Schur Flexibles : Der feine Herr Schernthaner

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Auf einmal will ihn keiner gekannt haben. Jedenfalls nicht so richtig. „Michael Schernthaner?“, sagt ein österreichischer Manager, der aufgrund seiner Position regelmäßig mit dem ehemaligen CEO von Schur Flexibles zu tun hatte. „Ich kann wirklich nicht viel über ihn sagen, auch wenn ich ihn gelegentlich getroffen habe.“
Das Szenario wiederholt sich immer wieder: Einmal mit freundlichem Desinteresse, einmal mit nahezu aggressiver Bestimmtheit geben nahezu alle einstigen Weggefährten und Freunde dem INDUSTRIEMAGAZIN zu verstehen: Mit Michael Schernthaner in Verbindung gebracht zu werden, steht im Moment nicht auf ihrer Prioritätenliste.
Was wenig verwundert. Seit bekannt wurde, dass die B&C-Gruppe einen 80-Prozent-Anteil an Schur Flexibles zu einem völlig überhöhten Preis gekauft hatte, um rund 300 Millionen statt um 20 Millionen, die der Anteil tatsächlich wert war, steht der Verdacht im Raum, zu Schernthaners Zeit als Chef von Schur Flexibles müssen die Bilanzen einigermaßen kreativ geführt worden sein. Aggressiv und im Graubereich sei die Buchführung im Unternehmen gewesen, bestätigte jüngst ein Eingeweihter der deutschen Wirtschaftswoche. Anders wäre der Buchwert von 300 Millionen wohl auch niemals zustande gekommen.
Was freilich nichts daran ändert, dass zum Zeitpunkt, als die Gespräche über die Übernahme von Schur Flexibles begannen, die Verkäufer noch deutlich abstrusere Preisvorstellungen hatten: Sie forderten mit 800 bis 900 Millionen das rund 35-fache des realen Wertes. Verkauft wurde Schur letztlich um das 15-fache – auch kein übler Deal, jedenfalls für den damaligen Mehrheitseigentümer, das US-amerikanische Private Equity Haus Lindsay Goldberg. Weniger für die B&C-Holding, die inzwischen ihren Anteil an eine Eigentümer-Gruppe rund um den amerikanischen Beteiligungsriesen Apollo wieder abgestoßen hat.
Statthalter des Statthalters
Ein Insider, mit dem das INDUSTRIEMAGAZIN sprach, urteilt dementsprechend hart über die Differenz zwischen dem wahren Wert von Schur Flexibles und dem Kaufpreis, den B&C bezahlte: „Das ist so, wie wenn Sie ein Auto ohne Motor kaufen und das nicht bemerken. Mich wundert es nicht, dass die Betroffenen nicht über die Sache sprechen wollen. Mir wäre es auch peinlich, wenn man mich so über den Tisch gezogen hätte.“
Noch vor wenigen Monaten war das anders. Da sprach die Branche gern über Michael Schernthaner. Der heute 43-jährige galt schließlich lange als der absolute Wunderwuzzi der österreichischen, ja der europäischen Verpackungsindustrie. Und auch als ein Mann, der immer für einen medial verwertbaren Sager gut war. Sei es, wenn er darüber schwadronierte, dass Mitarbeiter sich in einer Firma so wohl fühlen sollten wie in ihrem privaten Hobbyraum, denn dann würden sie niemals in ein Burn Out schlittern. Sei es, wenn er zackige Sprüche wie „Wachstum ist nur außerhalb der Komfortzone möglich“ formulierte oder wenn er sich in philosophischen Betrachtungen über die Rolle der Persönlichkeit für das Unternehmertum erging.
