Maschinenbau : "Nur 5 Prozent der Emissionen entstehen in Produktion"

Johannes Schneider, PwC Strategy&: "65 Prozent der Emissionen entstehen durch die Verwendung des Produktes, also nachgelagert zur eigentlichen Produktion."
- © PwC Strategy& (Austria) GmbHJohannes Schneider ist Experte für Industriegüter- und Energieversorgungsunternehmen. Als Consultant berät er in den Bereichen Strategie, Organisationsdesign und Innovationsmanagement. Seit Jänner 2022 ist er Partner bei Strategy& Österreich, der Strategieberatung von PwC. Das INDUSTRIEMAGAZIN traf ihn zum Interview.
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Dr. Schneider, 43 Prozent der Maßnahmen zur CO2-Reduktion im Maschinenbau konzentrieren sich auf Entwicklung und Herstellung der eigenen Produkte. Konzentrieren sich die restlichen 57 Prozent also auf Bereiche, in denen weitaus mehr CO2 ausgestoßen wird?
Johannes Schneider: Beim Emissionsausstoß wird zwischen Scope 1, 2 und 3 unterschieden. Während sich Scope 1 auf den eigenen direkten Emissionsausstoß bezieht - bei einem Maschinenbauer also um Emissionen, die im Werk entstehen - geht es bei Scope 2 um indirekte Emissionen bei der Erzeugung der verwendeten Energie.
Ein Großteil der Emissionen in der Größenordnung von 95 Prozent fällt allerdings bei Zulieferbetrieben der Maschinenbauer an, also bei den Produzenten von Roh- oder Halbfertigprodukten oder den Lieferanten von Komponenten, sowie auch dann, wenn die fertige Maschine tatsächlich bei ihren Kunden im Betrieb ist. Diese indirekten Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen, zählen zu Scope 3. Unsere Analysen zeigen, dass 43 Prozent der Maßnahmen zur Emissionseinsparung Scope 1 und 2 nur 5 Prozent des tatsächlichen CO2-Ausstoßes adressieren.
Das verhält sich nun aber sicherlich nicht bei jedem Unternehmen gleich.
Schneider: Der konkrete CO2-Ausstoß eines Unternehmens hängt natürlich von vielen verschiedenen Faktoren wie der Unternehmensgröße, Produktionstechnologien oder Produktionsstandorten ab. In unserer Studie gehen wir davon aus, dass ungefähr 65 Prozent der Emissionen durch die Verwendung des Produktes, also nachgelagert zur eigentlichen Produktion, entstehen. Dagegen entfallen nur etwa 5 Prozent auf die eigentliche Produktion. Circa 25 Prozent der Emissionen entfallen auf Vorprodukte und Leistungen von Zulieferern, und etwa 3 Prozent auf Transport und Distribution.
Der Maschinenbau ist jedoch sehr divers, sodass es sein kann, dass die Verteilung der Emissionen für einzelne Sub-Sektoren variiert. Gleichzeitig kann man feststellen, dass etwa ein Unternehmen, das Maschinen für die Plastik-Verpackungsindustrie herstellt, in Summe einen höheren Fußabdruck aufweist als etwa ein Unternehmen, das Maschinen zur Behandlung von biogenen Abfällen produziert.
CO2-Reduktion: nicht immer "leicht verständlich"
Woran liegt es, dass sich Maschinenbauer – wenn überhaupt – noch zu so einem großen Teil auf die CO2-Reduktion in Entwicklung und Herstellung konzentrieren? Spielt tatsächlich Unwissenheit eine Rolle in diesem „suboptimalen“ Kräfteeinsatz?
Schneider: Ein wesentlicher Grund, warum sich die meisten Maßnahmen zur Emissionseinsparung auf die eigene Produktion und zugekaufte Energie, also Scope 1 und 2, beziehen, ist die fehlende Transparenz und Messbarkeit. Nur 30 Prozent der untersuchten Unternehmen berichten über Scope 3-Emissionen, wenngleich diese indirekten Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette einer Organisation entstehen, mit 95 Prozent den deutlich überwiegenden Anteil der gesamten CO2-Emissionen ausmachen. Ohne die nötige Transparenz ist es nur bedingt möglich, die effektivsten Maßnahmen zur Emissionseinsparung zu ergreifen.
Stattdessen konzentrieren sich viele Unternehmen bislang auf jene Bereiche, die sie verstehen - also Scope 1 und 2. Die ESG-Regulierung in Europa mit CSRD und EU-Taxonomie wird künftig auch nicht börsennotierte Mittelständler zwingen, über ihre Scope 3-Emissionen zu berichten und dabei den grünen Umsatzanteil oder die Klimaintensität von Investitionen unter Berücksichtigung der Emissionen in der Nutzungsphase offenzulegen. Dadurch wird der Druck auf die Unternehmen steigen, auch bei der Reduzierung von Scope 3 zu handeln.
Was bedeutet ESG?
Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit fällt auch oft das Kürzel ESG: Environment, Social, Governance.
Während das S sich also auf soziale Aspekte der Unternehmensführung (etwa Arbeitssicherheit,gesellschaftliches Engagement, Diversität) konzentriert, geht es bei E um Umweltthemen wie Umweltverträglichkeit, Emissionen (etwa CO2) und Energieeffizienz.
Bei G dreht sich alles um die nachhaltige Unternehmensführung. Insgesamt bezeichnet ESG also nicht finanziell messbare Kennzahlen eines Unternehmens, die für viele Investoren und Kunden durchaus interessant sind.
