Stellenabbau Voestalpine : Voestalpine im Würgegriff der Kosten - droht Böhler Bleche das Aus?

Das Werk von Böhler Bleche in Mürzzuschlag: Traditionsstandort unter massivem Kostendruck.
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Böhler Bleche wankt – und mit ihm hunderte Arbeitsplätze. Das Werk in Mürzzuschlag, seit Jahrzehnten ein Fixpunkt der steirischen Industrie, ist in schweres Fahrwasser geraten. „Wir haben an diesem Standort dringenden Handlungsbedarf“, gibt Voestalpine-Konzernsprecher Peter Felsbach direkt zu. Externe Berater wurden bereits eingesetzt – aus der Belegschaft dringen alarmierende Signale nach außen, von drohenden Massenkündigungen ist die Rede. Die wirtschaftliche Lage sei, so heißt es offiziell, „besorgniserregend“.
Für die 450 Beschäftigten bedeutet das vor allem Unsicherheit: um ihre Zukunft, den Standort und die Strategie des Mutterkonzerns voestalpine. Auf die Frage nach möglichen Kündigungen antwortet die Konzernleitung ausweichend, aber unmissverständlich: „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir Kapazitätsanpassungen nicht ausschließen.“ Klar ist nur eines: Die Bleche, die in Mürzzuschlag einst für Stabilität standen, sind selbst ins Wanken geraten.
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Wenn volle Auftragsbücher keine Gewinne bringen
Die Lage in Mürzzuschlag spitzt sich zu, weil die Kosten davonlaufen. Energiepreise, die weit über dem internationalen Niveau liegen, Strafzölle auf dem wichtigen US-Markt und eine teure Personalstruktur setzen Böhler Bleche massiv unter Druck. Zuletzt erwirtschaftete Böhler Bleche einen Umsatz von rund 138 Millionen Euro, offiziell ist jedoch von einer „volatilen, unberechenbaren“ Situation die Rede, doch in Wahrheit geht es um eine einfache Rechnung: Selbst volle Auftragsbücher garantieren keine Gewinne, wenn die Produktion am Standort strukturell zu teuer ist.
Das betrifft auch die Titanfertigung, mit der Böhler als einziger Hersteller Europas ein gefragtes Nischenprodukt anbietet – eingesetzt in Luftfahrt, Medizintechnik und potenziell auch im Verteidigungsbereich. Branchen, in denen die Nachfrage kein Problem ist. Doch selbst hier lassen sich die Vorteile kaum ausspielen, solange die Kosten die Erträge übersteigen. Ähnlich verhält es sich bei Nickel- und Kobaltlegierungen sowie hitzebeständigen Spezialstählen: Aufträge wären da, die Margen aber schwinden. Nur beim Werkzeugstahl, einst das Rückgrat des Geschäfts, kommt noch eine zweite Schwäche hinzu – die Nachfrage selbst ist eingebrochen.
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Energiepreise als Standortfalle
Für die Metallindustrie sind Stromkosten kein Nebenschauplatz, sondern eine Existenzfrage. Laut einer aktuellen Studie der Beratungsfirma Prognos lag der durchschnittliche Industriestrompreis in der EU zuletzt bei rund 13 Cent pro Kilowattstunde, während Betriebe in den USA und China nur etwa 8 Cent zahlen. Mit knapp 15 Cent liegt das Niveau hierzulande sogar noch über dem europäischen Schnitt – für Hochöfen, Walzwerke oder Wärmebehandlungen macht das den Unterschied zwischen schwarzer und roter Zahl.
Besonders betroffen sind Branchen wie Chemie, Papier – und eben Metall. Dort machen Energiekosten im Schnitt fast sechs Prozent des Umsatzes aus. Zusätzlich verschärft wird die Lage durch das Auslaufen der Strompreiskompensation diesen Sommer. Seither tragen energieintensive Unternehmen die volle Last allein. Nicht zufällig hatte Voest-Chef Herbert Eibensteiner schon im Frühjahr eine Verlängerung bis 2030 gefordert.
