BIP Österreich : Konjunkturforscher erwarten ein Wachstum von 1,7 Prozent

Steuerreform und Flüchtlinge bringen Österreich 2016 bis zu 0,4 Prozent mehr Wirtschaftswachstum, die Hälfte davon durch die den Konsum belebenden Steuersenkungen. Damit soll bis 2017 jeweils bis zu 1,7 Prozent realer BIP-Anstieg möglich sein. Als Problem Nr. 1 sehen die Chefs von Wifo und IHS die - wegen eines überaus starken Arbeitskräfteangebots - an die 10 Prozent kletternde Arbeitslosenquote.

Die Beschäftigung wächst jährlich um mehr als 30.000 Menschen, das Arbeitskräfteangebot aber um gut 70.000 Personen - nach 9,1 Prozent heuer und 9,7 Prozent 2016 könnte bei der Rate "2017 ein Zehner gegeben sein", sagte Wifo-Leiter Karl Aiginger und bezeichnete Maßnahmen für Qualifizierung und Ausbildung ein Muss.

Massive Probleme mit Unqualifizierten

Eine Beseitigung der Schieflage am Arbeitsmarkt, "eine Nachfrage, die nicht erfüllt werden kann", sei die "ganz ganz große Herausforderung". Das betreffe nicht nur Höherqualifizierte, sondern auch Haushalts- oder Pflegedienste. Entwarnung gibt es keine, die Arbeitslosigkeit werde sich auf hohem Niveau stabilisieren, da die Mittelfrist-Prognose nur rund 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum sieht.

Der wirtschaftspolitische Experte des IHS, Helmut Hofer, betonte, auch ohne Flüchtlinge hätte es heuer in Österreich 9 Prozent Arbeitslosenrate gegeben, "ein absoluter Rekordwert". Vor allem die strukturelle Arbeitslosigkeit sei durch das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage relativ groß.

OeNB: Nur jeder zehnte Flüchtling wird Arbeit haben

Bei den Unqualifizierten würden sich die Probleme nochmals verschärfen, so die Konjunkturforscher. Zuletzt hat auch die Oesterreichische Nationalbank die anzunehmenden Flüchtlingszahlen, die Ausgaben dafür und die Wirkung auf die heimische Volkswirtschaft durchgerechnet. Eines der Ergebnisse der OeNB: 2017 wird nur jeder zehnte Flüchtling eine Arbeit haben. Mehr dazu hier.

Daher fordern auch die Konjunkturforscher, dass anerkannte Asylwerber möglichst rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten. Oft würden sie unter ihren Qualifizierungen beschäftigt. Maßnahmen für Flüchtlinge dürften aber nicht zulasten der Arbeitsmarktpolitik für das traditionelle Klientel gehen. Bildungsmaßnahmen seien wichtig und sollten als Zukunftsinvestitionen angesehen werden.

Für 2016 erwartet das Wifo 61.000 ganzjährig zu betreuende Personen (äquivalent), nach 46.000 heuer; 2017 sollen es 46.000 sein. Pro Person in der Grundversorgung sei mit etwa 11.000 Euro jährlich zu rechnen, für in betreuten Wohneinrichtungen untergebrachte unbegleitete Minderjährige mit 45.000 Euro pro Person. An Asylanträgen selbst rechnet das Wifo für 2016 mit 100.000 bis 130.000, nach 95.000 heuer.

2016 und 2017 dürfte der private und öffentliche Konsum in Österreich durch die Flüchtlingsmigration deutlich ausgeweitet werden. Laut Wifo sollen Steuerreform und Asylthema mit 0,4 Prozent positiv aufs BIP durchschlagen - laut IHS um 0,3 bis 0,4 Prozent, das den Flüchtlingsintegrationseffekt mit 0,1 bis 0,2 Prozent geringer ansetzt. Bei den Flüchtlingen geht es um Ausgaben zur Betreuung und Grundversorgung Asylsuchender sowie um Mehrausgaben für die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Freilich seien die Aufwendungen für Asylwerber zunächst einmal defizitfinanziert, so die Experten.

Der Flüchtlingskonsum gehe 1:1 ins BIP, so Wifo-Vizechef Marcus Scheiblecker, da es um Nahrungsmittel, Getränke, Wohn-, Transport- und Telekomdienstleistungen mit inländischer Wertschöpfung gehe. Kommen dann laut Wifo und IHS 2016 und 2017 in Summe je 1,6 bis 1,7 Prozent realer BIP-Anstieg zustande (nach heuer 0,8 Prozent), würde Österreich nach zwei Jahren Pause wieder so schnell expandieren wie die Eurozone, die Aufwärtsentwicklung sei aber weiterhin nur "träge und nicht wie vor der Krise", so Scheiblecker. Hofer sagte, vom Wachstum 2016/17 komme 1/2 Prozent aus dem Konsum, 0,6 Prozent aus den Investitionen.

Die "Zwillingsprobleme" Arbeitsmarkt und Reformstau

Österreich braucht weitere Reformen, betonte Wifo-Chef Aiginger, Arbeitsmarkt und Reformstau stellten gemeinsam ein "Zwillingsproblem" dar. Ja, es gebe eine Erholung, aber keine Entwarnung. Denn vieles an den "vier Helfern" für die Belebung 2016/17 - niedriger Euro, niedriger Ölpreis, Steuerreform und Flüchtlingsmigration - sei temporär. Es handle sich dabei um "Stabilisatoren zur rechten Zeit", aber auch nicht um mehr.