Bei Schur Flexibles beginnt der Trackrecord von Michael Schernthaner 2017, knapp nach der Übernahme des Unternehmens durch Lindsay Goldberg. Dem Vernehmen nach soll es auch der Europa-Statthalter von Lindsay Goldberg, Thomas Unger, einst Manager bei Metro, gewesen sein, in dessen Schlepptau Schernthaner bei Schur Flexibles als Geschäftsführer andockte. 2019, also just zu dem Zeitpunkt, als Lindsay Goldberg nach einem Kaufkandidaten für Schur Flexibles zu suchen begann, wurde der Unger-Vertraute Schernthaner zum CEO von Schur bestellt.
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Manischer Einkäufer
Heute will Thomas Unger, der selbst als Vorsitzender des Beirats bei Schur Flexibles an Bord war, über seinen ehemaligen Mitstreiter Schernthaner nicht sprechen. Eine Anfrage an Ungers in Düsseldorf beheimatetes Büro nimmt jedenfalls zuerst den Weg nach London zu Kekst CNC Global Communications Consultancy, von wo letztlich nach vielen Tagen und Nachforschungen die Antwort kommt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt Lindsay Goldberg keine Stellungnahme zu den von Ihnen erwähnten Themen ab.“
Dabei war Lindsay Goldberg lange Zeit mächtig stolz auf sein in Niederösterreich beheimatetes Asset. Seit der Übernahme stieg, wesentlich durch Schernthaner angetrieben, der Umsatz des Konzerns von rund 350 Millionen Euro auf über 700 Millionen. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen konnte gar auf 80 Millionen Euro verfünffacht werden. Zumindest in den Büchern. Die Strategie, die Michael Schernthaner dabei verfolgte war simpel. Sie lautete: Kaufen, kaufen und nochmals kaufen.
Ein beträchtlicher Teil der Zuwächse, die Schur Flexibles in den letzten fünf Jahren verbuchen konnte, war dementsprechend wenig nachhaltiges Wachstum auf Kredit: Großzügig durch Banken unterstützt, übernahm das Unternehmen mittelständische Konkurrenz und wurde so auf dem Papier immer größer und mächtiger. Er verbringe einen Drittel seiner Arbeitszeit damit, nach neuen Mergers and Acquisitions zu fahnden, vertraute Schernthaner 2019 stolz dem INDUSTRIEMAGAZIN an. Finanziert haben die Käufe unter anderem: Goldman Sachs, RBI, die Erste Group und die Uni Credit.

Freund von gediegenem Luxus
Nebenbei, wahrscheinlich sogar deutlich mehr als nur nebenbei, widmete sich Schernthaner den schönen Seiten des Lebens und pflegte auch einen dementsprechend feudalen Lebensstil. 60.000 Euro Spesen für Bekleidung, um bei potentiellen Geschäftspartnern der renommieren zu können, sollen da genauso dabei gewesen sein wie zwei Mietwohnungen im Londoner Edelbezirk Mayfair um wohlfeile 250.000 Euro monatlich – und auch der eine oder andere Ausflug im Privatjet. Der schwerste Vorwurf, über den inzwischen auch die Financial Times berichtete, betrifft aber eine Überweisung von vier Millionen Euro vom Firmenkonto der Schur Flexibles auf das Privatkonto von Michael Schernthaner, ohne dass ein nachvollziehbarer Grund für die Zahlung zu finden gewesen wäre.
Den Wahrheitsgehalt der einzelnen Vorwürfe zu überprüfen, die mutmaßlich auf einen Whistle Blower und eine nachfolgende Untersuchung durch den Controlling-Riesen Alvarez & Marsal basieren, ist im Moment nicht gerade einfach. Alvarez & Marsal will weder bestätigen, dass man in ein Controlling bei Schur Flexibles eingebunden war, noch sich zu den einzelnen Punkten äußern. „Sie haben sicherlich Verständnis, dass A&M prinzipiell keinen Kommentar zu so spezifischen Anfragen abgibt und dies völlig unabhängig davon, ob das Unternehmen in die Fälle involviert ist oder nicht“, lässt eine Sprecherin ausrichten.
