Hintergrund : Der Ölpreis stürzt immer weiter ab

Der Kampf der Förderländer um Marktanteile treibt den Ölpreis von einem Tief zum nächsten. Allein in Österreich ersparen sich die Autofahrer heuer rund eine Milliarde Euro an Spritkosten, wie der Fachverband der Mineralölindustrie auf Anfrage der Austria Presse Agentur errechnete. Doch abgesehen von den Autofahrern können sich nicht alle darüber freuen. Hier die Hintergründe der Entwicklung.

Widersprüchliche Prognosen

Die Opec-Staaten fluten den Weltmarkt mit Öl, um Konkurrenten mit höheren Förderkosten aus dem Markt zu drängen. Aktuell kosten WTI und die richtungsweisende Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee mit knapp 35 und etwa 37 Dollar so wenig wie zuletzt vor sieben Jahren. Mitte 2014 waren beide noch oberhalb der 100-Dollar-Marke gelegen.

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. So erwarten die Experten von Goldman Sachs, dass sich der Preis für die US-Ölsorte WTI 2016 auf 20 Dollar oder umgerechnet 18,27 Euro je Barrel nahezu halbiert. "Bei einem milden Winter, einem langsameren Wachstum in den Schwellenländern und der potenziellen Aufhebung der Iran-Sanktionen könnten die Lagerbestände weiter steigen", warnen sie. Goldman-Analysten gelten als besonders kompetent, weil sie bei ihren Preisprognosen häufig richtig lagen und die US-Großbank ein großer Player im Handel mit dem "schwarzen Gold" ist.

Beobachter rechnen mehrheitlich mit einem Preis über 50 Dollar

Mit ihrer Ölpreisprognose liegen die Goldman-Analysten aber weit weg von der Mehrheitsmeinung. Im Schnitt sehen die von Reuters befragte Analysten den Brent-Preis im kommenden Jahr bei 57,90 Dollar und WTI bei 52,80 Dollar. Bekanntlich msst ein Barrel oder ein Fass Erdöl 159 Liter.

Stefan Kreuzkamp, Chefstratege bei der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank (AWM), begründet seine Erwartung eines anziehenden Ölpreis mit der rückläufigen Förderung von Schieferöl in den USA. Ähnlich argumentieren die Experten der deutschen Commerzbank, die gegen Jahresende 2016 einen Brent-Preis von 63 Dollar vorhersagen.

Weil die Zahl der aktiven Bohrlöcher in den USA seit Oktober 2014 um zwei Drittel gesunken sei, dürfte die globale Ölproduktion im kommenden Jahr trotz eines größeren Angebots aus dem Iran nicht mehr steigen. Weltweit wurden dem Ölindustrie-Dienstleister Baker Hughes zufolge bis November knapp die Hälfte aller Bohrungen stillgelegt.

Internationale Energieagentur: Opec weitet Förderung aus

Dieser Einschätzung widerspricht die Internationale Energieagentur (IEA). Deren Experten gehen davon aus, dass die Opec-Staaten ihre Ölförderung 2016 um 1,6 auf 31,3 Millionen Barrel pro Tag steigern. Gleichzeitig werde die Fördermenge der nicht im Kartell vertretenen Länder nur um 600.000 Barrel zurückgehen. Daher werde trotz der rückläufigen Fördermengen in den USA das Angebot die Nachfrage noch bis mindestens Ende 2016 übersteigen.

Ein Grund für das weltweite Überangebot an Rohöl ist der Schieferölboom in den USA. Dabei wird der Rohstoff mithilfe des umstrittenen Fracking-Verfahrens unter hohem technischen und finanziellen Aufwand aus dem Gestein gelöst. Einige Opec-Staaten wie Saudi-Arabien wollen aber anders als in früheren Jahrzehnten die Preise nicht mit Förderkürzungen stabilisieren. Sie fahren stattdessen die Produktion hoch und gewähren Kunden Rabatte, um ihre Marktanteile zu verteidigen und Konkurrenten mit höheren Förderkosten aus dem Markt zu drängen. Anfang Dezember betonte das Kartell, an dieser Politik festzuhalten und den Weltmarkt weiter mit Öl zu fluten.