Große Chancen speziell für Österreich sieht Aiginger in dem aus dem Pariser Klimagipfel resultierenden Erfordernis, bis 2050 aus fossilen Brennstoffen auszusteigen: "Wir müssen jetzt beginnen in diese Richtung zu arbeiten. Wir sollten sagen: Wir wollen hier an der Spitze stehen." Da gebe es auch Exportchancen, verwies er auf die Zulieferindustrie. Hoch-PS-Schlitten seien damit aber nicht vereinbar. In den Investitions- und Umweltrankings falle Österreich Jahr für Jahr zurück, so der Experte. Dabei mangle es Österreich nicht an Wettbewerbsfähigkeit, das zeige der wachsende Leistungsbilanzüberschuss.

Das außenwirtschaftliche Umfeld sollte sich 2016 bessern und im Inland die Ausrüstungsinvestitionen anziehen, glauben die Experten der beiden Institute. Der Bausektor werde freilich weiter zurückbleiben - doch die heimischen Exporte sollten sich verbessern. Das Wifo rechnet mit einer Beschleunigung des Wachstums der Warenausfuhren von 2,5 auf 4,0 Prozent im kommenden Jahr und danach auf 4,4 Prozent. Die Warenimporte sollen nach heuer 3,2 Prozent real um 3,5 und 4,2 Prozent zulegen.

IHS: Hohe Risiken bleiben

Die Prognoserisiken bleiben laut IHS "hoch und sind vermehrt abwärts gerichtet". Dabei wird auf das schwächere China-Wachstum verwiesen und auf Turbulenzen, die die US-Zinswende den Schwellenländern bringen könnte. In Österreich seien die Effekte der Steuerreform mit beträchtlichen Unsicherheiten verbunden. Es könnte die Sparquote unerwartet stark steigen und die Konsumflaute prolongiert werden. Und es gebe auch nach wie vor das Problem, dass ein "Zukunftspessimismus" herrsche, so Aiginger.

Trotz positiver Belebungs-Anzeichen bei den Investitionen bestehe noch immer das Risiko, dass das Unternehmervertrauen gering bleibe und lediglich Ersatzinvestments erfolgen, so das IHS. Das Wifo hat das Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen für heuer von 0,8 auf 2,6 Prozent nach oben revidiert, für 2016 von 2,5 auf 2,8 Prozent. Für die Bruttoanlageinvestitionen rechnet das Wifo für 2016 mit real 1,8 Prozent Anstieg, nach 0,9 Prozent Plus heuer - Aiginger: "Ein Investitionsaufschwung schaut anders aus." Ähnlich Hofer vom IHS: "Es ist kein großer Investitionsboom zu sehen, dafür ist die Stimmung zu schlecht."

Beim BIP wird ein Wachstum von 1,7 Prozent erwartet

Die BIP-Prognose insgesamt hat das Wifo für 2016 von 1,4 auf 1,7 Prozent erhöht, das IHS ließ seine Erwartung von 1,6 Prozent für nächstes Jahr gegenüber September gleich.

Im Euroraum erholt sich die Konjunktur weiter nur zögerlich, im Prognosezeitraum zeichne sich kaum eine Beschleunigung ab, so das Wifo, das für diese Region auch für 2016 rund 1,5 Prozent Wachstum erwartet, für 2017 dann 1,6 Prozent. Vergleichsweise etwas stärker sollen die EU-28 mit heuer 1,9 und dann jeweils 1,8 Prozent zulegen. In den USA dürfte das Wachstum dagegen jeweils 2 1/4 Prozent betragen. Für China wird eine schrittweise Dämpfung von 6,8 Prozent heuer auf 6,2 und dann 5,8 Prozent in 2017 gesehen.

Auswirkungen von Ölpreis und Steuerreform

Der Rückgang der Ölpreise dämpft die Inflation heuer auf 0,9 Prozent. Dieser Effekt klingt aber ab. Zudem wirkt die Steuerreform via Mehrwertsteuererhöhung preistreibend - das IHS schätzt allein diesen Einfluss auf 0,2 Prozentpunkte - , sodass die Inflationsrate 2016 bei 1,5 und 2017 bei 1,7 bis 1,8 Prozent liegen dürfte.

Die Bankenhilfen belasten die öffentlichen Haushalte auch in den kommenden Jahren, wenn auch weniger. Das Wifo erwartet 2016 einen Anstieg des Maastricht-Defizits von 1,6 auf 1,9 Prozent des BIP, 2017 aber einen Rückgang auf 1,7 Prozent. Das IHS sieht - auch wegen der höheren Ausgaben für Asylwerber - die Defizitquote von heuer 1,7 auf 2,1 Prozent 2016 klettern, dann auf 1,7 Prozent sinken. 2016 und 2017 werde das Ziel eines strukturellen Nulldefizits ohne zusätzliche Maßnahmen nicht ganz erreicht, so das IHS. Auch Aiginger sieht das so: "Primärüberschuss haben wir noch immer keinen." Dafür sollte die Schuldenquote heuer den Höchststand erreicht haben und dann auf 84 und 83 Prozent zurückgehen. (apa/red)