Wirtschaft im Gespräch : „Produktivitätsentwicklung in Österreich ist weitaus zu schwach“

Österreich fehlt es deutlich an Produktivitätsenwicklung.

"Die betriebliche Investition in mehr Produktivität nützt wenig, wenn ihr Wirkungsbereich am Firmentor endet."

- © BirgitKorber - stock.adobe.com

Herr Prof. Helmenstein, der IWF hat kürzlich die Konjunkturprognose für die Weltwirtschaft leicht angehoben. Deutschland und Österreich bleiben allerdings weiter hinter dieser Entwicklung zurück. Was sind die Gründe dafür?

Christian Helmenstein:
In der Tat ist es so, dass die Wachstumsschwäche Deutschlands auch auf Österreich ausstrahlt, aber das erklärt nicht, warum wir in Österreich ebenfalls so besonders schwach unterwegs sind, da wir ja auch noch eine entsprechend starke Integration mit dem Rest von Europa aufweisen. Die zentral- und osteuropäischen Länder entwickeln sich sehr dynamisch, sodass wir also von dort schon entsprechende Wachstumsbeiträge einfahren könnten. Es zeigt sich einerseits, dass wir besonders negativ von hohen Energiepreisen betroffen sind und andererseits zu schnellen Steigerungen bei den Lohnkosten haben. Wir haben es zwar nicht mit einer Lohn-Preisspirale zu tun, weil die Preise zuerst gestiegen sind – das will ich betonen – aber durch den österreichischen Lohnfindungsmechanismus kommt es zu sehr hohen Lohnkostensteigerungen in relativ kurzer Zeit und dass bei sehr geringen Produktivitätsfortschritten.

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Wir haben in Österreich mit rund 78 Prozent erneuerbaren Energiequellen eigentlich eine sehr günstige Ausgangslage zumindest beim Strom. Andere Länder haben viel höhere Energieimporte und dennoch geringere Strompreise, warum?

Helmenstein:
Die Energiepreise sind auch deshalb gestiegen, weil sich weitere regulatorische Rahmenbedingungen geändert haben. Unter anderem hat Deutschland entsprechende Durchleitungsgebühren für Gas vorgesehen, wenn es über die deutsche Infrastruktur nach Österreich geleitet wird, was einen Preisnachteil für die österreichische Wirtschaft bedeutet. Andere Länder sind auch beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger viel schneller vorangekommen und konnten dadurch Preissteigerungen schneller abfedern und die Energieerzeugung schneller diversifizieren. Tatsächlich waren wir beim Ausbau sehr träge.

  • Christian Helmenstein, Chefökonom der IV, im Interview zur Produktivitätsentwicklung in Österreich
    "Wenn wir nicht schnell genug unsere Infrastruktur ausbauen, dann werden wir quasi zu einer Hochpreisinsel bei Energie."

    Christian Helmenstein, Chefökonom der IV

Die USA und China haben um rund zwei Dritte geringere Gaspreise. Was machen die USA hinsichtlich ihrer Energiepolitik anders als Europa?

Helmenstein:
Die USA haben einen bemerkenswerten Wandel vom Nettoenergieimporteur zum Nettoenergieexporteur vollzogen. Und dies in sehr kurzer Zeit. Hier scheint man die geoökonomischen Veränderungen auf dem Weltenergiemarkt frühzeitig erkannt zu haben. Auf dem Weltmarkt hat sich das Gasangebot durch amerikanisches LNG erweitert. Das bedeutet, dass wir es in den nächsten Jahren mit einem weiter steigenden Gasangebot am Weltmarkt zu tun haben werden und für Österreich zu befürchten ist, dass sich der relative Wettbewerbsnachteil weiter verschärfen wird.

Wenn wir unsere Infrastruktur nicht rasch genug ausbauen, werden wir den Zugang zu günstigen Energieträgern am Weltmarkt verlieren. Dann werden wir quasi zu einer Hochpreisinsel bei Energie. Deshalb ist z.B. der WAG-Loop in Oberösterreich so wichtig, um entsprechende Kapazitäten für LNG-Gas zu bekommen. Wichtig sind aber auch rasche Investitionen in den Ausbau der alternativen Energieerzeugung im eigenen Land. Zum Beispiel im Bereich Biotreibstoffe und Biogas etc.


Welchen Einfluss hat der Investitionsrückstau auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standort Österreichs?


