Corporate Venture Building bei Greiner & Co : Wie Corporate Venture Building neue Geschäftsmodelle begründet

Contemporary art collage with antique statue head and neon lettering around isolated over black background. Concept of digitalization, artificial intelligence, technology era, cyberspace

Immer öfter schrauben Unternehmen abseits der Stammorganisation agil an den Geschäftsmodellen von morgen.

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2020 steht die Automobilzuliefersparte des Hochleistungsautomatisierers Stiwa mit dem Rücken zur Wand: Das Voranschreiten der E-Mobilität macht Getriebelösungen immer mehr zur aussterbenden Art - die Neuvergabe von Aufträgen an das Gamperner Fertigungswerk stockt. Zugleich beschreiten die Oberösterreicher im mit der Montafoner Technologieschmiede Inventus gegründeten Startup Xeeltech Neuland: Sie erschließen Lösungen für die Mensch-Maschine-Interaktion, wie man sie sonst eher von Technologiegiganten aus dem Valley kennt. Auf der Unterhaltungselektronikmesse CES in Las Vegas findet das Konzept des haptischen Bedienelements auf Basis magnetorheologischer Flüssigkeit („Hapticore“) auch prompt Anklang.

Heute verbaut man die Lösung in Gampern in Serie und feilt im Rahmen des Joint Ventures an weiteren Anwendungen dieser Technologie. Doch kann die Zusammenarbeit im Startup auch nachhaltig auf den Innovationsarm des Unternehmens abstrahlen: "Sie ist zur Blaupause dafür geworden, wie wir in der Stiwa Advanced Products nun eine Innovationsschmiede aufsetzten", erzählt Geschäftsführer Josef Brandmayr. Auf mittlerweile bis zu 20 Mitarbeiter habe man dort aufgestockt. Damit sei ein Teil der Organisation zu etwas wie einem Corporate Venture geworden. Eine Lösung für smarte innovative Schließssysteme (Smalox) sei ein erstes Produkt, das ebenfalls schon heuer auf der CES vorgestellt wurde. "Damit sind wir in Branchen tätig, von denen wir vor zwei Jahren nicht einmal wussten, dass es sie gibt", schmunzelt Brandmayr.

Brandmayr Josef Stiwa Advanced Products
"In Branchen tätig, von denen wir vor zwei Jahren nicht einmal wussten, dass es sie gibt": Stiwa Advanced Products nun eine Innovationsschmiede aufsetzten", Stiwa-Advanced-Products-Geschäftsführer Josef Brandmayr - © www.stiwa.com

Corporate Ventures: Wachstum durch agile Produktentwicklung und innovative Geschäftsmodelle

Mittlerweile sind in Zeiten wegbrechender Umsätze und immerer schnellerer Innovationszyklen Corporate Ventures zur Hartwährung geworden: Unternehmen gründen Innovationstöchter, die losgelöst von der Stammorganisation agil an neuen Produkten und Geschäftsmodellen arbeiten. Das Wachstum ist oftmals rasant: 2020 hatte Stiwa in der Advanced Products einen Mechatroniker an Bord, heute bilden diese eine ganze Abteilung.

Auch wenn das Zuliefergeschäft aktuell nach Plan laufe, Automatikgetriebe für entsprechende Auslastung sorgen sowie Stanzen und Laserschweißen als Kerntechnologie für die E-Mobilität höchst attraktive Möglichkeiten für Neugeschäfte bietet, ist Brandmayr „heilfroh“ darüber, mit dem eingeschlagenen Weg, nämlich mit eigenen, innovativen mechatronischen Produkten in neue Märkte vorgestoßen zu sein. "Als es hieß, wir gehen in die Gamingindustrie, gab es schon Zweifler", sagt Brandmayr. Heute seie man stolz, neben klassischem Zuliefergeschäft und Grundfertigung von Einzelteilen über dieses mechatronische Know-how abseits der bekannten Pfade zu verfügen. "Wir streben auch für die Zukunft eine Dreiteilung des Geschäfts an", sagt Brandmayr. Innerhalb der neuen Organisation seien agile Methoden und eine offene Innovationskultur wie selbstverständlich verankert.

