No Ranks, to titles : New Work: Warum Keba-CEO Gerhard Luftensteiner das Tagesgeschäft führungskräftefrei hält

Industriemagazin Logo
© Industriemagazin

Herr Luftensteiner, die steigende Komplexität zu managen ist eine der großen Herausforderungen in den Managementboards. Da ist die Keba keine Ausnahme, oder?

Gerhard Luftensteiner Zukunftsannahmen sind heute sehr schnell nichtig oder zum Zeitpunkt, in dem sie getroffen werden, nur unzureichend valide. Die VUCA World* ist Tatsache. Bei der rollierenden Jahresplanung verwendeten wir früher sehr viele Energien darauf, diese im hohen Grad zu detaillieren. Das galt auch für Jahr-Zwei- und Jahr-Drei-Betrachtungen. Das haben wir dramatisch zusammengekürzt. Das brachte mehr Spielraum und Zug nach vorne. Um in einer Analogie zu sprechen: Für einen Termin im Oktober wird heute der Flug gebucht – der Langläufer sozusagen. Alles andere bleibt bis 14 Tage vorher offen, so bleibt Gestaltungsraum, man ist am Punkt und macht keine Ehrenrunden.

* (VUCA, im Englischen ein Akronym für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit, fasst die geänderten Rahmenbedingungen zusammen, unter denen im Digitalzeitalter Unternehmen organisiert und Mitarbeiter geführt werden müssen, Anm.)

Um die Entscheidungsketten zu verkürzen, verpassten Sie dem Unternehmen kurzerhand auch eine neue Organisationsstruktur.

Luftensteiner Da war nichts überstürzt. Wir haben das wie eine Bergtour geplant. Das Managementteam, bestehend aus CTO Franz Höller, mir und den vier Prokuristen zog sich ausgehend von 2016 zu regelmäßig zu Strategiemeetings zurück. Wir waren sozusagen im Vorstieg. In den Folgemonaten sind wir dann mit immer größeren Führungskreisen auf Spurensuche gegangen: Wie erreichen wir, dass wir beim Kunden Informationen und Trends schnellstmöglich aufnehmen? Was kommt aus der "new world of work" auf uns zu? Wie heben wir das volle Potential der Mitarbeiter?

Ihre Antwort: Das Tagesgeschäft "führungskräftefrei" zu halten.

Luftensteiner Die Vorgabe ist nicht ganz neu. Dem Grundsatz, Entscheidungen nicht unnötig in der Hierarchie nach oben klettern zu lassen, folgten wir bisher schon. Aber geprägt von einer ehemals gelernten Tayloristischen Denke, waren wir häufig in den hierarchischen Arbeitsstrukturen gefangen. Wir schoben diese beiseite und sagten uns: Es muss anders gehen.

Im vorigen Sommer war der Go Live der Organisationsform Keba DNA ("Die neue Arbeitswelt"). Mitarbeiter nehmen nun Rollen statt Funktionen ein, statt Abteilungen gibt es eigenverantwortliche Kreise.

Luftensteiner Es macht keinen Sinn, agile Teams zu installieren, und diese gleichzeitig ihrer Agilität berauben zu wollen, indem man darauf pocht, jede ihrer Entscheidungen sehen zu wollen. Das Vieraugenprinzip muss ausreichen.

Den klassischen Vorgesetzten gibt es in weiten Teilen des Unternehmens nicht mehr.

Luftensteiner Ein Ziel war auch, die bestehende „Macht“-Struktur sinnvoll aufzulösen - Selbstverantwortung und klassische Machtstrukturen beißen sich. No ranks, no titles, um ein Arbeiten auf Augenhöhe zu ermöglichen. Den Abteilungsleiter, bei dem sich alles bündelt, gibt es nicht mehr. Themen aus der Führung sind natürlich nicht komplett verschwunden, aber wir denken jetzt in Rollen. Rollen, die diese Themen verantworten und von verschiedenen Personen eingenommen werden. So ist zB das Thema Gehalt und Arbeitzeit ist in einer eigenen Rolle verankert, die unabhängig von der Rolle Strategie oder Budget ist. Das Verbindende ist das gemeinsame Ziel.

Wie groß sind die Teams?

Luftensteiner Das kann variieren. In der Regel sind es vier bis sechs Mitarbeiter in einer agilen Einheit. Es können aber auch zwölf sein. Es gibt Businesszellen wie etwa die Robotik und Dienstleistungszellen.

Kleine Unternehmen im Unternehmen?

Luftensteiner Innerhalb der Zelle arbeiten alle am selben Ziel - mit end-to-end-Verantwortung. Jede Businesszelle hat auch ihre eigen GuV. Wir brechen bewusst mit dem klassischen sequentiellen Arbeitsprinzip, in der die Arbeit Abteilung für Abteilung durchläuft. Übrigens in gutem Einvernehmen mit dem Betriebsrat.

Ist ein Rollentausch vorgesehen? Nicht jeder kann oder will 30 Jahre im Unternehmen das selbe machen.

