Lieferketten : Europas Militärische Abhängigkeit von den USA

Der Tiroler Fahrzeugbauer EMPL beliefert das Bundesheer etwas mit Spezialfahrzeugen.

Österreich verfügt über zahlreiche Unternehmen, die militärische Lieferketten bedienen können. Der Tiroler Fahrzeugbauer EMPL beliefert das Bundesheer etwas mit Spezialfahrzeugen und sichert damit heimische Wertschöpfung. Dennoch ist die Rüstungswirtschaft stark auf globalen Lieferketten angewiesen.

- © EMPL

Trotz steigender Verteidigungsausgaben in fast allen EU-Ländern können sich die europäischen Staaten nur schwer aus der sicherheitspolitischen Abhängigkeit von den USA befreien. Es ist eine Sache, militärisch aufzurüsten und mehr Gerät und Ausrüstung zu kaufen. Es ist aber etwas ganz anderes, das technologische Know-how für all diese militärischen Anwendungen selbst zu besitzen und die dafür notwendige Logistik betreiben zu können.

Hier sind die Europäer in den letzten Jahrzehnten technologisch stark ins Hintertreffen geraten. Das zeigt sich sehr deutlich daran, dass inzwischen nicht nur die USA und Russland, sondern auch China, Indien, Südkorea, Japan und die Türkei über eigene Kampfflugzeuge mit Tarnkappenfähigkeit verfügen, Europa aber nicht.

Das ursprünglich von Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Spanien entwickelte Projekt FCAS (Future Combat Air System), das als Nachfolger des Eurofighters einen neuen europäischen Abfangjäger u.a. mit Stealth-Fähigkeiten zum Ziel hat, kommt kaum voran. Inzwischen verfolgen einige Staaten, wie die Schweden oder die Briten, eigene Projekte. Das französische Rüstungsunternehmen Dassault hat 2015 die Tarnkappendrohne Neuron vorgestellt. Die Serienreife steht noch aus. Dafür gab es einen Rechtsstreit um den Technologietransfer zwischen Dassault und Airbus. Selbst der Eurofighter des Bundesheers kommt nicht ohne US-Technologien aus. So werden die Luft-Luft-Raketen IRIS-T mit einem Trägheitsnavigationssystem von Northrop Grumman betrieben.

Die Europäische Union will die Kapazitäten für die Munitionsherstellung in der EU steigern. Dafür braucht es aber weitrechende Strukturänderungen in der Industrie, monieren Kritiker.

- © fotosr52 - stock.adobe.com

Technologische Abhängigkeit von den USA

Sei es bei der Satellitentechnologie zur Aufklärung, Überwachung und Zielerfassung oder beim Bau zentraler Hardware- und Systemkomponenten. Technologisches Know-how aus den USA steckt in fast allen europäischen Rüstungsgütern (mit wenigen Ausnahmen). Das europäische Ortungssystem Galileo soll zwar zehnmal genauer sein als das US-amerikanische GPS-System, wird aber (offiziell) nicht für militärische Zwecke genutzt. Mit dem Galileo EU Defence Program (GEODE) soll bis 2026 eine militärische Nutzung zur Verfügung stehen. Allerdings führen die Finanzierungsregeln der ESA dazu, dass Europa bei Weltraumtechnologien ins Hintertreffen gerät und der Wettbewerb behindert wird. So ist Europa beispielsweise bei militärischen KI-Anwendungen kaum vertreten.


Wertschöpfungsfaktor militärische Lieferketten



Der Präsident des deutschen ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat sich für mehr strategische Unabhängigkeit der EU ausgesprochen. „Da der Wohlstand in Deutschland und Europa stark auf internationalem Handel beruht, ist es hier besonders wichtig, die richtige geoökonomische Strategie für den Krisenfall zu entwickeln“, sagte Fuest kürzlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz. „Um Risiken zu reduzieren, ist es sinnvoll, Rohstoff- und Energielieferungen zu diversifizieren, kritische physische und digitale Infrastrukturen abzusichern und bei hochkritischen Gütern wie bestimmten medizinischen Produkten die Lagerhaltung zu erhöhen oder eigene Produktionskapazitäten vorzuhalten“, so Fuest.

Das betrifft letztlich auch militärische Lieferketten. Zwar werden Ausrüstungen und Geräte mit hoher Wertschöpfungstiefe in Europa hergestellt - der österreichische Radpanzer Pandur EVO wird zum Teil in Wien gefertigt, um nur ein Beispiel zu nennen - aber viele wichtige Komponenten müssen importiert werden. Allen voran Mikrochips. Aber auch pharmazeutische Produkte, die für militärische Lieferketten nicht minder wichtig sind, müssen derzeit überwiegend eingeführt werden.

Die europäische Verteidigungsindustrie verfügt zwar über eine starke, in Europa verankerte Wertschöpfungstiefe, ist aber nicht ausreichend krisenfest aufgestellt, wie Militärexperten warnen. Mit der Initiative zur Unterstützung der Munitionsproduktion (ASAP) will die Europäische Kommission Anreize für die europäische Verteidigungsindustrie schaffen, in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten zu investieren, sei es in Komponenten der Lieferkette, Maschinen oder Personal. Die Investitionen könnten nicht nur in Maschinen und Produktionslinien fließen, sondern auch in die Lieferketten, wie das Medienportal EURACTIV berichtet. Dies würde jedoch eine Umstrukturierung der Industrie erfordern. Besonders heikel sei die Versorgung mit kritischen Rohstoffen. Die EU ist bei sicherheitsrelevanten Technologien stark von den USA und auch von China abhängig.

Heikle Situation für neutrale Staaten

Gerade für neutrale Staaten wie Österreich und die Schweiz wird die Frage der Autonomie militärischer Lieferketten zu einer Grundsatzfrage. Denn es gilt nicht nur, bei Rüstungsaufträgen auf die Wertschöpfungstiefe im eigenen Land zu achten, sondern sich bei militärischen Lieferketten nicht ungewollt in eine möglicherweise heikle Abhängigkeit von anderen Staaten zu begeben. Österreich setzt daher auf Beschaffungen aus befreundeten EU-Ländern, von denen auch die heimische Wirtschaft profitiert.

Die Schweiz hat sich kürzlich für den Kauf von F-35-Kampfflugzeugen des US-Herstellers Lockheed Martin entschieden. Das Geschäft war bei den Eidgenossen nicht unumstritten. Eine politische Initiative, den Kauf der F-35 zu stoppen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Auch die Zulieferketten wurden bei dem Deal kritisch hinterfragt. So berichtete die Schweizer Zeitung Blick im vergangenen Sommer, dass der Schweizer Armee ein „Ersatzteil-Chaos“ drohe. Der Grund: Die USA betreiben für ihre internationalen Kunden Ersatzteillager rund um den Globus. Nur die US-Armee habe völlig den Überblick verloren, was sich wo befinde.