"Freedom to operate"

Die Rolle der Greiner Innoventures bringt Michael Wurm, Co-Geschäftsführer des Innovationsarms des Kunststoff-und Schaumstofflösungsherstellers aus Kremsmünster, im Rennenglisch auf den Punkt: "Freedom to operate" habe die Organisation, übersetzt also: Ein eindeutiges Vorstands-Commitment. Und mehr noch: Sie habe die Aufgabe, der Kernorganisation zu zeigen, „dass es da draußen eine Menge innovativer Ideen und Unternehmen gibt, die versuchen, das Gleichgewicht ins Wanken zu bringen", sagt Wurm. Fragestellungen, die diese selbst nicht lösen könne oder wolle, greife die Innoventures auf. Zugleich habe man den Anspruch, "Fragestellungen zu definieren, die das Kerngeschäft nicht sieht", sagt Wurm.

Aktuell gebe es das Bestreben, die Innoventures und ihr Wirken stärker an die Gruppenstrategie heranzuführen. Vorgemacht wird das im mehrheitlich übernommenen Startup Zeroplast, das sich auf spritzgussfähige Materialalternativen zu Kunststoff für die Serienfertigung spezialisiert hat. Hier sei das Greiner Innoventures-Motto "beyond plastics" mit Leben befüllt. Die vier Suchfelder umfassen die Bereiche Digital Care (Pflege), Last Mile (Transportboxen), Beyond Plastics und Kreislaufwirtschaft – wobei letzterer stetig an Bedeutung gewinnt.

Steilvorlage

Ziel sei, das aus Beteiligungen und Company Buildings ein substanzieller Teil des Geschäfts werde. Oder alternativ zusätzliches, vom Kerngeschäft losgelöstes Geschäft durch Startup-Beteiligungen zu generieren. Die Beteiligung von 14,4 Prozent am Startup Hempstatic - auf nachhaltige Schalldämpfungen aus Hanf spezialisiert - ist jedenfalls vielversprechend: Liefert sie womöglich die Steilvorlage zu potenziell neuen Geschäftsmodellen der Greiner-Tochter Neveon, die Weich- und Verbundschäume aus Polyurethan produziert. "Dort sind wir early stage eingestiegen und begleiten das Unternehmen, ohne Freiheiten zu beschneiden", sagt Wurm. Ähnlich agiert man auch bei einer Zwölf-Prozent-Beteiligung an MATR, die an einem geschlossenen Kreislauf für die Nutzung und Wiederaufbereitung von Hotelmatratzen - ein Baustein des Greiner-Portfolios - schraubt.

Greiner Innoventures Michael Wurm, Co-Geschäftsführer
"Wir sind early stage eingestiegen und begleiten das Unternehmen, ohne Freiheiten zu beschneiden": Greiner Innoventures-Co-Chef Michael Wurm - © Greiner Innoventures

Innovationen bei Alpla: Biologisch abbaubare Verpackungslösungen und neue Geschäftsmodelle

Innovationen, die das Kerngeschäft kreativ erweitern, gibt es auch bei Alpla. 19 Prozent der Anteile hält der Kunststoffverpackungshersteller an der Blue Circle Trading GmbH, einer Vertriebsfirma für zertifiziert heimkompostierbare Kaffeekapseln. Das bietet Möglichkeiten für eine Reihe neuer Geschäftsmodelle abseits des Kerngeschäfts. Unter der Marke Blue Circle Packaging bietet Alpla Kunden Verpackungslösungen an, die allesamt biologisch abbaubar sind. Die Basis bilden Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. „Wir sehen die Gründung einer eigenen Marke, unter die alle unsere Produkte aus biologisch abbaubaren Materialien fallen, als Bekenntnis zu unseren Aktivitäten auf diesem Zukunftsmarkt“, sagt Alpla-CCO Nicolas Lehner. Sie seien eine "kreislauffähige Ergänzung" zu bestehenden Verpackungslösungen.

Aktuell rund 20 - inklusive Sales-Team rund 50 - Mitarbeiter würden bei Alpla die Innovationen in dem Segment vorantreiben. So agiert man auch in der Blue Circle Trading - Amann Kaffee hält etwa ein Drittel am Unternehmen, weitere Anteile liegen bei Alpa - deutlich abgegrenzt vom Großkundengeschäft der Alpla, erzählt Julian Lehner, seit dem Vorjahr Geschäftsführer des Unternehmens, das sich als Entwicklungspartner von Alpla versteht. In Kleinmengen bis zu fünf Millionen Kapseln beliefere man Kunden und fülle für Röstereien ab, das Geschäft mit dem Verkauf von leeren Kapseln darüber gehöre klassisch Alpla.

