SUPER-SCHNITTSTELLE : Und morgen die ganze Welt?

Es war ein Herbst ganz nach dem Geschmack von Stefan Schönegger. Die Auftragsbücher in der Industrie sind gut gefüllt. Das ganze Jahr über war die gute Stimmung mit den Händen zu greifen. Auf der Automatisierungsmesse SPS IPC Drives in Nürnberg Ende November aber war der Produktstratege schlichtweg überwältigt. Es hatte wohl auch einen weiteren Grund, beschwingter als sonst zu dem so wichtigen Branchengipfel anreisen zu können.

Es gab es eine Bekanntmachung, auf die Schönegger und viele seiner Mitstreiter in der Automatisierungswelt insgeheim schon länger gehofft hatten: Die OPC Foundation, ein herstellerunabhängiger Zusammenschluss von Entwicklern, Herstellern von Industrieelektronik und Wissenschaftlern, einigte sich auf eine Erweiterung des Fokus des industriellen Kommunikationsprotokolls OPC UA: Ziel sei, OPC UA nun auch zum Standard auf der Feldebene zu machen. Ein radikaler Wandel, denn: Um die Feldebene machte die Vereinigung, die ihre Wurzeln in der Fabrikautomation hat - also von der Steuerungsebene aufwärts dachte - bisher einen Bogen. Unterhalb dieser waren die Spielräume limitiert. „Jetzt haben wir eine bahnbrechende Erweiterung des Scopes“, freut sich Schönegger.

Anschubhilfe aus Österreich

Denn es ist ein Richtungsentscheid, mit dem auch der Eggelsberger Automatisierer B&R seinem Ziel wieder ein Stück nähergekommen ist - einer Vereinheitlichung der Kommunikationsprotokolle in der Industrie. Schon 2016 formierte sich ein Konsortium, das - motiviert durch Industrie 4.0 und das Internet of Things, für das es Echtzeit-Datentraffic braucht - aus der überbordenden Zahl von Schnittstellen einen einzigen Standard schaffen wollte. Keine 15 Feldbussysteme mehr - der Gedanke motivierte. Der Markt gab dem Konsortium den vielsagenden Namen Shapers - und dachte global:

Zum Auftakt waren der amerikanische Telekommunikationsriese Cisco ebenso mit an Bord wie GE und europäische Hersteller wie der Roboterbauer Kuka, der Antriebshersteller SEW Eurodrive oder der Automatisierungskonzern ABB – und B&R sowie das Wiener IT-Unternehmen TTTech als zwei der maßgeblichen Initiatoren: "Wir übertrugen vor einigen Jahren schon die Konzepte zur zuverlässigen Vernetzung und Datenübertragung aus den Bereichen Automotive und Luftfahrt in die Windkraft", schildert TTTech-Gründer Georg Kopetz. Ergebnis war eine verteilte Steuerungsplattform für Windturbinen. Die Bemühungen, über die Partnerschaft mit Cisco im Industriekonsortium IEEE die größten Brocken hin zu einem Echtzeitstandard für Ethernet aus dem Weg zu räumen, wurden mit TSN als weltweit branchenübergreifende Lösung belohnt.

Doch damit war die Reise noch nicht zu Ende. Jetzt geht es darum, "Kommunikationslösungen einheitlich bis in die Cloud zu verbinden", sagt Kopetz. Sensor-to-Cloud - das ist das Gebot der Stunde. Über die eigene IoT-Plattform Nerve - drei Jahre Entwicklungszeit stecken bereits in ihr - verbindet TTTech Maschinen sicher mit der Cloud, indem die Grenzen der klassischen Automatisierungspyramide überwunden werden. 2016 beteiligte sich das Wiener Unternehmen deshalb auch mit dem Roboterbauer Kuka an dem kalifornischen Fog-Computing-Startup Nebbiolo Technologies.

Solche Enabler-Technologien stoßen nicht nur im Bereich Automatisierungstechnologie auf Interesse: Eine neue Lösung für den Bau- und Landmaschinensektor ist in Kürze verfügbar. Dadurch wird es möglich, zB Pay-per-Use-Modelle über eine Plattform zu administrieren. "Wir sind gerade dabei, Anwendungsfälle mit Partnern umzusetzen", sagt Kopetz. Aktivitäten dazu gebe es jedenfalls schon einige.

