Hintergrund : Vor 45 Jahren stürmte ein Terror-Kommando die OPEC in Wien

Es war ein Sonntagvormittag, als sechs Terroristen am 21. Dezember 1975 am Wiener Schottentor aus einer Straßenbahn stiegen und das OPEC-Gebäude stürmten. Die anschließende Geiselnahme von rund 70 Menschen bei der OPEC-Ministerkonferenz hielt Österreich und die ganze Welt in den Tagen vor Weihnachten vor 45 Jahren zwei Tage lang in Atem.

Das Terrorkommando erschoss drei Menschen und erzwang die Verlesung einer antiisraelischen Erklärung im Radio, bevor es mit einem gekaperten Flugzeug und mehreren Dutzend Geiseln floh. Angeführt wurde die Gruppe, die sich "Arm der arabischen Revolution" nannte, von dem venezolanischen Top-Terroristen Ilich Ramirez Sanchez, alias Carlos. Als Drahtzieher hinter der Aktion wurde Libyen vermutet. Neben drei Palästinensern gehörten dem Kommando außerdem die beiden deutschen Linksextremisten Gabriele Kröcher-Tiedemann und Hans-Joachim Klein an.

Um 11.45 Uhr am 21. Dezember 1975 erstürmten die sechs Terroristen das Gebäude der OPEC am Dr.-Karl-Lueger-Ring (heute: Universitätsring), wo die Ölminister der Organisation der Erdöl Exportierenden Länder (OPEC) über den Ölpreis debattierten. Dabei wurden ein österreichische Polizist und ein irakischer Sicherheitsbeamter getötet. Die Leiche des dritten Todesopfers - ein libyscher Delegierter - wurde erst nach Abzug der Terroristen gefunden. Bei dem Versuch der Polizei das Gebäude zu stürmen, wurden ein österreichischer Kriminalbeamter und der deutsche Terrorist Klein verletzt.

Mit Sprengstoff und Handgranaten drohten die Geiselnehmer das Gebäude in die Luft zu sprengen und forderten die Bereitstellung einer AUA-Maschine. In dem sechseinhalbseitigen Kommunique, das im Radio in französischer Sprache verlesen werden musste, kritisierte die Gruppe die Friedenspolitik einiger arabischer Staaten gegenüber Israel, erklärten den Iran zum Agenten des amerikanischen Imperialismus und forderten die Nationalisierung des Erdöls. Die Terroristen bedauerten darin außerdem, dass sie gerade Österreich zum Schauplatz des Geschehens machen mussten. Im Falle der Nichterfüllung der Bedingungen drohten die Geiselnehmer, Geiseln im 15-Minuten-Takt zu erschießen. Der deutsche Terrorist Klein, der einen Bauchschuss erlitten hatte, wurde ins Wiener Allgemeine Krankenhaus (AKH) gebracht.

Nach zähen Verhandlungen entschied Bundeskanzler Bruno Kreisky in der Nacht auf den 22. Dezember, die Terroristen ausfliegen zu lassen. In der Früh des 22. Dezembers stand ein Postautobus vor dem OPEC-Gebäude bereit und brachte das Kommando und 33 Geiseln zum Flughafen Wien-Schwechat, wohin auch der schwer verletzte Klein aus dem AKH gebracht wurde. Die in Österreich wohnhaften OPEC-Mitarbeiter waren zuvor freigelassen worden. Ursprünglich waren rund 70 Personen - darunter elf Öl-Minister der OPEC-Länder - in Geiselhaft genommen worden. Für Aufsehen und Kritik sorgte später, dass sich der Terrorist Carlos am Wiener Flughafen mit einem Händedruck vom österreichischen Innenminister Otto Rösch (SPÖ) verabschiedete. "Danke verbindlichst für die reibungslose Abfertigung", kommentiert die deutsche Tageszeitung "Die Welt" nicht ohne Hohn die Szene.

