IV-Präsidentschaft : IV-Präsident Georg Knill: "Mittelmaß ist für Österreich zu wenig"

IV-Präsifent Georg Knill in Office
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INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Knill, der Wahlkampf zur IV-Präsidentschaft wurde durchaus emotional geführt. Müssen Sie nun erst einmal die Gräben zuschütten, die aufgerissen wurden?

Georg Knill: (lacht) Ich bin jetzt den dritten Tag am Wiener Schwarzenbergplatz und kann Ihnen versichern, keine Gräben vorgefunden zu haben. Die Auseinandersetzung war fair, wir hatten einen Diskurs der besten Ideen. Jetzt gehen wir geeint die Herausforderungen dieser Zeit an. Meine Hand ist in Richtung Oberösterreich ausgestreckt, die Stelle des dritten Vizepräsidenten wurde von mir ganz bewusst freigehalten.

Braucht es, wie Wolgang Eder meinte, mehr Drive in der IV, frischen Wind in der altehrwürdigen Institution?

Knill: Wir haben in den letzten Wochen sicher einen Demokratisierungsschub erfahren. Das ist kein Fehler und schadet nicht.

Ein AUA-Rettungspaket wurde geschnürt, Corona-Wirtschaftshilfen mit Startschwierigkeiten auf den Weg gebracht, Investitionsprämien angekündigt. Verdient die Summe aller Maßnahmen schon den Titel nachhaltiges Investitionsprogramm?

Knill: Dem ersten Konjunkturprogramm der Regierung müssen weitere Schritte folgen. Investitionsförderbeiträge sind der richtige Zugang. Es braucht jedoch auch die Vorziehung sinnvoller öffentlicher Investitionen in die Infrastruktur, die Senkung der Lohnnebenkosten – und auch bei der Körperschaftsteuer (gefordert wird die Senkung von 25 auf 21 Prozent, Anm.) müssen wir etwas tun. Es braucht Wachstum, Wachstum, Wachstum - und das investitionsgetrieben und nachhaltig. Nur so können wir den Konsum stärken und Kapital sichern.

Die IV spricht vom Herausinvestieren aus der Krise.

Knill: Es ist erwiesen, dass der volkswirtschaftliche Weg aus Krisen am besten über investitionsgetriebenes Wachstum gelingt. Insofern ist das eine Forderung der Vernunft. Die Investitionsprämien haben eine Hebelwirkung. Natürlich ist die starke Substanz vom Vorteil, die Österreichs Industrie seit jeher ihr Eigen nennt und mühsam aufgebaut hat. Und die Agilität, mit der wir uns erfolgreich Transformationen stellen.

Sind die Krisenkosten ohne neue Steuern refinanzierbar?

Knill: Auch, wenn wir jetzt die Staatsschuldenquote in Richtung 90 Prozent treiben, bleiben wir im orangen Bereich und alles ist regelbar. Über das künftige Wachstum bleiben die Krisenkosten gut rückverdienbar. Gespart werden muss durch einen effizienteren Staat. Würden in der Verwaltung Kosten gesenkt, könnten auch alle Leistungen des Staates beibehalten werden. Wichtig ist, das zarte Pflänzchen Wachstum nicht durch eine zusätzliche Besteuerung der Bürger zum Knicken zu bringen.

Corona legt die Kraft eines Wirtschaftsraums schonungslos offen. Was lernt Europa aus der Krise?

Knill: Corona hat uns gezeigt, dass große Reformkraft in Europa steckt. Das sollten wir nutzen. Krisen sind wie Katalysatoren, sie ordnen die Dinge nicht neu, sie beschleunigen sie. Den Vormarsch der Digitalisierung. Den Klimaschutz. Innovationen in der Mikroelektronik und den Erneuerbaren Energien. Das ist unsere Chance, genügend globales Kapital und großinstitutionelle Anleger stehen ja bereit. Aber wir dürfen nicht zu defensiv agieren. Ich denke, das Bewusstsein innerhalb der europäischen Staaten und ihrer Verantwortungsträger dafür ist vorhanden. Wenn wir auch noch vor der Aufgabe stehen, die Kleinteiligkeit im Stimmverhalten zu überwinden.

Im Außenhandel tritt China zunehmend selbstbewusster auf. Der liberalen, offenen Marktwirtschaft des Westens steht Chinas staatlich gelenkte Investitionspolitik mit teilweiser Marktabschottung gegenüber. Was muss Europa tun, um im Wettbewerb der Systeme nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten?

Knill: Wir sind sicherlich noch nicht ins Hintertreffen geraten. Vor allem in den großen Zukunftsbereichen, der Mikroelektronik, den Life Sciences, ist aber Vorsicht geboten. Hier braucht es massive Investitionen in Technologien. Nur dann haben wir als starkes Europa für die nächsten Dekaden eine starke Wettbewerbsposition.

Mit Corona kehrt die alte Frage zurück, wieviel Einfluss Investoren aus dem Ausland bei Austrofirmen nehmen dürfen. Braucht es einen wirksameren Schutz vor dem Ausverkauf etwa an China?