Dem verwandt ist auch CSR (Corporate Social Responsibility).
Abfall, Anlagen, Kreisläufe – viele Möglichkeiten der Emissionsreduktion
Mit welchen Maßnahmen können Maschinenbauer die Emissionsreduktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette angehen?
Schneider: In unserer Studie unterscheiden wir zwischen unterschiedlichen Maßnahmenkategorien zur Emissionsreduktion, welche sowohl funktional als auch funktionsübergreifend gelagert sind. Zum einen können etwa die Optimierung von Abfallrecycling oder die Umstellung auf regenerative Energiequellen relativ unkompliziert umgesetzt werden.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Reihe von tiefgreifenderen Maßnahmen, die die Produkte beziehungsweise Prozesse betreffen und somit einen stärkeren Effekt auf die Scope 3-Emissionen haben können. Dazu zählt der verbesserte Energieverbrauch von Anlagen beim Kunden, welche sich beispielsweise automatisch in den Stand-by-Modus begeben, oder das Optimieren von internen und externen Transportrouten.
Den größten Effekt zur Emissionsreduktion sehen wir aber, wenn Wertschöpfung auf Basis von Nachhaltigkeit neu gedacht wird. Dies bedeutet beispielsweise das Redesign von Produkten mit dem Ziel der stärkeren Modularisierung. Dadurch eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten im Bereich der Kreislaufwirtschaft und somit auch im Emissionsreduktionspotential.
Lesen Sie auch hier: "Viel Luft nach oben bei Produktions-Footprints"
Darüber hinaus erfordert die Einführung von ESG in die gesamte Wertschöpfungskette allerdings eine nochmals deutlich stärkere funktionsübergreifende Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, Entwicklung, Fertigung, Supply Chain und Service. Dabei bedarf es einer klaren Zielvorgabe durch das Management.
Hersteller für Industriefahrzeuge können zum Beispiel mithilfe einer “Circular Economy”-Strategie gebrauchte Produkte in den Produktionskreislauf zurückführen, damit ganze oder nur einzelne Module oder Komponenten aufbereitet und dann wieder im Markt angeboten werden können. Damit lässt sich nicht nur der CO2-Fußabdruck “downstream” wie “upstream” verringern, sondern auch erhebliche Materialkosteneinsparungen erzielen.
Wie stark sind die Themen CO2-Reduktion und ESG bereits im Maschinenbau in Österreich angekommen – auch im internationalen Vergleich?
Schneider: Im internationalen Vergleich sehen wir keine großen Unterschiede bei der CO2-Reduktion und ESG-Anstrengungen zwischen Maschinenbauunternehmen aus Österreich und Unternehmen aus Deutschland oder der Schweiz. Alle untersuchten Unternehmen müssen sich dem zunehmenden Druck der Kunden stellen, die das Thema ESG verstärkt in ihre Lieferantenketten aufnehmen.
Zugleich bestimmt natürlich auch der Green Deal massiv die strategische Diskussion, auch bei heimischen Maschinenbauern. Der regulatorische Druck ist aber nicht nur Herausforderung, sondern auf lange Sicht auch Chance, wie Europa seine internationale Wettbewerbsfähigkeit halten oder sogar ausbauen kann. Denn durch den Green Deal entstehen teilweise komplett neue Branchen und Marktchancen - etwa im Energiemanagement oder in der Abfallaufbereitung.
Gerade bei letzterem sind Österreich und Deutschland schon seit längerem führend - und nehmen hier auch international Spitzenpositionen ein. Für die Unternehmen besteht also die Chance auf einen signifikanten Wettbewerbsvorteil, wenn die ESG-Transformation in der Wertschöpfungskette erfolgreich und schnell umgesetzt wird.
"65 Prozent der Emissionen entstehen durch die Verwendung des Produktes, also nachgelagert zur eigentlichen Produktion."Johannes Schneider
Beratung zu ESG nimmt zu
Wie sehr werden Hilfestellung und Strategieberatung zum Thema ESG schon von Maschinenbauunternehmen gesucht, wie gut werden Ratschläge angenommen und umgesetzt?
Schneider: Die Nachfrage nach Beratungsdienstleistungen rund um ESG und Nachhaltigkeit spüren wir in allen Branchen sehr massiv, auch im Maschinenbau. Es handelt sich hierbei um ein Thema von höchster strategischer Relevanz, dessen Auswirkungen Unternehmen, aber auch Privatpersonen schon jetzt massiv spüren. Wir sehen das auf zahlreichen Ebenen: Ganz operativ wird gerade jetzt im Kontext der explodierenden Energiekosten die Frage gestellt: "Wie senke ich den Energieverbrauch in meinem Werk?"
Hinzu kommen die perspektivischen Herausforderungen, wie Maschinenbauer ihr Produktportfolio an die geänderten Anforderungen anpassen können, also etwa mit der Einführung von Circular Economy oder der Verankerung von ESG-Kriterien im Lieferantennetzwerk. Aber natürlich werden auch langfristige, strategische Fragen gestellt: "Was bedeutet diese Transformation grundlegend für mein Geschäftsmodell? Und welche Rolle können wir als Unternehmen spielen, um einen wertvollen Beitrag zu leisten?” Hier benötigen Unternehmen insbesondere Beratung bei der Definition ihrer ESG-Strategie inklusive der damit einhergehenden Materialitätsanalyse, also der Evaluierung der Wichtigkeit der Nachhaltigkeitsthemen für das Unternehmen. Die ESG-Transformation wird zweifellos eines der bestimmenden Themen der kommenden Jahre für die Branche bleiben.