Interview : Knill: „In der Realität sehe ich das nicht“

IV-Chef Georg Knill im Gespräch
© Marija Kanizaj

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Knill, sie haben in den letzten Monaten einen Prozess moderiert, in dem sich über 900 IV-Mitglieder aktiv an der Formulierung einer Strategie für die Industrie 2040 beiteiligt haben. Wie bekommt man 900 Meinungen unter einen Hut?

Georg Knill: Wir haben seit den Neuwahlen einige organisatorische Veränderungen im Haus, in der Struktur und in den Ausschüssen vorgenommen. Für schnelle, kurzfristige Themen haben wir Taskforces eingeführt. Innerhalb der nunmehr 12 Fachausschüsse haben wir das Engagement unserer Mitglieder genutzt, ein Zukunftsbild für Österreichs als Industriestandort zu entwerfen. Es ist überwältigend, dass sich 900 Personen an diesem Prozess beteiligt haben. Das ist vielleicht überhaupt die Kraft und Stärke der IV, als Freiwilligenverband mit den ehrenamtlichen Funktionären, zu so kompakten und klaren konkreten Visionen zu kommen. Wir sind die erste und einzige Organisation die sich jetzt schon einem strukturierten klaren Visionsprozess 2040 gestellt haben. Wir liefern unseren Input auch der Bundesregierung die sich ja auch mit Standortkonzepten befasst und hoffen, dass sich da einige Punkte in der Politik wiederfinden.

Wann wird das Konzept denn der Bundesregierung präsentiert?

Knill: Wir werden das in einer Vielzahl von direkten Gesprächen mit Partnern in der Politik, den Sozialpartnern zielgerichtet diskutiert, präsentiert und als Grundlage dafür dienen, dass wir uns in die politischen Prozesse selbst involvieren. Klar ist: Es ist schon sehr viel Papier produziert worden – es geht letztlich um die Umsetzung, deshalb haben wir unseren sieben Kernvisionen natürlich Empfehlungen für Handlungspfade, Hinweise was die ersten Schritte sein müssen und Zwischenzielschritte beigegeben. Jetzt geht es darum, das umzusetzen. Das ist mein persönlicher Anspruch und Ansporn, daran werden wir uns selbst messen – und daran messen wir auch die Bundesregierung.

Einer der zentralen Eckpunkte der Zukunftsvision ist ein klares Bekenntnis der Industrie zur Dekarbonisierung. „Nur mit der Industrie gelingt die Energie- und Mobilitätswende“ heisst es in ihrem Programm. Was sind denn die Handlungspfade zur Erreichung dieses Ziels?

Knill: Die Industrie liefert die Lösungen für die Ziele, die sich die Politik zum Thema Klima gesetzt hat. Worauf wir jetzt warten, sind Rahmenbedingungen zu denen wir mit unseren Greentech Innovationen umsetzen können. Zum Beispiel im Energiebereich: Um unser Ziel, bis 2030 in Österreich nur noch erneuerbare elektrische Energie zu produzieren erreichen zu können müssen 1500 Windkraftwerke gebaut und 27 Wasserkraftwerke wie jenes in Graz dass gerade fertiggestellt wurde, errichtet werden. Meines Wissens ist noch kein einziges Windkraftprojekt genehmigt – und das Wasserkraftwerk in Graz durchlief ein 12 jähriges Genehmigungsverfahren und 3 Jahre Bauzeit. Es sind die Einspruchsverfahren, die Verzögerungsmöglichkeiten, die Parteienstellungen, die UVPs – nicht nur im Energiebereich - ins Endlose ziehen. Und es sind interssanterweise dieselben Akteure, die Klimaschutz massiv einfordern, aber dieselben Projekte in der Umsetzung behindern.

Was erwarten Sie von der Politik? Verfahrensvereinfachungen – oder fordern Sie eine Zurücknahme der Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung?

Knill: Ich erwarte mir eine vernünftige Klimapolitik. Nur zu sagen, was alles nicht geht kann nicht gehen. Wir sind in der Funktion, das klar zu machen. Wir fordern das um die Schritte zur Ökologisierung der Industrie gehen zu können.

Bei der Bildung der bürgerlich-grünen Koalition keimte ein wenig die Hoffnung, dass die Regierungsbeteiligung der Grünen diesen Widerspruch auflösen könnte. Hat sich diese Hoffnung materialisiert?