Helmenstein:
Seit dem Jahr 2000 sind die öffentlichen Investitionen tendenziell rückläufig. Inzwischen haben wir es mit einer regelrechten Halbierung zu tun. Es ist schon bemerkenswert, dass eine Gesellschaft, die in den letzten 20 Jahren an Wohlstand reicher geworden ist, glaubt, nicht mehr in Infrastruktur investieren zu müssen, um morgen und übermorgen besser dastehen zu können.

Das ist auch wirtschaftsstrategisch äußerst problematisch, denn das bedeutet, dass wir unsere Produktivkraft für die Zukunft verringern. Wenn es eine gute Ausstattung z.B. mit Verkehrsinfrastruktur gibt, dann erhöht das auch die Rendite privater Investitionen. Denn betriebliche Investitionen in mehr Produktivität nützen wenig, wenn ihre Wirkung am Firmentor endet. Wir hinken bei wichtigen Transformationsprozessen in Österreich hinterher, weil der Staat in Wahrheit zu wenig investiert hat, etwa bei der Energieerzeugung oder bei der digitalen Infrastruktur.


Die Strategie der Bundesregierung hinsichtlich der Energiewende oder auch bei der Digitalisierung beruht im Wesentlichen darauf, den Ausbau privaten Akteuren zu überlassen. Muss der Staat Österreich stärker investieren und selbst als Investor auftreten?

Helmenstein:
Ja, das sagen sie. Es geht zum einen um die digitale Infrastruktur, zum Beispiel die Ausstattung mit Glasfaser, und es geht zum anderen um die Energieinfrastruktur. Hier sehen wir in der Tat ein großes Interesse von privaten Investoren. Aber wenn zum Beispiel viele Kraftwerksprojekte nicht ans Netz gehen können, weil die Kapazitäten nicht mehr ausreichen, dann verpufft das. Hier ist der Staat als Investor, aber auch als Regulierer gefragt. Es muss einfach schneller gehen. Lange Genehmigungsverfahren bedeuten in der Praxis eine immense Kostenineffizienz.

Unsere Exportunternehmen sind nicht in der Lage, Wohlstandsverluste, die außerhalb ihres Einflussbereiches entstanden sind, zu kompensieren.

Die Lohnkosten sind in Österreich in den letzten drei Jahren so stark gestiegen, wie sonst nirgends. Man kann eigentlich von einer exponentiellen Steigerung bei den Lohnstückkosten sprechen. Worauf ist das genau zurückzuführen?

Helmenstein:
Zum einen auf den Lohnfindungsmechanismus, der die Inflationsrate der vergangenen Periode berücksichtigt. Die so genannte Benya-Formel. Ich möchte sie nicht grundsätzlich in Frage stellen, aber es ist an der Zeit, sie weiterzuentwickeln. Sie stammt aus einer Zeit, in der unsere Wirtschaft noch viel weniger international verflochten war. Eine Reform muss berücksichtigen, welche Preise unsere Unternehmen auf dem Weltmarkt durchsetzen können. Unsere Exportunternehmen sind nicht mehr in der Lage, die Wohlstandsverluste im Inland, die außerhalb ihres Einflussbereichs entstanden sind, in vollem Umfang über die Einkommen der Beschäftigten auszugleichen. Damit richten wir langfristig einen doppelten Schaden an.

Wir verlieren an Wettbewerbsfähigkeit und können die Beschäftigungsquoten nicht mehr halten. Lohnkosten stehen aber immer in Relation zur Produktivität. Unsere Produktivitätsentwicklung in Österreich ist viel zu gering. Wir müssen bei Investitionen schneller und bei der Nutzung digitaler Technologien besser werden. Das machen uns Länder wie die Schweiz, Schweden oder Dänemark vor. Sie haben höhere Löhne, aber eine viel höhere Produktivität, die das möglich macht. In Österreich zum Beispiel ist der Einsatz von Robotern in großen Unternehmen sehr weit fortgeschritten.

Meine Sorge ist aber, dass der Mittelstand bei der digitalen Transformation abgehängt wird. Außerdem leisten wir uns hohe Gesundheitsausgaben, investieren aber kaum in die Gesundheitsvorsorge, die helfen würde, die Menschen fit zu halten. Und wir haben hohe Teilzeitquoten. Auf ein Arbeitsleben gerechnet verzichten Teilzeitbeschäftigte auf ein bis zwei Eigentumswohnungen, wenn man den Einkommensverlust gegenüber einer Vollzeitbeschäftigung gegenrechnet.