Insolvenzen : Kreditversicherer warnt vor Pleitewelle wegen Ukraine

EDITORS NOTE: Graphic content / Military emergency service members remove the body of a dead Ukrainian serviceman in the area of a research institute, part of Ukraine's National Academy of Science, after a strike, in northwestern Kyiv, on March 22, 2022. - Russians reinforce their positions around the capital which has not yet been fully surrounded on the 27th day of the assault. (Photo by Aris Messinis / AFP)

Krieg in der Ukraine: Bis 27 Prozent mehr Insolvenzen in Europa möglich-

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Der Ukraine-Krieg wird die Weltwirtschaft heuer spürbar bremsen. Der internationale Kreditversicherer Euler Hermes rechnet für 2022 mit einem geringeren Wachstum der globalen Wirtschaft und des Handels, massiven Problemen bei den Lieferketten und einem regelrechten Insolvenzschub in Europa, wie aus einer Studie von heute, Mittwoch, hervorgeht. Ohne Gegenmaßnahmen sei bei Firmenpleiten ein Zuwachs von 23 Prozent zu erwarten - plus 7,7 Prozentpunkte alleine wegen des Krieges.

"Bei einer weiteren Eskalation des Konflikts droht 2023 eine Rezession für die gesamte Weltwirtschaft, für die Eurozone und auch für Deutschland", teilte der Chefvolkswirt von Allianz und Euler Hermes, Ludovic Subran, am Mittwoch mit.

Für 2022 haben die Volkswirte des Kreditversicherers ihre Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft bereits auf 3,3 Prozent (davor: 4,1 Prozent) gekappt; für 2023 wird ein Plus von nur noch 2,8 Prozent gesehen. Die Lieferketten stuft der Kreditversicherer als "gefährdet" ein - vor allem in der Automobil- und Halbleiterbranche.

Die Erwartung für den heurigen BIP-Anstieg in Deutschland wurde von 3,2 Prozent auf 1,8 Prozent fast halbiert. Dort dürften die Insolvenzen heuer laut Euler Hermes um 4 Prozent nach oben gehen. Das gesamte Welthandelsvolumen wird 2022 den Experten zufolge voraussichtlich nur um 4 Prozent wachsen, vor Invasion der Russen in der Ukraine war noch ein Plus von 6 Prozent erwartet worden.

Russland stürze infolge der westlichen Wirtschaftssanktionen schon heuer vor einer scharfen Rezession - das Bruttoinlandsprodukt sollte dort um 8 Prozent schrumpfen, bei einer weiteren Eskalation des Krieges sogar doppelt so stark, um 16 Prozent. Für den Welthandel insgesamt sei Russland zwar "nicht systemrelevant", in einigen Bereichen dürften die jüngsten Entwicklungen "dennoch spürbare Schockwellen auslösen", so die Volkswirte. "Insbesondere die stark abhängigen Exporteure in Zentral- und Osteuropa könnten herbe Einbußen erleiden", so Subran.

"Zudem geraten Lieferketten in einigen Branchen erneut unter großen Druck, insbesondere in der Halbleiter- und Automobilindustrie. Benötigte Metalle, spezielle Gase und Kabel sind knapp und könnten zu unterbrochenen Lieferketten führen." Umwege von Containerschiffen setzten Lieferketten aus Fernost unter Druck. Die Schiffe vermeiden den Angaben zufolge zudem konfliktbedingt aktuell das Schwarze Meer und nehmen weniger direkte und deutlich zeitaufwändigere und kostspieligere Routen in Kauf.

"Die Umleitung von Frachtschiffen hat zusammen mit den hohen Energiepreisen Auswirkungen auf Frachtraten und Lieferzeiten - und damit auch auf die Lieferketten aus Fernost", betonte der CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Milo Bogaerts. Hinzu kämen die strikten Covid-Maßnahmen in China, die zu Produktionsunterbrechungen und teilweise zu vorübergehenden Schließungen von einzelnen Häfen führten. "Eine Stabilisierung der angespannten Situation in der Logistik liegt dadurch aktuell auf Eis und bringt viele Unsicherheiten mit sich", hielt Bogaerts fest.

Durch die ausgebremste Weltwirtschaft steigt laut Euler Hermes vielerorts das Risiko von Zahlungsausfällen und auch Insolvenzen dürften wieder merklich ansteigen, insbesondere in Europa. "Der potenzielle Anstieg der Insolvenzen in Europa hat sich durch den Konflikt in diesem Jahr um 7 Prozentpunkte auf plus 23 Prozent erhöht und im kommenden Jahr um 4 Prozentpunkte auf plus 17 Prozent, sofern keine entsprechenden Gegenmaßnahmen implementiert werden", so Bogaerts.

