Übernahme : Einverleibt: Wie B&R den Industrieelektronikkonzern ABB zur Nummer Eins der Automatisierungstechnik machen soll

B&R-Chef Hans Wimmer
© B&R

Punkt sieben Uhr früh kam die Nachricht in die E-Mail-Postfächer geflattert. Wer da im B&R-Werk Eggelsberg noch den Schlaf in den Augen hatte, war nach Lektüre der Zeilen schlagartig munter: Rückzug der beiden Gründer und Eigentümer Erwin Bernecker und Josef Rainer, Übernahme des Unternehmens durch den Schweizer Konzernriesen ABB, so die knappe Botschaft des Schreibens. Einigen in der 2.000 Kopf starken Belegschaft in der B&R-Straße 1 erschien der Moment geradezu surreal.

Doch sie hatten sich nicht verlesen: Nur eine Stunde später, in der gut gefüllten Eggelsberger Betriebskantine, umriss ABB-CEO Ulrich Spiesshofer – er hatte sich für die Informationsveranstaltung den ganzen Tag geblockt – schon mal das Vorhaben: Das 1979 von den beiden Weggenossen Bernecker und Rainer gegründete Unternehmen, heute eine mittelständische Perle mit fast 600 Millionen Euro Umsatz, soll in der ABB-Welt künftig die Funktion eines Kompetenzzentrums für Maschinen- und Fabrikautomation zufallen. Monate der Annäherung gingen dem Kauf voraus, erfuhren die Mitarbeiter. Und: Standort wie etablierte Managementstrukturen sollen – wie die Marke B&R – erhalten bleiben.

Über Nacht Konzern

Es sollte wohl als Signal des Aufbruchs gedeutet werden: Die beiden Noch-Eigentümer Bernecker und Rainer, die Ende der Siebziger mit Steuerungsapparaturen experimentierten, bis daraus marktfähige Produkte entstanden waren, zogen es am Dienstag vor, dem künftigen Neueigentümer die Bühne zu überlassen. Die Umsatzmilliarde, Ziel des beharrlich wachsenden Mittelständlers, soll jetzt mit Schweizer Konzernpower geknackt werden. Im Gegenzug soll der 130.000-Mitarbeiter-Konzern ABB, Spezialist für Robotik, Prozessleittechnik und Antriebstechnik, dort vom Innviertler profitieren, wo er selber schwächelt: Die Fabrikautomation gilt bisher als die große technologische Vakanz bei den Schweizern.

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Eine klassische Win-win-Situation sei die Übernahme daher, meint ein Branchenkenner, der durch das Aufeinandertreffen der Häuser B&R sowie ABB keinerlei Konfiktpotenzial ausmachen will. Spiesshofer, in der langen Reihe von ABB-CEOs bisher jener mit dem auffälligsten Hang zu kurzen Entscheidungswegen, „wird nicht den Fehler begehen, die Innviertler zu hart an die Kandare zu nehmen“, ist er überzeugt. Auch wenn es sich der Mitbewerb wünscht.

Zerreißprobe?

Demonstrativ ausgelassen: So geben sich Mitarbeiter des Industrieelektronikriesen Siemens, Angriffsziel Nummer eins der Schweizer, in der Zentrale in Wien-Floridsdorf wenige Stunden nach Bekanntwerden des Deals: Von einer „Zerreißprobe“ für den Mittelständler B&R, der da nun „inhaliert“ werde, ist die Rede. Hinter den Kulissen fallen die Einschätzungen zu dem Zeitpunkt längst nüchterner aus: B&R, mit verlässlich zweistelligen Wachstumsraten alles andere als ein Notverkauf, könnte den Schweizer ABB-Konzern dank wesentlichen Portfolioergänzungen und einer größeren installierten Gerätebasis gefährlich nahe an den derzeitigen Branchenprimus Siemens heranführen.

Auf dem Papier jedenfalls ist die Übernahme ein Glücksgriff: Nahezu überschneidungsfreie Portfolios, ein notorischer Hang zu Qualitätsprodukten statt Preisführerschaft, dazu ein Produktionstandort Eggelsberg, an dem mit Investitionen von 75 Millionen Euro von 2007 bis 2010 die Weichenstellung für globales Wachstum erfolgt ist: Mit einem gut sitzenden Handschuh verglich ABB-CEO Ulrich Spiesshofer das Übernahmeziel. Auch wenn es für gestandene B&Rler wenig schmeichelhaft geklungen haben mag: Es waren Worte der Anerkennung.

Straffes Konzernkorsett

Wer sich ein Bild formen will, was die rund 3.000 B&R-Mitarbeiter erwartet, wirft am besten einen Blick nach Fort Smith, Arkansas: Die Integration des 2010 übernommenen Antriebsherstellers Baldor steht stellvertretend für die Akquisitions- und Integrationspolitik der Schweizer. Die Übernahme ging ohne personelle Einschnitte vonstatten, von der Führungsspitze abwärts setzte man auf Kontinuität. Und doch, so erzählt ein ABB-Mitarbeiter, würden die Mitarbeiter heute dort schon wie selbstverständlich ABB-Unternehmenswerte wie Integrität oder Kundenfokus leben.

