volkswirt wie Varoufakis muss das klar sein. Und ihm muss auch klar sein, dass die rund 48 Milliarden Euro, die von 2009 bis 2013 letzlich doch direkt in den griechischen Haushalt geflossen sind, in die Aufrechterhaltung eines Lebensstandards gingen, den das Land selbst in seinen besten Zeiten durch eigene Steuereinnahmen niemals hätte erwirtschaften können. Solidarisch finanziert im übrigen auch von Euro-Ländern deren Durchschnittseinkommen (Slowakei, Slowenien!) sogar noch weitaus niedriger ist als der griechische Mindestlohn, der diese Tage wieder auf fast 800 Euro angehoben wurde.

Giannis Varoufakis weiß: Griechenland hat die wirtschaftliche Struktur eines Schwellenlandes – aber das Bruttosozialprodukt einer Industrienation. Niemals werden die Hellenen mit der Produktivität von Bulgaren die Löhne von Belgiern verdienen können. Einer der beiden Werte wird sich verändern müssen. Und dafür muß auch Varoufakis sorgen. Sonst wird Mann, der den Nerv hatte, einen bescheidenen Vorschlag zur Lösung der Eurokrise in Buchform vorzulegen, bevor er seinen Ministerkollegen ein Papier zur Sanierung Griechenlands vorgelegt hat das Gespenst das er rief - die angeblich so sinistere Finanzindustrie und ihre Ausgeburt namens Troika - niemals vom Halse bekommen.