Auch der Preis für Erdgas gibt massiv nach

Dem Sog des Ölpreisverfalls können sich andere Energieträger wie Erdgas nicht entziehen. Der US-Terminkontrakt notiert mit 1,89 Dollar je Millionen BTU auf einem 14-Jahres-Tief. Kohle ist mit 44 Dollar je Tonne so billig wie zuletzt vor gut zwölf Jahren. Der Preis für eine Megawattstunde Strom kostet an der Strombörse EEX mit 27,85 Euro so wenig wie noch nie.

Den Rohstoffkonzernen macht dieser Preisverfall schwer zu schaffen. Allein der Börsenwert der Ölförderer schrumpfte in den vergangenen eineinhalb Jahren um insgesamt mehr als eine Billion Dollar. Das entspricht in etwa der aktuellen Marktkapitalisierung der 30 Dax-Werte und übersteigt die jährliche Wirtschaftsleistung der Niederlande.

Massive Auswirkungen auf Russland - und Europas Exporteure

Das macht besonders Russland, dessen Volkswirtschaft stark von Rohstoffexporten abhängt, dereit enorm zu schaffen. Hier die Hintergründe dieser Entwicklung und die Auswirkungen auf Europas Exporteure, vor allem den Maschinenbau.

Russland hat Spekulationen über ein Treffen mit Vertretern der Opec-Staaten wegen des Ölpreisverfalls noch im Dezember gedämpft. Bisher sei dies nicht geplant, sagte eine Sprecherin des Energieministeriums in Moskau.

Im November hatten Energieminister Alexander Nowak und der Chef des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin, ein Zusammenkommen der unabhängigen Förderländer mit dem Ölkartell für Mitte Dezember in Aussicht gestellt. Nowak nahm auch nicht am jüngsten Opec-Treffen in Wien am 4. Dezember teil, bei dem die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) trotz des weltweiten Überangebots keine Obergrenze für die Produktion festlegte.

Jüngstes Treffen der Opec in Wien als Auslöser

Der Ölpreis beschleunigte nach dem Treffen seine Talfahrt und fiel auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren. Auch die Regierung in Moskau lehnt eine Kürzung der Ölförderung ab. Sie verweist auf die Klimabedingungen im Land, die es erschwerten, Ölquellen nach einer Unterbrechung wieder in Betrieb zu nehmen. Im November lief die Produktion in Russland trotz der fallenden Preise auf Hochtouren. Neben dem Förderboom in den USA durch die umstrittene Fracking-Technik drückt auf den Preis, dass China wegen der Konjunkturabkühlung weniger Öl nachfragt.

Inflation wird gedämpft

Die rückläufigen Energiepreise dämpfen außerdem die Inflation. Dies zwingt die Europäische Zentralbank (EZB) dazu, mit immer neuen Geldspritzen die Teuerungsrate in Richtung ihrer Zielmarke von knapp zwei Prozent zu treiben. Sonst droht die sogenannte Deflation, eine Spirale fallender Preise und rückläufiger Investitionen.

Der Ölpreisverfall sei aber auch ein Konjunkturprogramm, betont Elga Bartsch, Chefvolkswirtin von Morgan Stanley. Unternehmen bleibe schließlich mehr Spielraum für Investitionen und Verbrauchern mehr Geld für den Konsum. "Das wird 2016 so bleiben." Auf 13,5 Mrd. Euro beziffert Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des deutschen Mineralölwirtschaftsverbandes in der "Bild am Sonntag" die Ersparnis für die deutschen Verbraucher im laufenden Jahr. 2016 werden wohl weitere Milliarden hinzukommen: Der Dieselpreis ist an vielen Tankstellen wieder unter die Marke von einem Euro gerutscht. (reuters/apa/red)