Von der vermeintlichen Hauptgeschädigten, der B&C-Gruppe, ist hingegen zu erfahren, dass die Vorwürfe an Michael Scherntahner in der bislang kolportierten Form tatsächlich existieren: „Die von Ihnen erwähnten Berichte geben grundsätzlich ein gutes Bild dazu ab, wie und in welcher Form B&C durch Bilanzmanipulationen und andere Handlungen des ehemaligen Schur-Managements geschädigt wurde“, antwortet auf eine Anfrage des INDUSTRIEMAGAZINS der B&C-Sprecher Jürgen Gangoly.
Die tatsächliche Schadenssumme stehe allerdings noch nicht fest, ergänzt er. „Die B&C-Gruppe versucht nun, den Schaden durch Schadenersatzansprüche und bestehende Garantie-Versicherungen einzubringen. Zusätzlich sind weitere rechtliche Schritte auf Basis der laufenden Aufarbeitungen aus B&C-Sicht wahrscheinlich.“
Einer, der jede Rolle spielen konnte
Michael Schernthaner hat die Vorkommnisse bislang nicht im Detail kommentiert und sich auf die Behauptung beschränkt, sie seien unrichtig. Von seinem Rechtsvertreter wird die Sichtweise kommuniziert, dass die Fakten entweder aus dem Zusammenhang gerissen wurden oder aber ohnehin irrelevant sind, weil Schernthaner stets in enger Abstimmung mit den damaligen Eigentümern agierte.
Der frühere Schur-Flexibles-Chef selbst ist inzwischen jedenfalls weitgehend abgetaucht. Die einzige aktuelle Spur zu ihm führt über die Pure1 Performance BeteiligungsGmbH, die wiederum die Hundertprozent-Gesellschafterin der Pure1 Immobilienbesitz OG in Wien ist. Weder das eine noch das andere Unternehmen verfügt über einen Webauftritt, eine allgemein zugängliche E-Mail oder eine Telefonnummer.
Ein Jugendbekannter, der mit Schernthaner in den frühen 2000er-Jahren engere Beziehungen pflegte, erzählt, dass Schernthaner diese Art, von heute auf morgen von der Bildfläche zu verschwinden, schon einmal praktiziert hatte. Als junger Mann soll er der Erzählung nach berufliche Schwierigkeiten bekommen und innerhalb weniger Stunden die Stadt, in der er damals wohnte, auf Nimmerwiedersehen verlassen haben. „Das wirkte ziemlich eigenartig. Dabei war er jemand, dem man schnell vertraute, einer der wohl jede Rolle überzeugend darstellen konnte.“
Persönlicher Charme
Diese Eigenschaft scheint auch der B&C-Führung zum Verhängnis geworden zu sein, als sie einwilligte, achtzig Prozent an Schur Flexibles um 300 Millionen zu kaufen, obwohl das Unternehmen bloß 25 Millionen wert war. Darüber, wie das bei allem persönlichen Charme des ehemaligen Schur-Flexibles-Chefs passieren konnte, existieren im Umfeld der B&C-Gruppe im Wesentlichen zwei Erzählungen.
Die eine lautet in sehr stark verdichteter Form ungefähr so: Die B&C war von der Idee, mit Schur Flexibles als Nukleus eine mächtige Verpackungssparte aufzubauen, so besessen, dass man sehr lange das absolut Offensichtliche nicht sehen wollte: Dass die Ergebnisse der Schur Flexibles nicht mit den Realitäten zusammenstimmten.
Diese Variante wird vor allem von jenen Personen kolportiert, die wenig auf den zur Zeit der Schur-Flexibles-Übernahme amtierenden B&C-Vorstand geben. Ganz von der Hand zu weisen ist sie nicht. Immerhin hatten einige potentielle Käufer ziemlich schnell abgewunken, weil ihnen der geforderte Kaufpreis doch reichlich übertrieben erschien.