Luftensteiner Die Idee ist, sich mitarbeiterseitig Rollen zu suchen, die mit den eigenen Fähigkeiten und Leidenschaften korrelieren. Auf einem Marktplatz können Rollen angenommen oder abgegeben werden. Ein Mitarbeiter will drei Monate in einem Forschungsprojekt arbeiten? Dann soll er die Möglichkeit dazu haben. Die Freiheit, dies zu tun, bringt einen ganz anderen Zug in der Organisation, zeigt das erste Jahr. Wir pressen unsere hochintelligenten, top ausgebildeten Mitarbeiter nicht mehr länger in ein starres Korsett.

Was hat Sie inspiriert?

Luftensteiner Wir haben die Konzepte der großen internationalen Vorreiter der Arbeitsorganisation gepaukt, tauschten uns aus. Mit dem Organisationsexperten Niels Pflaeging diskutierten wir hier in Linz zwei Tage. Und Bücher wie "Reinventing Organizations" des ehemaligen Mc-Kinsey-Beraters Frederic Laloux waren für mich persönlich die größte Inspirationsquelle. Übrigens es gibt auch eine interne Bibliothek mit Literatur zum Thema „Neues Arbeiten“, die wandert durchs Haus.

Sie greifen auch die Ideen der Holakratie auf. Eines formalistischen, manchen zu formalistischen Managementsystems.

Luftensteiner Die Konzepte der Holocracy beinhalten in erster Linie Tools. Und Techniker stützen sich gerne auf Tools. Bei unserem Organisationswandel unterstützte uns das Rollenmanagement auf Basis der Holocracy aber nur zu einem kleinen Teil. Der tiefgreifendere Wandel war, in der Belegschaft das Grundverständnis für die große Veränderungsdynamik unserer Zeit zu schaffen. Dass es beispielsweise nicht der „Bosheit“ eines Vertriebskollegen geschuldet ist, von der Produktentwicklung neues zu verlangen - sondern dass es eine unmittelbare Marktanforderung ist.

Die Entscheidung zur neuen Organisationsform fiel nicht in einem Moment der Schwäche - das Unternehmen wuchs die letzten Jahre stark, was Sie als Miteigentümer freuen wird.

Luftensteiner Es ging und geht uns bestens. 2017 haben wir neuerlich einen großen Schritt nach vorne gemacht. Wir haben den Wandel aus dem Optimismus heraus angestoßen und dem Bild,die Mitarbeiter noch stärker mitziehen zu lassen. Ihre Leistungen sind jetzt für die gesamte Organisation viel erkennbarer. Mitarbeiter wollen etwas neues ausprobieren oder ihren Horizont erweitern - jetzt haben sie die Gelegenheit dazu.

Wie entlastet die Organisationsform den Vorstand?

Luftensteiner Immer mehr Dinge laufen von ganz allein. Das schafft das Vertrauen, dass es funktioniert.

Nie Zweifel?

Luftensteiner Natürlich gibt es Phasen, in der wir uns denken, in der Organisation ganz schön etwas losgetreten zu haben. Doch dann sehen wir den Mitarbeitern ins Auge, sehen die Begeisterung und wissen, auf dem richtigen Weg zu sein.

Wie fällt das Feedback der Kunden aus?

Luftensteiner Das wird die nächste Kundenbefragung zeigen. Mein Eindruck ist schon der, noch markt-und kundennäher geworden zu sein.

ZUR PERSON

Gerhard Luftensteiner, 60, ist seit 1984 bei Keba, seit 1999 in der Geschäftsführung und seit 2006 CEO. Gemeinsam mit den Töchtern der Familie Kletzmaier und CTO Franz Höller hält er über die KLH BeteiligungsGmbH 51 Prozent am Unternehmen.

In der neuen, zellenbasierten Organisation, die seit knapp einem Jahr betrieben und zuvor mit den Mitarbeitern entwickelt wurde, setzt das Unternehmen auf Selbstverantwortung. Jeder habe nun drei bis vier selbst gewählte Rollen inne, "in denen er Spaß und Kompetenz hat" - es bleibe auch keine ungeliebte Aufgabe über, jemand übernahm es etwa gern, die Verkaufszahlen für das Controlling aufzubereiten, was den Verkäufer enorm freute, brachte Luftensteiner ein Beispiel. Eine Person könne für Mitarbeiterführung zuständig sein, eine andere trage Budgetverantwortung.

Leader statt Führungskraft

Es gebe keine klassische Führungskraft, wohl aber Leader, die je nach Aufgabe wechseln können. Ein Tool zeige sofort an, wer welche Rolle innehabe. "Es ist kein Modell, dass alle überall mitquatschen", betonte Luftensteiner. Ein oberster Kreis synchronisiere und stimme ab. Jede Zelle habe einen Zweck zu erfüllen und Ziele.

Es gehe darum, dass sich "die Leute mit ihren vollen Fähigkeiten einbringen können und Spaß daran haben, sie sollen ihre berufliche Erfüllung finden." Die Bezahlung blieb gleich. Er selbst und auch andere hätten sich viel mit neuen Entwicklungen auseinandergesetzt, die Leute sollen - frei nach dem Prinzip des Neurobiologen und Buchautors Gerald Hüther - eingeladen, ermutigt und inspiriert werden.