Energiewende : Wenn Rohstoff-Suche zum Klima-Kolonialismus führt

In der nomadischen Rentierwirtschaft wandern die Menschen mit den Tieren über tausende Kilometer mit.

Rentiere brauchen große Wander- und Weidegebiete.

- © Thomas Duschlbauer

Vor allem für die indigene Bevölkerung entlang und nördlich des Polarkreises wird die Energiewende zu einem existenziellen Problem, wobei schon das fossile Zeitalter bzw. die Erschließung von Öl- und Gasfeldern für die arktischen Regionen ein ökologischer Aderlass war. Die Wende hin zu erneuerbaren Energiequellen macht ihnen das Leben allerdings nicht leichter.

Denn in diesen Regionen befinden sich große Lagerstätten an kritischen Rohstoffen wie Seltene Erden und viele mehr, ohne die weder Windparks noch Batterien für die propagierte Elektromobilität herstellbar wären. Zudem entstehen z.B. in Nordnorwegen gerade riesige Windparks, die dem Land in Zukunft erneuerbare Energie liefern und so die Energiewende vorantreiben sollen.

Angesichts unserer allgemein verbreiteten Vorstellung einer weitgehend unberührten arktischen Landschaft ist dies eigentlich keine Hiobsbotschaft, sondern etwas, was viele mit Kopfnicken einfach zur Kenntnis nehmen. Die Ursache für die relativ dünne Besiedelung der arktischen Regionen liegt allerdings nicht darin, dass es dort so kalt ist und nur wenige Menschen gerne frieren würden, sondern, dass sowohl Menschen als auch Tiere dort einen viel größeren Lebensraum benötigen, um ihre Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

Der Abbau von Rohstoffen soll in Norwegen auch unter Wasser möglich sein. 
Der Abbau von Rohstoffen soll in Norwegen auch unter Wasser möglich sein.  - © Thomas Duschlbauer)
„So ganz einfach gibt es grüne und billige Energie nicht. Die Energiewende hat viele Tücken, denen wir uns ehrlich stellen müssen"
Gertrude Saxinger

Massive Eingriffe in die Natur

Dr. Gertrude Saxinger, Sozialanthropologin am Austrian Polar Research Institute (APRI) und am Institut für Politikwissenschaft an der Uni Wien, beschäftigt sich schon mehr als 15 Jahre mit dem Rohstoffabbau in den (sub-)arktischen Zonen:

„Ob in Nordeuropa, Nordamerika oder in Russland, menschliche Besiedelung der Arktis ist tausende Jahre alt. Jagd und Fischerei sind die wirtschaftlichen und insbesondere kulturellen Lebensgrundlagen bis heute. Wichtig dabei ist die nomadische Rentierwirtschaft, in der die Menschen mit den Tieren über tausende Kilometer mitwandern, oder die Rentierzucht, die sesshaft betrieben wird. Im Winter können die Tiere durch die vereiste Schneedecke nun viel weniger nährstoffreiche Nahrung zu sich nehmen, weshalb sie dann ein großes Wander- und Weidegebiet brauchen“, so Saxinger.

Sie verweist darauf, dass die Samibevölkerung einen Lebensstil hervorbrachte, bei der die Rentiere eine fundamentale Bedeutung haben. Wenngleich heutzutage die Sami, Europas einzige anerkannte indigene Minderheit, in allen wirtschaftlichen Bereichen arbeiten und einen Lebensstil wie jene Bevölkerung haben, die nicht Ureinwohner sind, so ist das Rentier ein integraler Bestandteil der samischen Kultur. Diese indigene Kultur durchdringt alle Bereiche des sozialen Zusammenlebens bis heute. Auf dieser Grundlage, die auch gesetzlich abgesichert ist, hat in Oslo 2021 das Höchstgericht entschieden, dass der riesige Windpark auf der Halbinsel Fosen illegal errichtet wurde und eine Verletzung der verbrieften Rechte der indigenen Bevölkerung zur Ausübung ihrer Lebensweise darstellt. Der Fosen Windpark wird im Endausbau 300 Turbinen umfassen.

Derzeit ist die Hälfte in Betrieb und schon jetzt betreten die Rentiere diese Zonen nicht mehr, da die Straßen zu den Turbinen, Geräusche und andere Einflüsse die Tiere beim Fressen stören. Das stellt eine ultimative Bedrohung des langfristigen Fortbestands der wirtschaftlich und kulturell so wichtigen Rentierzucht dar. Daran kann wohl auch das Angebot der Windparkbetreiber, die Tiere an Jausenstationen mit industriell erzeugten Futterpellets zu verköstigen, kaum etwas ändern. Künstliche Fütterung ist nicht Teil der Samikultur, und auch die Klimaerwärmung ist schon jetzt eine Bedrohung des Lebensraums der Tiere.

Die Sozialanthropologin Dr. Gertrude Saxinger moderiert am 15. Mai im Naturhistorischen Museum (ab 18.30 Uhr) einen Polar Talk zum Thema „Green Colonialism“.