Knill: In der Realität sehe ich das nicht. Ich erwarte mir, wenn man Klimaschutz ernst nimmt, dass man auch in diesem Bereich Initiativen setzt.

Einer der Eckpunkte der Strategie ist Digitalisierung. In ihrem Konzept heisst es als Zukunftsvision „2040 ist Österreich der am stärksten Digitalisierte Staat Europas“. Das ist mutig. Wie weit sind wir von diesem Ziel entfernt?

Knill: Sehr weit, leider. Die glaubwürdigsten globalen Digitalisierungsindikatoren, die Verwaltung, Ausbildungskompetenz, Infrastruktur und Prozesse der Digitalisierung messen, weisen uns maximal im Mittelfeld Europas aus. Und wir sehen, dass Europa diesbezüglich global eher abgeschlagen ist. Was feststellen, zuletzt in einer Studie mit Accenture ist, dass Unternehmen in Österreich in vielen unterschiedlichen Phasen und Stufen digitalisiert sind. Dass die digitalisierten Unternehmen stärker wachsen – durchaus übrigens, Stichwort Digitale Dividende – nicht nur im Umsatz und Ertrag, sondern auch bei den Mitarbeitern. Was mir allerdings Sorgen macht: Rund ein Viertel der Unternehmen, hier vor allem im KMU-Bereich sind überhaupt nicht digitalisiert. Hier sehe ich eine Gefahr der Konsolidierung und Marktbereinigung die durchaus auch in der Wertschöpfungskette dann die Industrie betrifft.

In der Überschrift zum Digitalisierungsthema steht der schöne Satz: „Die industrielle Nutzung von Daten ist Quelle gesellschaftlichen Wohlstands.“ Ist das schon bei allen Stakeholdern angekommen?

Knill: Gerade im Bereich Datenschutz muss massives Umdenken passieren. Im Datenaustausch innerhalb Europas verpassen wir gerade Riesenchancen, wenn wir nicht bald eine offene Diskussion über Datenschutz und Datennutzung führen. Wenn wir das volle Potenzial von Machine Learning ausnutzen wollen, müssen wir zu einer kritischen Masse von – natürlich anonymisierten - Daten kommen, die wir überregional sammeln können. Das funktioniert im medizinischen Bereich mittlerweile sehr gut, aber bleibt der Industrie verwehrt. Wir fesseln und ein wenig selbst in Europa. Einerseits geben wir freiwillig alle unsere Daten an anonyme US-Konzerne, die diese unkontrolliert weitergeben dürfen – aber wenn eine Behörde Daten möchte, um sie für einen digitalen Akt zu verwenden, schreit jeder.

Mit der Steuerreform, die derzeit verhandelt wird, wird auch eine CO2-Bepreisung, wohl in Form eines nationalen Zertifikatehandels kommen. Sie fordern von der Politik einen geringen Einstiegspreis von 25 Euro. Dafür mussten Sie sich von Klimaschützern ziemlich Kritik anhören…

Knill: Was wir fordern, ist einen Preis, der unter oder an jenem von Deutschland liegt um uns keinem Wettbewerbsnachteil auszusetzen. Und: Dass es zu keiner Doppelbelastung für Unternehmen kommt, die jetzt schon über den Europäischen Zertifikatehandel mit über 300 Millionen Euro jährlich belastet werden. Wir fordern einen moderaten CO2-Preis, der uns Zeit gibt, die Dekarbonisierung zu schaffen. Eines ist klar: Die Preise werden sich stark erhöhen, und sich übrigens in den nächsten 10 Jahren auch europäisch harmonisieren. Die heimische Industrie muss massiv gestärkt werden um die Investitionen die vor uns liegen zu stemmen.

Was sagen Sie Menschen, die mit Hinweis auf IHS- und WIFO-Zahlen eine Ungerechtigkeit darin sehen, dass private Haushalte 56 Prozent der Ökosteuern tragen – und nur zwölf Prozent vom Sektor Bergbau, Warenherstellung und Energieversorgung getragen werden?