Mit der bereitgestellten DC-9-Maschine flogen die Terroristen zunächst nach Algerien, wo die nichtarabischen Geiseln freigelassen wurden. Beim zweiten Stopp in Tripolis kamen die Ölminister Algeriens und Libyens frei. In Algier, wo die Terroristen am 23. Dezember erneut landeten, wurden schließlich die beiden letzten Geiseln - der saudi-arabische und der iranische Erdölminister - freigelassen. Vermutlich wurden hohe Summen an Lösegeld bezahlt. Die Terroristen reisten wenig später unbehelligt nach Libyen aus, das Land ihres mutmaßlichen Auftraggebers, des 2011 nach Jahrzehnten an der Macht gestürzten und getöteten Muammar al-Gaddafi.

Klein, der erst nach über 20 Jahren im Untergrund verhaftet wurde, sagte später aus, dass das Attentat zwar eine Gemeinschaftsaktion der palästinensischen Befreiungsbewegung und der deutschen Revolutionären Zellen gewesen sei. Idee, Waffen und Informationen seien jedoch aus Libyen gekommen. Das OPEC-Mitgliedsland habe durch die Geiselnahme der Minister die übrigen Mitgliedsländer "zu mehr Solidarität mit den Palästinensern" zwingen wollen, so Klein.

Der Anschlag war der erste dieser Art für Österreich und traf die Sicherheitsbehörden völlig unvorbereitet. Die Regierung hatte nicht damit gerechnet, dass die OPEC, die im Juli 1965 von Genf nach Wien übersiedelt war, überfallen werden könnte. Die Sicherheitsvorkehrungen waren gering. Kreisky räumte später einen "entscheidenden Fehler" ein, da die OPEC für die am "wenigsten gefährdete Institution" gehalten wurde.

Carlos wurde 1994 von französischen Beamten im Sudan aufgespürt und verhaftet. Er wurde an Frankreich ausgeliefert, wo der Venezolaner bis heute im Pariser Gefängnis Sante sitzt. In Österreich wurde er nie vor Gericht gestellt, aber in Frankreich wegen verschiedener Terroranschläge in Frankreich zu insgesamt dreimal zu lebenslanger Haft verurteilt - zuletzt 2017 wegen eines Anschlags in der Pariser Innenstadt 1974.

In Haft heiratete Carlos 2001 seine französische Anwältin. Er konvertierte zum Islam und stand in einem Briefwechsel mit dem verstobenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez. Dieser bewunderte "Carlos" als wichtigen Revolutionär und einen der stärksten Kämpfer für die palästinensische Sache. Auch Carlos selbst sah sich nie als Terrorist, sondern als Freiheitskämpfer: "Wie Lenin. Wie Stalin. Wie Trotzki. Das sind professionelle Revolutionäre", erklärte er 2010 in einem Interview. Auch Osama Bin Laden schätzt er als "großen Revolutionär" und "ehrbaren Mann". Vor zehn Jahren verfilmte der Regisseur Olivier Assayas das Leben von Ilich Ramirez Sanchez im Film "Carlos - Der Schakal".

Kröcher-Tiedemann wurde im Dezember 1977 an der Schweizer Grenze festgenommen und nach zehnjähriger Haft an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Ein Kölner Landgericht sprach sie 1990 jedoch von der Mordanklage im Zusammenhang mit dem OPEC-Anschlag aus Mangel an Beweisen frei.

Klein wurde 2001 zu neun Jahren Haft verurteilt. Seine Strafe wurde nach fünf Jahren Haft Ende 2003 zunächst zur Bewährung ausgesetzt. Seitdem lebte Klein wieder in der Normandie, wo er sich schon vor der Festnahme rund 20 Jahre lang versteckt hatte. 2009 wurde er begnadigt. Die Identität der drei anderen Mitglieder des Terrorkommandos - vermutlich Palästinenser - konnte nie zweifelsfrei geklärt werden.

(APA)