- © Gertrude Saxinger

Eine lange Tradition

Ähnliches gilt nicht nur für den größten Windpark Europas in Fosen, sondern auch für den zunehmend realistischer werdenden Tiefsee-Bergbau in Norwegens Gewässern. „Die Sami entlang der Küsten leben vom Fischfang. Und es ist bislang in keinster Weise ausreichend erforscht, welche ökologischen Folgen diese Art der Rohstoffgewinnung haben wird. Wenn sich der Fischbestand ändert, ändern sich die Bedingungen für die Nahrungssicherheit der Bevölkerung“, so Saxinger.

Sie sieht darin, wie andere Forschende auch, eine Fortsetzung des Kolonialismus der die Arktis seit Jahrhunderten prägt und nennt als Beispiel den Klondike Goldrausch im Yukon in Kanada: „Mit den ersten Goldfunden 1896 dort kamen in nur wenigen Jahren Zigtausende Menschen aus allen Ecken Nordamerikas und Europas und haben die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner verdrängt, haben Krankheiten eingeschleppt, und der kanadische Staat errichtete ein Kolonialregime, das erst im 20. Jahrhundert so richtig Fahrt aufnahm. Den Eltern wurden die Kinder weggenommen und in weit entfernte katholische Internatsschulen verschleppt, in denen viele zu Tode kamen und missbraucht und misshandelt wurden“, erklärt die Sozialanthropologin.


Umweltchauvinismus


Heute haben diese Formen der Ausbeutung ein grünes Mäntelchen, weil die begehrten Rohstoffe ja der Erzeugung erneuerbarer Energie sowie einer nachhaltigen Mobilität dienen sollen. Gertrude Saxinger verweist in dieser Hinsicht auf die Versäumnisse der Politik innerhalb der Europäischen Union, die gerne als Klimaretter dastehen möchte: „So ganz einfach, wie das medial und politisch meist vermittelt wird, gibt es grüne und billige Energie nicht. Die Energiewende hat viele Tücken, denen wir uns als Gesellschaft ehrlich stellen müssen.

Ihr Preis ist mitunter sozial hoch und diese Realität wird nur zu oft ignoriert. Die Menschen um den Polarkreis sind absolut nicht zwangsläufig gegen den Ausbau von erneuerbarer Energie. Aber sie fordern ein fundamentales Mitspracherecht und das Einbeziehen ihrer kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse lautstark ein.“ In Planung und Genehmigung des Fosen Windparks waren sie ihren Rechten entsprechend nicht ausreichend konsultiert worden, weshalb der Oberste Gerichtshof die Entscheidung nun im Sinne der Sami traf.


Auch hinsichtlich des Bergbaus wird gehofft, wie Saxinger erläutert, dass es an den Rändern Europas wenig Widerstand gibt. Die Politik spekuliert mit der dünnen Besiedelung und damit darauf, dass die geringe Anzahl von Wählern, die der Politik beim Urnengang die Rechnung präsentieren könnten, nicht stört. Über Jahrzehnte hinweg ist so gut wie nichts geschehen, um die Lagerstätten der wichtigsten Rohstoffe, die es bei uns im Zentrum Europas gibt, abzubauen. In den dicht besiedelten Gebieten wollen viele Menschen den Bergbau nicht in ihrem Hinterhof. Doch woher sollen die Rohstoffe für die ‚grüne Wende‘ dann kommen? Saxinger verweist auf die vielen Potenziale für einen fairen Bergbau in der EU:

„Hier gibt es faire Arbeitsbedingungen und auch ein größeres Mitspracherecht der Bevölkerung beim Bau von Minen und industrieller Infrastruktur. Aber es offenbart sich eine Art Umweltchauvinismus, der darin besteht, dass das Schmutzige der sauberen Energiewende lieber woanders hin ausgelagert wird. Nicht nur an die Ränder Europas, sondern insbesondere auch in die Länder des globalen Südens.“ Die vielschichtigen Probleme der Energiewende, die für die Welt so wichtig ist, sind für die Politik heiße Kartoffeln, die man kaum angreifen möchte. Jedoch wird es ohne eine sorgfältige Bewältigung der schwierigen Aspekte der „grünen Wende“ nicht gehen, um sie auch konfliktfrei umzusetzen.

„Aber auch den Konsumentinnen und Konsumenten muss klar werden, dass die Energie und die Rohstoffe nicht unschuldig vom Himmel fallen, und sie müssen sich fragen, ob sie moralisch bereit sind, dass andere Menschen den massiven sozialen und ökologischen Preis zahlen, nur damit wir hier beruhigt grün werden können.“ Wissen, Bewusstsein und ein ehrlicher Dialog darüber gehören zum Gebot der Stunde. „Wir müssen eine gesellschaftliche Wende hinkriegen, um die absolut notwendige Abwehr der rapide fortschreitenden Erderwärmung sicherzustellen“, so das Plädoyer von Saxinger.