Fabrik 2012 : „Es herrscht Krieg“

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Grillo, Sie sind Vizepräsident des BDI (Bundesverbandes der deutschen Industrie) und gelten doch seit Jahren als Kassandrarufer, wenn es darum geht, die Rohstoffversorgung der Industrie zu beklagen. Hört man Ihnen nicht zu?Ulrich Grillo: Ich glaube, man hört mittlerweile sehr genau zu. Die deutsche Politik – und nur für die kann ich sprechen – hat die Problemstellung und den Handlungsbedarf mittlerweile erkannt.Und die Problemstellung wäre ...?Ulrich Grillo: Nun, die Weltbevölkerung und die Wirtschaft wachsen, aber andererseits sind die Rohstoffe – vor allem die metallischen – beschränkt, die wachsen nicht. Auch dann, wenn man Recycling betreibt. Wir sind als klassisch rohstoffarme Länder zudem Marktmechanismen wie Oligopolen auf gewissen Rohstoffmärkten und auch politischen Mechanismen wie Handelshemmnissen und Beschränkungen ausgesetzt. Die Politik fängt langsam an, das strategisch anzugehen und sich angesichts der Zwangslage strategische Überlegungen zu machen.Herr Buxbaum, Sie haben als Leiter der Division Rohstoffe und COO des Feuerfestherstellers RHI zuletzt mit Handelshemmnissen aus China Erfahrung gemacht. Welche?Franz Buxbaum: Das ist richtig. Einer unserer Hauptrohstoffe ist Magnesia. Die größten Vorkommen dieser seltenen Erde sind in wenigen Regionen der Welt konzentriert – vor allem in China. Vor zirka 20 Jahren begann man in China, den Markt mit günstigem Magnesit zu überschwemmen und so eine gewisse Abhängigkeit der erzeugenden Industrie Europas zu schaffen. Denn teurere Produktionsmethoden, wie die Herstellung von Magnesia aus Meerwasser, wurden dadurch unrentabel. Der Boom Ende des letzten Jahrzehnts hat allerdings zu Engpässen geführt und dazu, dass China Rohstoffexporte besteuert und sogar Ausfuhrobergrenzen in Form von Exportlizenzen festlegt. Das führte in der Spitze zu einem Aufschlag von mindestens 100 Prozent des Warenwertes auf Magnesia. Wenn Sie jetzt noch wissen, dass der Rohstoffpreis fast 55 Prozent unserer Herstellkosten beträgt, können Sie sich vorstellen, was das für uns bedeutet hat. Hier gehts weiter

Herr Falch, Ihr Vormaterial ist, als größter Alu-Recycler Europas, Aluminiumschrott. Jetzt könnte man meinen, Ihr Vormaterial, das enorm voluminös und leicht ist, hätte einen geringen Lieferradius. Wie betrifft Sie diese Gemengelage?Gerhard Falch: Wir betreiben in Kanada eine Elektrolyse, die Primäraluminium herstellt, in Österreich sind wir Recycler, rund 80 Prozent unserer Produktion basiert auf der Versorgung mit Aluminiumschrott. Und hier beobachteten wir in der Vergangenheit einen regelrechten Staubsaugereffekt nach Fernost. Aufgrund von Steuerbefreiungen in China und der großen Menge an Leertransporten aus Europa nach China wurde es für asiatische Hersteller rentabel, europäischen Aluschrott zu importieren. Das ist ein Problem für Aluschrottverarbeiter, weil damit unser Vormaterial viel teurer wird – aber vor allem auch ein gesamtwirtschaftliches: Aluminium muss mit extrem viel Energie hergestellt werden. Wir exportieren damit teure Energie nach Asien.Ulrich Grillo: Das ist tatsächlich eines der wichtigsten Themen derzeit, dieses „Chinese Packing“. Der Schrott wird heimlich, versteckt hinter anderen Waren, verschifft. Und das Handling in China geschieht dann unter schlimmsten humanitären Bedingungen.Jetzt könnte man natürlich auch Verständnis dafür aufbringen, dass ein rohstoffarmes, rohstoffhungriges Land im Wachstum zuerst seine Industrien schützt und mit Rohstoffen versorgt. Ist dem so, Herr Zillner – oder steckt da mehr dahinter?Michael Zillner: Ich glaube – und darüber dürfte hier in der Runde Konsens herrschen –, man setzt in China die neu gewonnene Macht sehr geschickt ein. Das ist halt eine gelenkte Wirtschaft. Da lassen sich auch industriepolitische Strategien – etwa die Zerstörung fremder Industriezweige dadurch, dass man sie von den eigenen Rohstoffen abschneidet – durchaus denken.Herr Untersperger, die