Knill: Wir müssen die Diskussion anders führen: Wollen wir, dass es weiterhin eine Stahlproduktion, einen Bergbau und Energieversorgung in lokaler Wertschöpfung gibt? Wenn ja, dann gehören diese Bereiche besonders jetzt in dieser Transformation berücksichtig und geschützt. Oder wir akzeptieren, dass die weltweit umweltfreundlichste Stahl-, Papier- oder Bergbauindustrie der Erde aus Österreich verdrängt wird. Dem Klima wäre nicht geholfen, wenn der Stahl, das Papier oder der Rohstoff dann in China produziert werden. Ich glaube in dieser Diskussion herrscht grundsätzlich ziemliche Eindimensionalität: Wenn jemand sagt, das Auto ist pfui – dann ist das ein Affront für alljene, die dieses Auto brauchen, weil eben keine U-Bahn vor der Türe ist. Nicht das Auto ist Pfui, sondern dessen Emissionen.

Wie kann denn die Industrie gestärkt werden um die von ihnen angesprochenen massiven Investitionen in Grüne Technologien im nächsten Jahrzehnt zu stemmen?

Knill: Die Krise hat klar gezeigt, wo die Schwäche der Wirtschaft sind: In der Liquidität aber auch im Eigenkapital. Wir stehen vor Riesigen Investitionen, das bedarf einer gesunden Kapitalbasis. Eine Senkung der Körperschaftssteuer ist Eigenkapitalstärkend. Und dieses Anliegen hat auch eine internationale Dimension: Der Schnitt in Europa liegt bei 21,4 Prozent. Wenn wir uns auf den internationalen Durchschnitt normalisieren, hat das auch eine positive Signalwirkung für den Standort.

Eine weitere Forderung ist die Einführung abschreibbarer fiktiver EK-Zinsen, die die Steuerlast gerade für eigenkapitalstarke Unternehmen senken könnte – und diese quasi fürs Nicht-Schuldenmachen belohnt…

Knill: Für die Einführung dieser Abschreibung gibt es gute Gründe. Bislang wird Fremdkapital steuerlich bevorteilt, das gilt es auszugleichen –einige Länder, unter anderem der Nachbar Italien hat sich für dieses Modell entschieden.

Ihre Einschätzung: Kommt das mit der Steuerreform im Oktober…?

Knill: Die Gespräche die wir mit dem Finanzministerium geführt haben, lassen uns schon glauben, dass diese Ideen Berücksichtigung finden werden.

Ein letzter, nicht unwichtiger Punkt in ihrer Zukunftsvision ist das selbstbewusste Europa, das, ich zitiere „geostrategisch ausgewogene Beziehungen“ pflegt. Hoffen Sie darauf, dass Europa endlich erwachsen wird?

Knill: Wir sehen nach der Pandemie sehr klar, wo es weltweit langgeht. Die Weltwirtschaft wächst heuer um sechs Prozent – wovon allerdings wiederum nur 13% auf Europa entfallen. Wir sind wirtschaftlich abgeschlagen – und politisch abgeschlagen von den beiden anderen großen Wirtschaftsblöcken. Eine Emanzipation und Selbststärkung Europas ist dringend notwendig. Auch Joe Biden sagt ganz klar America First, wir müssen ganz klar wahrnehmen, dass die Protektionismen vonseiten der USA stark zunehmen. Wir erlauben andererseits China alles, sind viel zu offen - vom Aufkauf von Schlüsseltechnologien bis hin zu Infrastrukturprojekten, andererseits dürfen wir in China fast nichts. Hier muss es zu Reziprozität kommen.

Was folgt denn daraus, dass Europa international nicht handlungsfähig ist. Ein Wunsch zu einem stärkeren politischen Zusammenwachsen?

Knill: Die Frage ist: Wie sehr ist man gewillt, eigene Macht abzugeben? Dass es in Europa einen Reformprozess braucht, hat ja selbst die Kommission schon festgestellt und zu einem Diskussionsprozess zur Zukunft Europas aufgerufen. Ich denke, ein Hebel wäre das Einstimmigkeitsthema – muss in Wirtschaft, Sicherheitspolitik Finanz Außenpolitik es Einstimmigkeit unter 27 Staaten herrschen? Muss sich der gesamte Block bei jedem Thema nationale Interessen einzelner Länder ausliefern? Der kleinste gemeinsame Nenner ist zumeist nicht das richtige Ergebnis.