Im Gegensatz zu Alpla, dessen Ziel es ist Großkunden mit leeren Kapseln zu beliefern, biete man Kunden umfangreichere Services an - von der Lohnabfülllung und Lohnröstung bis hin zur Platzierung und Vermarktung des fertigen Kaffeeprodukte. Sehr agil können man so Produktinnovationen in den Markt bringen und im Zusammenspiel mit Alpla-Entwicklern an nachhaltigen Verpackungslösungen schrauben. Wiewohl derzeit voll und ganz Kaffeekapseln die Aufmerksamkeit zufällt: Innerhalb der EU gibt es Überlegungen, wonach sämtliche nicht-kompostierbaren Kapseln die Grundlage entzogen werden könnte. Selbst wenn Alu- und Plastikkapseln recycelt werden würden, würde in denn meisten Recyclingprozessen der Kaffeesatz verloren gehen, obwohl dieser ein sehr hochwertiges Düngemittel darstellt.

Julian Lehner, Geschäftsführer Blue Circle Trading
"Eine kreislauffähige Ergänzung zu bestehenden Verpackungslösungen": Julian Lehner, Geschäftsführer Blue Circle Trading - © Blue Circle Trading

Erfolgreiches Wissens- und Leanmanagement für Mitarbeiterkommunikation

Unter die Gründer eines Coporate Ventures ging vor Jahren auch Andreas Fill. Das Kommunikationsunternehmen CORE smartwork in der Zukunftsstraße 2 in Gurten treibt das Thema Mitarbeiterkommunikation und -entwicklung sowie Wissens- und Leanmanagement voran. Ganz bewusst entschied man sich gegen die Integration des Bereichs im Unternehmen als eigenes Kompetenzzentrum etwa neben der Zerspanung - "die IT-Abteilung winkte ab", erinnert sich Fill. Herausentwickelt hat sich höchst erfolgreich ein Wissensmanagementtool, das dieser Tage um Lean-Management-Funktionalitäten erweitert werden soll.

19 Module geben heute bereits via Dashboard Einblick in Temperaturverläufe oder Energieverbrauche und schob bald in eingebrachte Mitarbeiterideen und Umsetzungstatus. Zwei Entwickler seien in Gurten für den First Level Supoport zuständig, über den Partner Cloudflight, der zehn Prozent am Unternehmen hält, kann "je nach Entwicklungstätigkeitsumfang permanent auf mehr als fünf Entwickler zugegriffen werden", kann Fill dem Konstrukt einiges abgewinnen.

Fill Andreas Fill CEO
"19 Module geben heute bereits via Dashboard Einblick in Temperaturverläufe oder Energieverbrauche": Fill-Chef und Ausgründer Andreas Fill - © Fill

Lieferantenneutrales Betriebseinsatzplanungstool für optimale Ressourcenplanung

Ein Entwicklungsprojekt für den Großkunden Edeka im Zeitraum 2014 bis 2016 führte die Grazer Knapp AG zur Erkenntnis: Um ein Betriebseinsatzplanungstool generisch - also lieferantenneutral - zu vertreiben, braucht es eine Ausgründung. Und so entstand redPILOT, dessen Geschäftsführung Siegfried Zwing, vormals Verkaufschef bei Knapp Systemintegration bis heute innehat. Das Start-up mit aktuell 20 Mitarbeitern konnte den Umsatz mit Ausnahme der Pandemiemonate jedes Jahr verdoppeln. Auch weiterhin plane man recht aggressives Wachstum, erzählt Zwing: In einem Jahrzehnt wolle man mit der Software zur optimalen (Personal)Ressourcenplanung einen schönen Wachstumsschritt hinlegen.

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Die Zusammenarbeit mit der Mutter Knapp läuft dabei ideal: "Wir helfen dem Unternehmen in Design und Auslegungsphase eines Lagers und kommen so bei Kunden eindrucksvoll ins Spiel", sagt Zwing. Auch deshalb, weil die Software die Stellschraube Personalkosten offenlegt, sei das Konstrukt lohnend: "Wir bringen für den Knapp-Projektierungsingenieur einen recht vorteilhaften anderen Blickwinkel beim Design neuer Anlagen". Designs ließen sich damit besser auf den operativen Betrieb hin gestalten. Intensiv sei die Zusammenarbeit im globalen Vertrieb.

"Wir helfen dem Unternehmen in Design und Auslegungsphase eines Lagers und kommen so bei Kunden ins Spiel": redPILOT-Chef Siegfried Zwing