europäische Wirtschaft und unsere Gesellschaft sind alles andere als gelenkt. Im Vorgespräch zu unserer Diskussion haben Sie etwas Interessantes gesagt: Rohstoffnationalismus spielt sich nicht nur zwischen großen Machtblöcken ab, sondern sogar innerhalb der EU.Peter Untersperger: Das stimmt. Gerade in den osteuropäischen EU-Mitgliedsländern beobachten wir das sehr oft. Wenn dort nach Wahlen Nationalisten an die Macht kommen, dann ist Europa das eine und die aktuelle Politik das andere. Da kann die EU-Kommission oder die WTO Mahnungen aussprechen, aber das geht da rein und da wieder raus. Wir merken das ganz stark im Holzbereich. Da gibt es Exporteinschränkungen, oft auf informellem Weg. Hier gehts weiter

Herr Kühnel, wenn die Werte der EU – also freier Warenverkehr – nicht einmal innerhalb der EU durchgesetzt werden können, wie soll man als österreichisches Unternehmen dann darauf vertrauen, dass die EU im weltweiten Kampf um Rohstoffe unterstützend eingreift?Richard Kühnel: Wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten. Erstens: Wir sollten nicht Probleme innerhalb Europas so aufblasen, dass man gleich sagt, der europäische Binnenmarkt funktioniert nicht. Das funktioniert innerhalb Europas recht gut. Natürlich gibt es eigene Interessen – aber noch gibt es offenbar keinen gemeinsamen politischen Willen dazu, so zu werden wie die zentral gesteuerten Vereinigten Staaten. Gerade im Rohstoffbereich merkt man das. Wir können innerhalb der EU nur versuchen, einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen. Zweitens: Wenn wir auf dem Weltmarkt Bestand haben wollen, dann brauchen wir einen europäischen Verband, um auf Augenhöhe zu antworten. Ja, wir sind schwerfälliger, aber wir haben eben Demokratie, und ich bin froh, dass wir kein zentralistisches und diktatorisches System haben. Wie ließen sich denn etwa China oder die USA dazu bewegen, internationales Recht einzuhalten?Richard Kühnel: Wir wollen die Chinesen an diese Regeln heranführen. Wir müssen ihnen zeigen, dass mehr Macht auch mehr Verantwortung mit sich bringt. Und sie spüren das ja schon. Je mehr Macht sie selbst haben, desto größer ist auch deren Interesse an Stabilität – und die gibt es nur unter Einhaltung von Regeln.Peter Untersperger: Ich glaube, wir Europäer haben den Ernst der Lage nicht realisiert. Wir sind Gott sei Dank kein diktatorisches Regime, aber das, was auf dem globalen Markt für Rohstoffe passiert, ist Krieg. Die Art und Weise, mit der sich China Rohstoffe in Afrika und Asien sichert, sind keine Spielchen, da existiert ein Masterplan, und der wird umgesetzt.Gerhard Falch: In diesem Punkt will ich Untersperger unterstützen. Die Chinesen folgen in einem Masterplan einer beinharten Politik. Denken Sie an das Thema geistiges Eigentum, das wird mit einer derartigen Nonchalance vom Tisch gewischt, das ist unglaublich. Seltene Erden sind ein klassisches Beispiel, wie man vorgeht, um den Mitbewerber zu ruinieren. Das ist alles geplant, kein Zufall. „Krieg“ ist vielleicht zu hart, aber es trifft den Kern der Sache. Hier gehts weiter

Herr Untersperger, Sie kritisieren, dass die europäische Wirtschaftspolitik industriefeindlich ist. Eine Frage an die Runde: Hat nicht die jüngere Geschichte gezeigt, dass das Dogma von der Dienstleistungsgesellschaft zu verwerfen ist? Dass angesichts der Tatsache, dass die einzigen Länder, die diese Krise relativ unbeschadet überstanden haben, jene mit intakter Produktionsbasis sind, die alles – von der Umweltpolitik bis zur Steuerpolitik – in der EU neu denken?Peter Untersperger: Allerdings. Es fehlt eine klare Ansage, die das konterkariert, was man bis vor kurzem zum Dogma erhob. Ich erinnere mich an Aussagen des EU-Kommissars Mandelson, wonach rohstoffintensive Industrien in Europa nichts mehr zu suchen hätten. Von der Politik werden der Industrie nur Prügel vor die Beine geworfen. Die EU veranstaltet einen Mummenschanz um die Einsparung von 12 Prozent der CO2-Emissionen, und darum, wie hart die 100 