Revolutionäre Prozesse : Siemens-Manager Achim Peltz: "Eine Chance, die nur einmal kommt"
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Im vergangenen Jahr hat Siemens die erste Digital Native Factory im chinesischen Nanjing in Betrieb genommen. Ist diese voll digitalisierte und virtuell geplante Fabrik eine Blaupause für Siemens, um das eigene Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, zu erreichen?
Achim Peltz: Mit der Digital Native Factory hatten wir die Möglichkeit, im Greenfield von Grund auf eine neue Fabrik zu bauen. Das ist eine Chance, die man wahrscheinlich nur ein einziges Mal in seiner Karriere bekommt. Das ist auch der Grund, warum wir von Anfang an mit einem digitalen Zwilling in die Bauphase gestartet sind. Wir haben den Gedanken auch auf die Produktionsmittel und schließlich auch auf die Produkte übertragen. Und diese verschiedenen Bereiche wurden miteinander verknüpft, so dass wir von Beginn an die Möglichkeit hatten, alle Use Cases, die wir aus den verschiedenen bestehenden Standorten haben, wo vielleicht nur Teilbereiche unserer Produktion in Bezug auf Nachhaltigkeit ausgelegt sind, perfekt umzusetzen. Das gab uns bisher ungeahnte Möglichkeiten in Sachen Flächenproduktivität, aber auch hinsichtlich Nachhaltigkeit. Wir versuchen nun, das, was wir in der Fabrik in Nanjing gelernt haben, in umgekehrter Richtung umzusetzen. In den meisten Fällen haben wir es ja mit Brownfield-Anlagen zu tun, wo wir diesen Ansatz zu 80 Prozent umsetzen können.
Für wie realistisch halten Sie es, dass Siemens bis 2030 klimaneutral wird?
Peltz: Das halte ich für sehr realistisch. Mit unserem Elektronikwerk im englischen Congleton sind wir gerade CO2-neutral geworden. Wir sind bei allen Neuinstallationen sehr früh in die Rückwärtsintegration gegangen und haben das auch beim Siemens-Campus in Erlangen gemacht. Und die Ergebnisse, die wir durch diese Digitalisierung erzielen konnten, stimmen mich sehr positiv, dass wir bis zum Jahr 2030 die Klimaneutralität erreichen werden.
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Im Bereich Motion Control sind wir die Zusammenarbeit mit dem Mittelstand gewohnt.
Der Siemens Xcelerator ist jetzt ein Jahr alt. Siemens will mit dieser Plattform gezielt den industriellen Mittelstand ansprechen. Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit dem Xcelerator gemacht?
Peltz: Jeder hat seine eigene Interpretation davon, was der Siemens Xcelerator ist, wenn wir über ihn sprechen. Die digitale Business-Plattform besteht erstens aus einem Portfolio, zweitens aus einem offenen Ökosystem und drittens aus einem Marktplatz. Unser Hauptaugenmerk liegt derzeit sicherlich auf dem Portfolio, wie die Einführung des neuen Automatisierungsportfolios zeigt. Der Marktplatz steht im Moment noch nicht so sehr im Fokus, aber wir arbeiten an der Zusammenführung der bestehenden Marktplätze, um unseren Kunden die Orientierung zu erleichtern. Man denkt ja oft, Siemens macht den Löwenanteil seines Geschäfts mit Großunternehmen, mit Automobilherstellern zum Beispiel. Bei mir ist das zum Beispiel ganz anders, im Bereich Motion Control sind wir die Zusammenarbeit mit dem Mittelstand gewohnt, die meisten Unternehmen im Werkzeug- und Maschinenbau sind Mittelständler. Erste Erfahrungen sind, dass diese KMUs jetzt die Möglichkeit haben, durch das offene Ökosystem auf ein sicheres Portfolio zurückzugreifen und mit begrenzten Finanzmitteln ihre Digitalisierung vorantreiben können. Insofern bin ich der Überzeugung, dass kleine und mittlere Unternehmen die Hauptnutznießer dieses Angebots sein werden.