Neue Mitglieder

Unterdessen legten auch die Shapers zahlenmäßig zu. Seit dem Sommer haben sie ein prominentes Mitglied mehr in ihren Reihen: Der US-Automatisierer Rockwell schließt sich den Bemühungen der 13 Branchenführer an. Um Systeme mehrerer Hersteller durchgängig miteinander zu verbinden, brauche es eine "harmonisierte, interoperable Lösung", sagt Paul Brooks, zuständig fürs Business Development bei Rockwell. Das klingt fantastisch - lässt aber natürlich Interpretationsspielraum.

Wie weit Hersteller auf die Strategie der Revierverteidigung - etwa bei der kritischen Feldebene - setzen werden, werden erst die Arbeitskreise zeigen. "Ob es bei Lippenbekenntnissen bleibt, wird sich dann weisen", mutmaßt ein Vertreter eines Industrieautomatisierers, der nicht zum erlauchten Kreis der Konsortialpartner zählt. Bei B&R dagegen sieht man den Mehrwert der Shapers ja gerade darin, eine stärkere Zerfaserung des Markts für Industrieautomatisierung abzuwenden. Stefan Schönegger vergleicht die Initiative mit einem stetig anschwellenden Strom. "Am Ende werden alle von den Sachargumenten mitgerissen", glaubt er.

Oder aber von der Gravität der Kundenanforderung: „Die Hersteller haben den Anwendern in der Industrie die Vorteile einer Standardisierung aufgezeigt“, sagt der B&R-Mann. Seine Vermutung: Diese werden sie nun auch nutzen wollen. "Große Endkunden aus der Automobil- und Nahrungsmittelindustrie werden den Standard sogar resolut einfordern", glaubt er.

Auch bei TTTech, wo man Chip-IP-Lösungen und Konfigurationssoftware für TSN-Netzwerke entwickelt hat, ist man sich sicher, den kritischen Punkt überschritten zu haben. "Der Ball ist jetzt im Rollen", sagt Georg Kopetz.

2019 läuft Fertigung an

B&R drückt bei der Umsetzung aufs Tempo: 2019 will man die ersten Produkte auf den neuen Standard bringen. Eine der ersten Produktfamilien für die Umstellung ist ein echter Kassenschlager: das dezentrale Steuerungs- und I/O-System X20. Im Jahr 2020 sind dann die Antriebe von B&R an der Reihe. „Es sind dabei schon größere Änderungen aufseiten der Elektronik nötig“, heißt es bei B&R. So vollziehe man etwa bei den Halbleitern den Sprung auf die Gigabit-Physik, aber auch größere Softwareanpassungen seien erforderlich, sagt B&R-Mann Stefan Schönegger. Fertigungsseitig sei das Eintakten der neuen Produkte in die Linien dagegen kein nennenswerter Aufwand. „Da hatten wir schon komplexere Herausforderungen zu stemmen", sagt Schönegger.

Wichtig ist jetzt wie bei der Einführung jeder neuen Technologie: Es braucht Prüfzertifikate und Testsetups. Überhaupt wird dem Testen eine entscheidende Rolle zufallen. Erst waren es kleinere lokale Plugfests und Testbeds, später werden es dann die echten Konformitätstests sein. Sein ganzes Gewicht auf den neuen Standard zu legen, ist also gar kein gewagtes Spiel? "Vor zweieinhalb Jahren hätte ich die Frage vielleicht anders beantwortet", gibt Schönegger zu Protokoll. "Heute gibt es mittlerweile niemanden mehr, der deshalb nicht gut schlafen würde", sagt er.

Weiterleben werden die alten Standards so oder so noch eine Weile - selbst dann, wenn die Industrie den Migratonspfad durch eine konzertierte Aktion - also eine schnelle Produkteinführung - kurzhält. Der einfache Grund: Ersatzinvestitionen für Anlagen und Maschinen fallen in den Unternehmen nicht alle Tage an. "Es wird dann aber hoffentlich trotzdem nicht 25 Jahre dauern, bis die installierte Basis Großteils auf dem neuen Industriestandard läuft", heißt es aus dem Umfeld der Shapers.