Die andere Erzählung beruft sich, wiederum sehr stark verkürzt formuliert, auf die stets existente Kraft des Bösen. „Wenn der Wunsch zu täuschen besteht und er auch intelligent umgesetzt wird, wird er jede Kontrolle unterlaufen“, sagt ein Insider, der diese Sichtweise vertritt. „Nehmen Sie bloß den Fall Wirecard. Das hätte man auch nicht für möglich gehalten und dennoch bin ich überzeugt, dass früher oder später bei allen Kontrollen, die ja immer schärfer werden, wieder so ein Fall auftritt.“
Der für den Deal verantwortlichen Führung von B&C könne daher auch im Nachhinein kein Vorwurf gemacht werden. Schließlich seien die Ergebnisse von Schur auch von zwei namhaften Wirtschaftsprüfungskanzleien testiert worden. Die beiden erwähnten Prüfer, PwC, die im Auftrag von Schur Flexibles prüften und EY, die im Auftrag von B&C tätig wurden, wollen die Causa nicht kommentieren.
Enttäuschte Banker
Keinen Kommentar wollen auch jene drei österreichischen Banken abgeben, die Schur Flexibles in der Vergangenheit Kredite gewährten. Dass man dabei einiges an Geld verbrannt hatte, ist aber ziemlich offensichtlich. Sarkastisches Originalzitat eines mit der Sache befassten Bankers: „Ein großer Gewinn wird das Ganze für uns nicht mehr.“
Wie das Branchenportal Debtwire berichtete, sollen die drei österreichischen Banken die Verbindlichkeiten von Schur im Rahmen eines Debt-Equity-Swifts gegen Anteile an Schur-Flexibles getauscht haben. Ob sie bei Schur Flexibles weiter an Bord bleiben wollen oder ihre Anteile inzwischen veräußerten, ist bei RBI und Erste Group unklar. Von der Uni Credit wird inzwischen berichtet, dass sie nicht mehr bei Schur Flexibles engagiert sei.
Für die Zukunft, das betont jedenfalls der neue Mehrheitseigentümer Apollo, sollen die Vorfälle rund um Michael Schernthaner keine Rolle mehr spielen. „Wir sind von den langfristigen Wachstumsaussichten von Schur Flexibles fest überzeugt. Wir freuen uns, neue Mittel in das Unternehmen zu investieren und als künftige Anteilseigner strategische Unterstützung zu leisten“, sagt auf INDISTREMAGAZIN-Anfrage Tristram Leach, der für Schur Flexibles zuständige Partner bei Apollo. Die Aufarbeitung und Klärung von allfälligen zivil- und strafrechtlichen Sachverhalten aus der Zeit von Michael Schernthaner bleibe den Behörden und Gerichten vorbehalten.
„Wir Führungskräfte versuchen oft, beliebt zu sein“, sagte Schernthaner einmal, als er noch gern zitierter Interviewpartner war. Doch das sei falsch. Manchmal müsse man auch aktiv Konflikte herbeiführen.
Zumindest diesem Anspruch an sich selbst ist der der Ex-CEO von Schur Flexibles gerecht geworden. Er rühmte sich auch, Mitarbeiter, die Grenzen überschreiten, nicht zu bestrafen. Ob diese Rechnung in den nächsten Monaten auch bei ihm selbst aufgeht, ist im Moment noch nicht abzusehen.
Schur Flexibles – ein österreichischer Konzern?
Mit Schur Flexibles hatte die B&C, deren Ziel die Förderung des österreichischen Unternehmertums ist, einen Konzern gekauft, der nur oberflächlich österreichisch ist. Wohl befindet sich sein globales Headquarter in Wiener Neudorf, doch kein einziges der 23 Werke des Unternehmens steht in Österreich. Die von Schur Flexibles als Begründung angeführte Tatsache, dass Österreich eben ein traditionelles Zentrum der europäischen Verpackungsindustrie ist, erklärt das nur zum Teil. Ebenso wichtig dürfte sein, dass Österreich mit seiner Ausgestaltung des sogenannten Schachtelprivilegs, eine der europaweit vorteilhaftesten Steuerregelungen für Unternehmen mit ausländischen Tochtergesellschaften hat.
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