Sehen Sie Unterschiede zwischen den Märkten Deutschland und Österreich?
Peltz: Bezogen auf Motion Control unterscheiden sich die Märkte nicht wesentlich. Der deutsche Mittelstand ist sicherlich durch die Vielzahl der Unternehmen stärker entwickelt. In Österreich sind wir stark in der Intralogistik vertreten, wo wir mit mehreren namhaften Unternehmen kooperieren. Große Unterschiede aus Kundensicht sehe ich aber eigentlich nicht.
Ein solcher Unterschied könnte die vergleichsweise große Skepsis gegenüber der Cloud-Anbindung sein, die in Österreich deutlich ausgeprägter ist. Können Sie diese Befürchtungen nachvollziehen?
Peltz: Gerade im Mittelstand gab es viele Ängste beim Thema Cloud, aber grundsätzlich hat sich das etwas gelegt und das Vertrauen in die Cloud ist gewachsen. Der zweite Grund ist natürlich, dass die maschinennahen Anwendungen jetzt auch mit einer akzeptablen Edge-Lösung machbar sind. Ich muss aber auch sagen, dass uns die Anforderungen der neuen Cybersecurity-Richtlinie der EU erst einmal extrem überrascht haben. Das soll jetzt nicht heißen, dass wir diese Anforderungen nicht zu 100 Prozent umsetzen. Aber wir müssen aufpassen, dass uns die Regelungen und die Zeitlinien nicht ausbremsen. Wir haben ein bisschen den Vorteil, dass wir an der Generationsgrenze von der zweiten zur dritten Generation sind, und da spreche ich jetzt wieder ganz konkret von Siemens. Unsere gesamte Antriebstechnik wird in den nächsten fünf Jahren von der zweiten in die dritte Generation überführt. Insofern sehen wir uns in einer durchaus günstigen Situation, aber wir müssen zumindest die Möglichkeit haben, die installierte Basis eben noch handelbar zu halten.
Das Risiko, dass die Cyber Security zusammenbricht, wird sich nie ganz ausschließen lassen.
Viele Unternehmen verfügen über keine eigene Cybersecurity-Abteilung und sind auf externe Expertise angewiesen. Können sich Ihre Kunden darauf verlassen, dass die Richtlinien eingehalten werden?
Peltz: Wir hatten in letzter Zeit, gerade in der Lieferkrise, viele Fälle, wo unsere Lieferanten Opfer von Cyberangriffen geworden sind. Wir sitzen in den deutschen Verbänden und diskutieren regelmäßig, wie man Unternehmen am besten auf solche Angriffe vorbereiten kann. Siemens mag bereits einen sehr hohen Cyber Security Standard haben, aber das Risiko, dass die Cyber Security zusammenbricht, wird sich nie ganz ausschließen lassen. Insofern wäre ich mit dem Aussprechen von Garantien vorsichtig. Ich glaube aber, dass durch Initiativen wie Gaia-X oder Manufacturing X Datenstrukturen entstehen, die es auch mittelständischen Unternehmen erleichtern, das Unternehmen entsprechend zu schützen.
Automatisierungsportfolio für den Xcelerator
Rund ein Jahr nach dem Launch des Xcelerator erweitert Siemens die Plattform mit Industrial Operations X, einem Portfolio für die industrielle Automatisierung. Mit 44 Use Cases präsentierte das Unternehmen auf der diesjährigen Hannover Messe ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten.
“Wir bringen modernste IT-Funktionen in die industrielle Automatisierung. Wir setzen KI in der Fertigung ein. Wir ermöglichen unseren Kunden den Zugriff auf die Terabytes an Automatisierungsdaten, die in ihren Fabriken gespeichert sind”, so Siemens-Vorstandsmitglied Cedrik Neike, der auf der Hannover Messe das goldene Zeitalter der Automatisierung und Digitalisierung ausgerufen hat.