Knill: Wir sehen klar, wie sich China zu einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt entwickelt hat, mit einem Wertesystem, das nicht dem europäischen Wertesystem entspricht, mit Methoden, die nicht unserer Ethik entsprechen. Und der damit verbundenen Gefahr, Technologien an China abzugeben und uns damit in größere Abhängigkeiten zu bringen. Der Zeitpunkt ist gut, gegenzusteuern.

Wie bewerten Sie das geplante Gesetz zur Investitionskontrolle (Anm.: Bei sensiblen Bereichen wie etwa digitaler Infrastruktur braucht es für einen Einstieg eines ausländischen Unternehmens von mehr als zehn Prozent künftig eine Genehmigung des Ministeriums)?

Knill: Das Vorhaben erscheint mir noch etwas unausgegoren. Zum einen stellt es einen nicht unwesentlichen Eingriff in die Eigentumsrechte dar. Und es wirft die Frage auf, wer ein Unternehmen denn stattdessen erwerben wird, wenn nicht der ausländische Investor. Richtig ist natürlich, dass etwa China eine ganze Reihe von Sektoren teils oder ganz für ausländische Investoren gesperrt hält. Da braucht es Reziprozität und Fairness für Europa. Diesen Grundgedanken unterstützen wir. Weiters sind die genauen Spezifikationen für Systemrelevanz zu klären.

Sehen Sie Spielraum für eine größere Re-Regionalisierung?

Knill: Es wird diese Entwicklung geben. Aber ich sehe definitiv keinen Abgesang auf die Globalisierung. Sie hat uns erst zu jenem Wohlstand geführt, den wir heute privilegierterweise genießen dürfen. Es wird aber dort zu Rückverlagerungen kommen, wo wir Produktionsschritte zu leichtfertig, auch im naiven Glauben daran, dieselben Werte zu vertreten, aus der Hand gegeben haben.

Stichwort EU-Haushalt: Wie weit sollen stabilisierende Maßnahmen für Europas in Mitleidenschaft gezogenen Süden gehen? Ist Österreichs Position in der „Runde der Bremser“ nachvollziehbar?

Knill: Als Bremser würde ich die Runde nicht bezeichnen. Vielmehr als Runde der Vernünftigen. Es braucht Hilfe für ein starkes Europa. Ebenso die Gewissheit, dass diese Hilfen an die Bedingung geknüpft sind, Reformen in Angriff zu nehmen. Schicken wir einfach nur Geld nach Italien, ist nicht mehr als eine Vergemeinschaftung von Schulden erreicht. Das kann nicht das Ziel sein.

Der New Green Deal soll Europa in eine nachhaltigere Zukunft führen. Wie fügt sich dieses Vorhaben in die jetzige Aufschwungdramaturgie?

Knill: Österreichs Industrie stellt sich der Verantwortung bei Ökologisierung und Klimaschutz. Und wir beginnen ja nicht bei Null. Deshalb braucht es Klimavernunft. Negative Beschäftigungseffekte sind zu vermeiden. Wir befürworten den Green Deal, er darf jedoch nicht kontraproduktiv zum Aufschwung stehen.

Bei der Digitalisierung gibt es in Österreich erheblichen Aufholbedarf.

Knill: Hier braucht es vor allem Nachdruck. Im EU-Index für Digitale Wirtschaft (DESI, Anm.) liegen wir abgeschlagen auf Rang 13. Wir sind bedauerlicherweise nur Mittelmaß. Das ist für Österreich zu wenig. Wir müssen den Anspruch haben, in die Top-3 zu kommen. Bei der Verwaltung, aber auch in der Ausbildung und bei der Infrastruktur. Die zweite Breitbandmillarde ist begrüßenswert, aber diese Mittel müssen erst einmal unter die Erde gegraben werden. Und es braucht mehr Investitionen in Datenfarmen, das Internet der Dinge und die Künstliche Intelligenz.

Die letzten Jahre mühten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer um ein für beide Seiten akzeptables Modell der Arbeitszeitflexibilisierung. Wird man angesichts von Corona jetzt bald wieder am Verhandlungstisch sitzen?

Knill: Die Krise hat ja eindrucksvoll gezeigt, was auf einmal alles möglich ist. Es sind urplötzlich neue Formen der Zusammenarbeit entstanden. Unser Arbeitsrecht ist historisch gewachsen und stellt ein Konglomerat aus 60 Jahren plus Verhandlungen dar. Ein zukunftsweisendes neues Modell der Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen, wäre im Interesse der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber – ob es gelingt?

Beim Aufsetzen des Kurzarbeitsmodells handelten die Sozialpartner rasch und entschieden. Was erwarten Sie sich von einer modernen Sozialpartnerschaft?

Knill: Ich halte vor allem von der betrieblichen Sozialpartnerschaft sehr viel, wir leben den Interessensausgleich. Das hat uns die letzten Jahrzehnte erfolgreich macht. Die institutionelle Sozialpartnerschaft hat dagegen an Glanz und Gloria verloren. Es ging um Partikularinteressen und nicht das große Ganze. Eine gute Sozialpartnerschaft ist – wenn sie eine Zukunftspartnerschaft ist - jedoch wünschenswert und gut für das Land. Dementsprechend freue ich mich auf die Gespräche mit den Kammern und der Gewerkschaft.

Vielen Dank für das Gespräch!