Strafzölle als Bremsklotz
Die USA waren über Jahrzehnte ein attraktiver Absatzmarkt für Spezialstähle aus Europa. Für ein exportorientiertes Werk wie Böhler Bleche, das rund 95 Prozent seiner Produktion ins Ausland liefert, war der Zugang über den Atlantik ein entscheidender Faktor. Doch seit die US-Regierung im Rahmen von Section 232 Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte eingeführt hat, ist dieses Geschäft nahezu zum Erliegen gekommen. Auf viele Produkte werden inzwischen 50 Prozent Zoll fällig – ein Satz, der jede Kalkulation sprengt.
Im Sommer gelang Brüssel und Washington zwar eine Teil-Einigung: Für viele Warengruppen wurde der Zollsatz auf 15 Prozent gesenkt. Doch Stahl blieb ausdrücklich ausgenommen. Die Konsequenz: Aufträge gäbe es zwar, doch sie lassen sich kaum noch profitabel bedienen. Selbst wenn Kunden bereit wären, Böhler-Bleche einzusetzen, macht der Zoll die Lieferung unrentabel. Während Wettbewerber aus Asien oder den USA mit günstigeren Kosten kalkulieren, verliert Mürzzuschlag Marktanteile.
Schon im August hatte Voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner erste Konsequenzen angedeutet. In Kindberg steht die Streichung einer Schicht im Raum, und auch Kapfenberg war zuletzt betroffen: Dort wurden im vergangenen Geschäftsjahr bereits rund 250 Arbeitsplätze abgebaut. Insgesamt rechnet der Konzern durch die Zölle mit einer jährlichen Zusatzbelastung von 50 bis 70 Millionen Euro.
Hohe Löhne, hohe Last
Neben Energie und Zöllen schlagen auch die Personalkosten zu Buche. Laut Daten der Metalltechnischen Industrie Österreich liegen die Arbeitskosten hierzulande bei rund 37,20 Euro pro Stunde – und damit etwa 36 Prozent über dem EU-Durchschnitt.
Für Böhler bedeutet das: Die hochqualifizierte Belegschaft ist zwar zentraler Erfolgsfaktor, aber zugleich ein hoher Fixkostenblock. Materialkosten schwanken mit der Produktion, Personalkosten bleiben weitgehend konstant. Selbst wenn weniger Aufträge hereinkommen, laufen die Löhne weiter – und ein Abbau ist teuer und riskant.
Im globalen Wettbewerb wirkt diese Struktur wie ein zusätzlicher Ballast. Während Konkurrenten in Osteuropa oder Asien mit deutlich niedrigeren Arbeitskosten kalkulieren, steht Mürzzuschlag mit Spitzenwerten da – und trägt eine Kostenlast, die die Wettbewerbsfähigkeit spürbar einschränkt.
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Ein Dreiklang der Belastungen
Damit steht Böhler Bleche gleich an drei Fronten unter Druck: Energiepreise, die weit über dem internationalen Niveau liegen, Strafzölle, die den Zugang zum US-Markt blockieren, und Personalkosten, die kaum Spielraum lassen. Für sich genommen wäre jede dieser Hürden schon ein Problem – im Zusammenspiel aber ergeben sie eine Mischung aus Belastungen, die den Standort Mürzzuschlag nun in Gefahr bringen.
Und genau das nährt die Spekulationen. In der Region ist längst von einem Abzug der Verkaufseinheit nach Kapfenberg die Rede, ebenso vom Abbau von rund hundert Arbeitsplätzen. Selbst eine komplette Schließung des Werks wird hinter vorgehaltener Hand nicht mehr ausgeschlossen.
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Blick nach vorn
In der Konzernzentrale in Linz hält man sich bedeckt. Offiziell heißt es lediglich, das Ziel sei eine rasche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Solange dieser Prozess läuft, wolle man weder Szenarien ausschließen noch Gerüchte kommentieren.
Böhler Bleche soll so aufgestellt werden, dass Produkte zu marktfähigen Preisen angeboten werden können. Konkrete Maßnahmen sollen bis Jahresende vorliegen und anschließend rasch umgesetzt werden.
Allzu große Hoffnungen dämpft die Führung in Linz allerdings: Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage sei in den kommenden Monaten nicht zu erwarten. Man werde sich daher stärker an den tatsächlichen Bedarfen der Kunden orientieren – was das für den Standort Mürzzuschlag bedeutet, bleibt vorerst offen.