IM-Expertenpool: Supply Chain : Was ist dran an der Supply Chain Flexibilisierung?

Flexible Lieferketten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich leicht den jeweiligen Anforderungen in globalen Absatz- und Beschaffungsmärkten anpassen können, von Großkunden-Bestellungen bis hin zu kleinen Ersatzteillieferungen. Gleichzeitig trägt die operative Flexibilität dazu bei, Kosten zu senken, in dem Aufwände nur noch entsprechend tatsächlichen Kundenanforderungen entstehen. Das bedeutet die Abkehr von der „One-Size fits all“ Philosophie hin zu einem definierten Portfolio von Supply Chains, das die wesentlichen Warenströme des jeweiligen Unternehmens abbildet.

Steigende Kosten mit steigender Komplexität

Eine der Herausforderungen besteht darin, ein solches Portfolio zu definieren. In der Regel gibt es in den meisten Unternehmen einige wenige standardisierte Warenströme, die auch dokumentiert sind. Die gelebte Praxis weicht davon oft stark ab, denn über die Jahre wurden meist viele individuelle Prozesse, Lagerstrategien und Warenflüsse etabliert, um der stetig gestiegen Komplexität zu begegnen. In Summe sorgen diese individuellen Lösungen häufig für Störungen in den standardisierten Regelprozessen, treiben die Komplexität und führen zu erhöhten, oft verdeckten Kosten.

Flexibilisierung richtig gedacht

Vier Erfolgsfaktoren sind die Grundlage für eine zielführende Flexibilisierung der Warenströme und der Ausrichtung auf die tatsächlichen Kundenanforderungen.

1. Flexible Strukturen

Kurzfristige Kapazitätsanpassungen in der Lieferkette bleiben wichtig: Entscheidend ist die übergreifende Analyse der vollständigen Lieferkette hinsichtlich starrer Restriktionen, die u.a. Beschaffungsstrategien im Einkauf oder Planungsprozesse in der Produktion berücksichtigt. Die Bandbreite reicht von flexiblen Arbeitszeitmodellen bis hin zu Share-economy Konzepten im Bereich der Lagerkapazitäten. Freie, nicht genutzte Lagerplätze werden so auf unabhägigen Plattformen angeboten und können bei Bedarf abgerufen werden. Auch der 3D-Druck gewinnt an Bedeutung, So kann man kurzfristig auf Kleinserienbedarf im jeweiligen Zielmarkt reagieren, ohne Restriktionen von Losgrößen und langen Lieferketten unterworfen zu sein.

Nicht zuletzt spielt die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit (Kollaboration) eine Rolle. Harmonisierte Informationen, und über die Lieferkette hinweg optimierte Bestände und Puffer, sorgen für geringe Bestandshöhen bei dennoch ausreichenden Zeit-Puffern.

2. Optimierte Vorhersage

Um die benötigte Flexibilität so gering wie möglich zu halten, müssen die „Unbekannten“ in der Lieferkette eliminiert werden. Schlüssel hierfür ist die operative Planung und Vorhersage von Sonderereignissen oder künftigen Entwicklungen. Big-Data-Analysen oder Predictive Forecasting etwa haben die Planungsgenauigkeit stark erhöht. Gut angepasste Planungsmodelle ergänzt um wesentliche externe Einflussfaktoren erlauben es, den größten Unsicherheitsfaktor in der Lieferkette - die Kundennachfrage - vorherzusagen. Damit reduziert sich der Bedarf an Sicherheitsbeständen, um unvorhergesehener Nachfrage begegnen zu können. Auch hier steht das Thema Kollaboration im Fokus. Der durchgängige Informationsaustausch mit allen SC-Partnern stellt funktionierende Lieferketten sicher.

3. Standardisierte Prozesse

Wer die Kostenpotentiale der Flexibilisierung bestmöglich nutzen will, muss standardisierte Abläufe und Regeln schaffen. Im Rahmen der Segmentierung lassen sich so die relevanten, mustertypischen Warenströme identifizieren. Sie folgt typischerweise Einflussgrößen wie Produkt-Klassifizierungen, Auftragstypen oder Vertriebskanälen und bildet die Grundlage für die Definition der alternativen Warenströme. Das erfordert eine genaue Abwägung zwischen individuellen Anforderungen auf der einen und die Nutzung von Skaleneffekten zur Kostenoptimierung auf der anderen Seite. Weitere Einflussfaktoren sind die IT-Prozesse, die Anforderungen hinsichtlich Kostentransparenz sowie die bestehenden Kundenvereinbarungen.

Grundsätzlich gilt es zu berücksichtigen, dass viele verschiedene Warenströme die Komplexität in der Steuerung massiv treiben.

4. Gesteuerte Lieferketten

Sind die Voraussetzungen für die flexible Warenstromabwicklung geschaffen, geht es an die Umsetzung. Schlüssel dazu ist eine funktionierende SC-Steuerung, die die Warenströme entsprechend den Anforderungen orchestriert und die Lieferstrukturen und definierten Standards laufend auf den Prüfstand stellt und validiert. Diese systemgestützte Steuerung der Warenströme ersetzt die heutigen starren Modelle (basierend auf Kundenzuordnung) und ist somit eine Abkehr von der starren Zuordnung von Supply Chains hin zur automatisierten Einzelfall-Bewertung und tatsächlich flexiblen Reaktion auf individuelle Ereignisse. Gerade aufgrund der Vielzahl zu berücksichtigender Einflussgrößen und der Notwendigkeit Entscheidungen im Rahmen der Auftragsbearbeitung sehr kurzfristig zu treffen, hat diese Systemunterstützung (SC-Control Tower) in der Entscheidungsfindung zentrale Bedeutung.

Fazit: Sind diese vier Komponenten gegeben, können in den operativen Logistikprozessen – in Abhängigkeit der jeweiligen Ausgangslage – Kostensenkungen von bis zu 20 Prozent erreicht werden. Das zeigt zumindest die Projekterfahrung der Managementberater Horváth & Partners. Entscheidend ist die konsequente Abkehr von individuellen Insellösungen (etwa für spezielle Kunden) hin zu einer dynamischen Steuerung definierter Supply Chains, die auf den jeweiligen individuellen Geschäftsvorfall mit der besten Lösung reagiert.

Markus Wenzel ist Berater im Bereich Operations bei Horváth & Partners.