Das wird ihn besonders freuen: Ulrich Spiesshofer, das Lächeln in seinem Gesicht stets verbindlich, das graumelierte Haar akkurat gestutzt, ein Fan gut geschnittener Anzüge, aber auch straffer Konzernregelwerke. „In dem Punkt übertrifft er sogar noch Vorgänger Joseph Hogan“, erzählt ein ABB-Mann, der schon lang genug im Unternehmen ist, um Aufstieg und Abgang einer ganzen Reihe von ABB-CEOs erlebt zu haben. Das Regelwerk ist strikt, der Ergebnisdruck hoch. Durchhaltevermögen – wie beim Aufbau der Industrierobotik zum stärksten ABB-Segment – wird eingefordert. „Stillstand ist kein guter Ratgeber“, sagt der ABB-Mitarbeiter.

In Eggelsberg kommt durch derlei Schnurren aus der ABB-Welt keine Endzeitstimmung auf. Aus der Komfortzone ist man selbst schon lange heraus. „Mit Skaleneffekten und Synergiensuche kann Spiesshofer die Organisation nicht überraschen“, heißt es im Unternehmen. Auch in einem anderen Punkt bleibt der ausgebildete Ökonom ausrechenbar.

Mit Hierarchieentwöhnung auf Siemens-Jagd

Lange Entscheidungswege – nicht nur bei den unteren Chargen, auch ein paar Hierarchieetagen höher – gelten dem deutsch-schweizerischen Doppelbürger als Greuel. Als einer seiner ersten Taten dampfte er nach seinem Antritt 2013 die Zahl der Managementebenen im ABB-Reich ein. Die Hemdsärmeligkeit, mit der die B&Rler im Kundenkontakt zu Werke gehen, imponierten Spiesshofer von Anfang an. 4.000 Maschinenbau- und OEM-Kunden, drei Millionen automatisierte Maschinen im Feld – solche Traumzahlen kommen nicht von ungefähr. Von der hierarchieentwöhnten Art der Eggelsberger, „per Handschlag Vereinbarungen zu treffen, ohne sich mit einem ganzen Stab von Managern abstimmen zu müssen“, werde man „sich eine Scheibe abschneiden“, meint ein ABB-Mann. In Projekten wie etwa der Robotik soll diese Strategie künftig ein Türöffner sein. Wie seinerzeit, als B&R es ganz aus eigener Kraft geschafft hat, in der auf Effizienz getrimmten und gewiss „nicht Siemens-feindlichen Automobilindustrie“ (O-Ton eines Branchenkenners) Fuß zu fassen.

Viel hängt allerdings von einer Frage ab: Wird der Grundsatz der B&R-Gründer, sich selbst in schwierigen Zeiten nicht dem Spardiktat zu beugen und „im Zweifel lieber in ein Projekt zu viel als in eins zu wenig zu investieren“ (O-Ton Mitarbeiter) in Eggelsberg weiter Bestand haben?

Ausbau in Eggelsberg

Mitbewerber, die aus einer Konzernstruktur heraus agieren, attestieren dem neuen großen Mitbewerber nicht allzu große Spielräume. CEO Spiesshofer kündigte Investitionen an, ohne diese vorerst näher beziffern zu wollen. Fix ist der Bau einer rund tausend Quadratmeter großen Logistikhalle am Standort Gilgenberg sowie der Ausbau der Büroräumlichkeiten am F&E- Zentrum Salzburg um 50 Arbeitsplätze. Start der Erweiterungen ist im Mai. Für die Aufstockung der Eggelsberger Produktionsflächen um weitere 40 Prozent – F&E-Mitarbeiter werden dafür in einem neu errichteten F&E-Zentrum zusammengezogen – laufen gerade die ersten Planungsarbeiten, heißt es bei B&R.

Durch Skalenvorteile im Einkauf oder eine weltweite Plattform für Verwaltungskosten rechnet Spiesshofer mit Synergien in Höhe von 300 bis 400 Millionen Dollar. Keine kleine Summe. „Zu dem kolportierten Kaufpreis von fast zwei Milliarden Euro würde es mich wundern, dürfte B&R als eigenständiger Silo im Konzern weiterhin tun und lassen, was er will“, kommentiert ein Mitbewerber süffisant.

Systemwechsel dauert Jahre

Im Sommer soll es vonseiten der Wettbewerbshüter grünes Licht für die Übernahme geben. Bis dahin werden Produktmanager von B&R und ABB ihre Portfolios durchforstet und auf Synergien abgeklopft haben. Aktivitäten in den Bereichen SPS und Servo-Antriebe werde man in die neue Geschäftseinheit einbringen, sagt Peter Terwiesch, Leiter der ABB-Division Industrieautomation. Durch den neuen, bald noch mächtigeren Player durch schnelle Abschlüsse kurzfristig aus dem Feld gedrängt zu werden, fürchten Mitbewerber vorerst nicht. Automatisierungsprodukte sind tief in den Anlagen der Maschinenbauer integriert. „Ein Systemwechsel dauert drei bis sechs Jahre“, winkt ein Siemens-Mitarbeiter ab.

Einer freilich wird in den nächsten Monaten besonders hart daran arbeiten, dass es schneller geht: Gregor Kumm, als Integrationsmanager nach Eggelsberg beordert. Das Pendlerschicksal – die oberösterreichische Gemeinde gilt durch öffentlichen Verkehr als schlecht erschlossen – bleibt dem ABBler, konzernverantwortlich für die Produktgruppe Speicherprogrammierbare Steuerungen und Automation, jedenfalls erspart: Kumm hat bereits eine feste Bleibe in Standortnähe gefunden.