Elektromobilität : Siemens-Manager Mangler: "Mit Gigafactorys wird Fleischtopf größer"

Bernd Mangler, SVP and Head of Automotive Vertical, Siemens

Bernd Mangler, SVP and Head of Automotive Vertical, Siemens: "Wer global skalieren will und nicht standardisiert, läuft in eine Vielzahl von Problemen."

- © Bettina Ausserhofer

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Mangler, die Automobilindustrie geht durch ein emotionales Wellental: Sie schlägt sich mit Nachfrageeinbrüchen in ihren angestammten Fahrzeugsegmenten und Teileengpässen herum, zugleich ist der Schwenk in ein neues Antriebszeitalter erforderlich. Ziemlich viel auf einmal, oder?

Bernd Mangler:
Ich zähle drei Meteoriten, die gerade gleichzeitig einschlagen. Zunächst die in Riesensätzen voranschreitende Digitalisierung der Fertigung. Der zweite Meteorit ist die Transformation in Richtung Elektromobilität. Und schließlich als dritter Meteorit die grundlegende Neudefinition des Produkts Automobil: Sind das noch klassische, vom Menschen gesteuerte Maschinen oder schon Roboter, also fahrende Wohnzimmer?

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Mangler:
Wer Gemütlichkeit sucht, ist in der Automobilindustrie falsch. Die Terminlagen sind extrem herausfordernd. Das Automobil ist und bleibt der Innovationsvorreiter. In keiner anderen Branche erreichen neue Technologien eine derart rasante globale Skalierung. Sehen wir es positiv: Das ist auch ungemein befriedigend.

Welche Herausforderungen ergeben sich für einen Automatisierer? Ist die Planbarkeit jetzt ganz beim Teufel?


Mangler:
Zunächst: Variantenreichtum und Modellvielfalt erhöhen den Druck, auf Standards zu setzen. Wer seine Produktionen global skalieren will und das ignoriert, läuft bald in eine Vielzahl von Problemen. Es bleibt unendlich viel Zeit liegen. Unsere Teams gehen sehr zupackend in Projekte, insofern ist die Planbarkeit gegeben. Wir verfolgen mit unserer Automatisierungstechnik und unserer Software einen ganzheitlichen Ansatz, spezifizieren ganze Fabriken auf Siemens, wenn es gewollt ist. Genauso gut liefern wir produktspezifische Einzelkomponenten, etwa Steuerungstechnik oder die Mittelspannungsversorgung einer Fabrik. Designsoftware ist ebenfalls eine Eintrittstür.

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Mangler: "Bei VinFast in 21 Monaten den Bau einer Fabrik realisiert." - © VinFast
Das Automobil ist und bleibt der Innovationsvorreiter. In keiner anderen Branche erreichen neue Technologien eine derart rasante globale Skalierung.
Bernd Mangler

Elektromotoren: weniger Komplexität in der Autoindustrie?

Der Automobilmarkt befindet sich inmitten der Konsolidierung, mit Stellantis hat sich ein europäischer Riese mit 14 Marken geformt. Was bedeutet das im Projektgeschäft? Kommt man als Premiumpartner einer Automarke nun im Gesamtkonzern öfter zum Zug?

Mangler:
Geht mit einem Zusammenschluss von Firmen, die bislang unterschiedliche Wege in der Fabrikautomation gingen, auch eine Neuausrichtung der Philosophie der Produktionssysteme einher, dann ist das eine Chance. Für Stellantis lässt sich das aus meiner Sicht noch nicht abschließend beurteilen. Die Portfolios der Autobauer unterscheiden sich weltweit - und durchaus dynamisch. In Südamerika stellt man sich vielleicht anders auf als in Europa. Wir sind jedenfalls bei nahezu allen Autoherstellern dieser Erde vertreten. Auch in Japan, wo die Herausforderung sicher größer war. Dort sind wir über Softwareangebote eingebunden.

Gilt der Grundsatz, wonach Elektroautofabriken weniger Technologietiefe aufwiesen als klassische Verbrenner- oder Diesellinien, im selben Ausmaß auch für die dort eingesetzte Prozessautomatisierung?


Mangler:
Die Umstellung auf Elektromotoren, in denen die Leistungselektronik das Herz ist, hat deutlich an Komplexität aus der Automobilproduktion herausgenommen. Und auch die Einstiegshürde für den Automobilbau reduziert. Es gibt neben Konsolidierungen auch eine Reihe vergleichsweise jüngerer Player wie Rivian, Lucid oder BYD. Beim Autobauer VinFast aus Vietnam konnten wir in 21 Monaten den Bau einer Fabrik für elektrisch betriebene Fahrzeuge realisieren. Das ist beachtlich - auch wenn ich natürlich jeden Maschinenbauer nachvollziehen kann, der ein modernes Neunganggetriebe wunderbar findet.

Stichwort Gigafactorys - kann Siemens hier als Ausrüster mitmischen und schöne Skaleneffekte erzielen?


Mangler:
Gut, dass Sie es ansprechen. Gigafactorys, das heißt die Einbeziehung der Zellfertigung, sind ein weiterer Grund dafür, dass der Fleischtopf für uns Ausrüster größer wird.