Industrial Operations X gilt als Antwort auf aktuelle Fragen zur Produktionsplanung, -ausführung und -optimierung in der neuen Welt der IT/OT-Konvergenz. Der Fokus liegt auf der Integration moderner IT-Fähigkeiten und bewährten Methoden aus der Software in die Welt der Automatisierung. Die Schlagworte heißen Low-Code, Edge, Cloud Computing und Künstliche Intelligenz.
Auf der Hannover Messe wurde von Siemens das neue Automatisierungsportfolio Industrial Operations X vorgestellt, bei dem der Einsatz von künstlicher Intelligenz eine große Rolle spielt. Welche Anwendungsfälle werden heute und in Zukunft gesehen?
Peltz: Ein ganz prominentes Beispiel ist das Bin-Picking. Hier können wir durch den Einsatz von KI einen sehr großen positiven Effekt erzielen. Ein zweites Thema, bei dem KI bei uns eine sehr wichtige Funktion hat, ist die Qualitätskontrolle. Wir hatten in der Vergangenheit immer wieder größere Ausfälle, die auf Pseudofehler zurückzuführen waren. Dieses Problem der falschen Fehlermeldungen haben wir in Erlangen durch den Einsatz von KI in den Griff bekommen. Entscheidend war dabei, dass wir in der Lage waren, die KI mit qualitativ hochwertigen historischen Daten zu trainieren. Wir haben aber auch erste Anwendungsfälle, wo wir KI synthetisch, also ohne historische Daten, anlernen. Das hat den großen Vorteil, dass die Lösung sofort eingesetzt werden kann. Die KI hat schon in vielen Use Cases gezeigt, dass sie solide Ergebnisse liefert. Und ich glaube, dass das Misstrauen bei unseren Ingenieuren und Technikern in der Produktion aufgrund der Ergebnisse deutlich zurückgegangen ist. Für mich ist KI eine Technologie, die aus der Produktion nicht mehr wegzudenken ist.
Uns geht es vielmehr darum, verschiedene Datenquellen aus verschiedenen Systemen zusammenzuführen. Das ist für mich ein industrielles Metaverse.
Siemens will mit Microsoft neue Wege bei der Programmierung von Steuerungssystemen gehen: Mittels Chat-GPT soll die Maschinensteuerung automatisch erstellt werden. Wie weit ist diese Technologie?
Peltz: Es gibt erste Versuche, aber im Moment ist die Technologie noch zu unausgereift, um diese Verantwortung einer KI zu übertragen. Wir sehen aber schon große Vorteile im Bereich der Dokumentation, wo die KI schon jetzt erhebliche Erleichterungen bringt.
Ein großes Zukunftsprojekt von Siemens ist das Metaverse. Dabei sollen Konstruktion, Fertigung und Betrieb miteinander vernetzt und mit Hilfe von virtueller Realität dargestellt werden. Facebook ist mit seinem Metaverse kläglich gescheitert. Warum sollte das in der industriellen Produktion anders sein?
Peltz: Das Thema Metaverse ist Interpretationssache. Von vielen wird unter Metaverse fotorealistisches Rendering verstanden, das eher aus der Spiele-Ecke kommt. Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass mit Nvidia ein ganz großer Player in diesem Bereich vertreten ist, der mit einer gigantischen Rechenleistung wunderschöne Bilder zaubern kann. Aber uns geht es vielmehr darum, verschiedene Datenquellen aus verschiedenen Systemen zusammenzuführen und dann, wenn ein Problem auftritt, diese Daten, unterstützt von Experten, zu analysieren. Das ist für mich ein industrielles Metaverse. Der Anwendungsfall aus unserer Elektronikfertigung hat mich da wirklich beeindruckt. Wir hatten wahnsinnige Probleme mit einer Linie, bei der es immer wieder zu Ausfällen kam. Erst durch das Zusammenführen und Vergleichen der Daten aus verschiedenen Systemen konnten wir die Fehlerursache finden. Und auf diesem Prinzip sind weitere Innovationen aufgebaut, wie zum Beispiel der Einsatz von VR-Brillen. Und da sind noch einige Innovationen geplant.