Prozent, von denen die abgehen sollen, bereits durch Effizienzmaßnahmen erkämpft wurden, darum kümmert sich keiner. Ich denke, all die diplomatischen Delegationen sollten nicht nur Sehenswürdigkeiten besuchen und Kulturabkommen machen, sondern sich auch um die österreichische Industrie kümmern.Gerhard Falch: Ich erinnere nur an unser Versprechen beim Kyoto-Protokoll. Es ist ja auch unerträglich, dass Politiker etwa in Sachen Kyoto-Protokoll Dinge versprochen haben, die völlig unmöglich einzuhalten sind.Ulrich Grillo: Ich will die EU auch in Schutz nehmen, die machen schon vieles richtig. Eine weitere Harmonisierung innerhalb Europas wäre wichtig, da sind wir aber auf dem richtigen Weg. Aber: Um die Industrie zu erhalten, brauchen wir eine sichere, saubere Energieversorgung und eine sichere Rohstoffversorgung. Nur so kann man den Industriestandort Europa erhalten. Herr Grillo, Sie haben in dieser Beziehung seit Anfang des Jahres einen – wie Beobachter meinen – durchaus mutigen Schritt gesetzt. Koordiniert vom BDI wurde eine Rohstoff-Allianz aus der Taufe gehoben. Was soll die tun?Ulrich Grillo: Wir wollen mit der Rohstoff-Allianz ein schlagkräftiges Unternehmen darstellen, das die Rohstoffsicherheit unserer Industrie nachhaltig verbessern soll. Das Ziel ist die Beteiligung an Rohstoffprojekten, wir wollen hier und da in Explorationsprojekte gehen und in Vorphasen mit interessierten Partnern gehen. Die Gesellschaft soll das Rohstoff-, Finanzierungs- und Projekt-Knowhow bündeln, vielleicht auch Geld auftreiben, etwa über Rohstoff-Fonds – also das ganze Thema aufgreifen.Wer ist an dieser Rohstoff-Allianz beteiligt?Ulrich Grillo: Insgesamt 12 deutsche Industrieunternehmen. Mir ist wichtig, zu betonen, dass dies zusätzliche Anstrengungen der Mitglieder sind, ihre Rohstoffbasis zu sichern – nicht die einzige.Ist diese Allianz auch für österreichische Unternehmen offen?Ulrich Grillo: Wir sind natürlich offen für Unternehmen aus der Europäischen Union, wollen es aber zu Beginn nicht zu komplex machen. Die Nachfrage, wer alles mitmachen will, ist unglaublich.In welchen Bereichen engagiert sich diese Allianz, die ja erst zu Jahresbeginn aus der Taufe gehoben wurde, eigentlich?Ulrich Grillo: Wir definieren uns im Rohstoffcluster aus, wollen es aber vorerst einfach halten. Bislang sind seltene Erden, Wolfram, Kokskohle und Grafit als Cluster definiert.Herr Untersperger, gibt es bereits Kontakte der IV mit dem BDI und der Rohstoff-Allianz?Peter Untersperger: Ja, es gibt bereits Kontakte zu IV-Präsident Sorger, da wird sich bestimmt etwas entwickeln.Abschlussfrage: Wäre so ein nationales Vehikel zur Rohstoffsicherung nicht auch ein Vorbild zur Nachahmung für die Industriellenvereinigung?Peter Untersperger: Wir müssen die Kirche im Dorf lassen: Die heimische Industrie ist nicht einmal ein Zehntel so groß wie die deutsche. Ich glaube allerdings, dass sich die Unternehmen individuell am Markt umsehen müssen, anders ist es nicht möglich, sich die Rohstoffe zu sichern. Es geht uns eher darum, in der Politik Problembewusstsein zu schaffen. Der INDUSTRIEKONGRESS 2012Unter dem Motto „Im Sog der Geopolitik“ diskutierten am 19. Juni im Messezentrum Wels am INDUSTRIEKONGRESS 2012 heimische und internationale Wirtschaftsführer die Implikationen des globalen Wettlaufs um Energie und Rohstoffe. So trafen Joschka Fischer (Bundesaußenminister a. D.) und Dkfm. Claus Raidl, Oesterreichische Nationalbank, auf Prof. Konrad Paul Liessmann (Philosoph, Universität Wien), um über ein Zusammenwachsen Europas als Antwort auf die weltweite Rohstoffproblematik zu diskutieren. DI Dr. Kurt Hofstädter, Sektorvorstand Industry CEE, Siemens AG, Dr. Karl Müller, austriamicrosystems AG, Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident und Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender des Stahlinstituts VDEH, und Prof. Franz Staberhofer (FH Steyr) erörterten „Energie- und Ressourceneffizienz. Trends der Zukunft“. Der INDUSTRIEKONGRESS 2013 findet im Juni 2013 statt.