Österreich: Aufwärtstrend schon nach Auslaufen der Corona-Hilfen

Noch sind die Folgen des Ukraine-Kriegs nicht direkt bei den Insolvenzen zu spüren, doch diee im Herbst eingesetzte Trendumkehr bei den Insolvenzen hat sich zu Beginn des neuen Jahres fortgesetzt. Staatliche Corona-Hilfen, das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht sowie Steuerstundungen haben die Firmenpleiten in den letzten eineinhalb Jahren auf ein sehr niedriges Niveau gedrückt. Nachdem nun fast alle Hilfen ausgelaufen sind, befinden sich die Zahlen im ersten Quartal wieder in etwa auf Vorkrisenniveau. Auch die Privatinsolvenzen steigen wieder.


In den ersten drei Monaten 2022 waren laut KSV1870 Insolvenzhochrechnung 1.011 Unternehmen von einer Insolvenz betroffen. Damit haben sich die Pleiten gegenüber dem ersten Quartal 2021 mehr als verdoppelt. Die vorläufigen Passiva stiegen um 56 Prozent auf 223 Mio. Euro. Alle Bundesländer verzeichneten mehr Unternehmensinsolvenzen als im Jahr davor. Mit zunehmenden Insolvenzen steigt auch die Zahl der betroffenen Beschäftigten. Waren im ersten Quartal 2021 rund 1.500 Menschen von einer Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen, so sind es heuer 3.000 Personen.

Die bis dato größte Firmenpleite ist der Biomassekraftwerke-Hersteller Polytechnik mit Sitz in Weissenbach an der Triesting in Niederösterreich mit vorläufigen Passiva von 69,6 Mio. Euro und mehr als 100 betroffenen Beschäftigten.

"Die kommenden Monate werden zeigen, wie stabil das wirtschaftliche Fundament zahlreicher Unternehmen tatsächlich ist", sagte KSV1870-Insolvenzleiter Karl-Heinz Götze am Dienstag laut einer Aussendung. In Anbetracht der derzeitigen vielfältigen Krisensituationen wie dem Krieg in der Ukraine, Corona sowie der hohen Energie- und Rohstoffpreise sei eine seriöse Einschätzung der Insolvenzsituation für die kommenden Monate mit großer Vorsicht zu betrachten, so Götze. Der Insolvenzexperte hält ein Jahresergebnis auf Vorkrisenniveau von rund 5.000 Unternehmensinsolvenzen für möglich.

Aus Sicht des KSV sind Insolvenzen nicht nur etwas Schlechtes, da man bei einer frühzeitigen Sanierung mehr retten kann als wenn eine Firma ganz geschlossen werden muss, womit auch die Jobs weg wären.

Auch bei den Privatinsolvenzen hat sich die zu Jahresende erfolgte Trendumkehr fortgesetzt, wenngleich hier das Vorkrisenniveau noch nicht erreicht wurde. Laut KSV1870 Insolvenzhochrechnung wurden im ersten Quartal 2022 in Österreich 2.135 eröffnete Schuldenregulierungsverfahren gezählt, das entspricht einem Plus von fast 20 Prozent gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres. Im Vergleich zum Jahr 2019, dem letzten "Normaljahr" vor der Corona-Pandemie, bedeutet das einen Rückgang von 14,3 Prozent. Die vorläufigen Passiva stiegen um 35,9 Prozent auf 269 Mio. Euro.

"Einer der Hauptgründe für die seit Oktober 2021 kontinuierlich wachsende Zahl an eröffneten Schuldenregulierungsverfahren liegt in der Insolvenznovelle 2021, die Privatpersonen eine Entschuldung in kürzerer Zeit ermöglicht", erläutert Götze. Viele der Privaten hätten in der ersten Jahreshälfte 2021 zugewartet, um sich nach Inkrafttreten der Insolvenznovelle im Juli des vergangenen Jahres innerhalb von drei Jahren zu entschulden - und nicht wie zuvor in fünf Jahren.

Mit Blickrichtung Jahresende 2022 rechnet Götze mit einem Niveau bei den Privatinsolvenzen auf der Höhe des Jahres 2019. Damals wurden in Österreich rund 9.500 Schuldenregulierungsverfahren eröffnet, im Schnitt wären das 182 Fälle pro Woche.