DC in der Industrie : Bald Realität? Das kann die Gleichstrom-Fabrik

Fotomontage blau future Dome

Austrian DC Pilot Factory: Das Fill-Parkhaus in Oberösterreich gehört zu zwei DC-Demonstrationsanlagen, die in Österreich entstehen.

- © Fill

In Gurten entsteht ein neues Parkhaus. Das allein wäre sicher keine Meldung wert, aber das neue Fill Parkhaus ist schon besonders. Denn das Parkhaus in Oberösterreich gehört zu zwei DC-Demonstrationsanlagen, die in Österreich entstehen. Das Ziel: ein sicheres, flexibles und skalierbares Gleichstromnetz mit Solarstromeinspeisung sowie einer bidirektionalen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge zu entwickeln und in einer industriellen Umgebung zu demonstrieren. In Sinne einer Dekarbonisierung der Produktion wird diese Entwicklung auf jede strombasierte Industrie übertragbar sein.Verantwortlich für das Projekt ist das AIT Austrian Institute of Technology. Zwei Pilotprojekte realisieren die Verantwortlichen bis 2026 – in Oberösterreich und in Wien.

Lesetipp: DC in der Industrie: Die Fabrik als Prosumer


Zukunftsgerichtet

Zurück zum Parkhaus. Dieses entsteht beim Anlagenbauer Fill. Die Verantwortlichen planen die Errichtung eines neuen Parkhauses mit einer Erweiterung der Photovoltaik (PV)-Anlage (aktuell installierte Leistung 1,9 MWpeak). Eine Überlegung dabei ist, das Parkhaus zukunftsgerichtet für das Laden einer größeren Elektrofahrzeugflotte mit auszulegen. Um den Eigenverbrauch am Standort weiter zu erhöhen, besteht der Bedarf, die am Vormittag auftretende Erzeugungslücke für die Produktion (Last) – bedingt durch den stark fluktuierenden Ertrag der PV-Anlage – zu reduzieren. Hier soll nun eine Elektrofahrzeugflotte am Standort die Produktion für die ersten Stunden über bidirektionales Laden CO₂- und kostensparend puffern. Anschließend erfolgt um die Mittagszeit - bei entsprechendem Sonnenstromüberschuss - die Rückladung der Elektrofahrzeuge. Der klassische Stromnetzanschluss, der auf die Spitzenlast ausgelegt ist, wird weiter genutzt, um die verbleibende Differenz von Erzeugung und Last vollständig auszugleichen und damit die allgemeine Versorgungssicherheit des Standorts sicherzustellen.

Darüber hinaus ergeben sich für Fill durch die zusätzliche Flexibilität über Einbindung der Elektrofahrzeuge in den Produktionsprozess neue Geschäftsmodelle und Zusatzservices, wie beispielsweise eine Optimierung der Stromtarife für Netzeinspeisung und Verbrauch und Laden der Fahrzeuge der MitarbeiterInnen, schreiben die Projektverantwortlichen. „Wir erleben in Zukunft einen einfachen Energieaustausch zu Speichern und die Fabrik wird zum Prosumer“, erklärte Holger Borcherding von der TH OWL vor einigen Monaten diesem Magazin. Fill ist mit seinem Parkhaus genau auf diesem Weg. Borcherding ist sich sicher: Gleichspannung wird sich etablieren - im E-Auto, in den Fabriken. „Ich werde es in meinem Berufsleben noch erleben“, ist der Wissenschaftler überzeugt. „Das ist kein Jahrhundertwerk. In 20 Jahren ist die DC-Spannungsversorgung im industriellen Bereich mit einem höheren zweistelligen Prozentbereich vertreten.“

Zweistellige Einsparpotentiale


Ein Beispiel aus Deutschland: Das Werk von Schaltbau – hochautomatisiert und mit Gleichstrom-Versorgung soll die Kosten um bis zu 35 Prozent reduzieren. Nach Recherchen von Mirjana Ristic von Bosch Rexroth im Rahmen von Technologiescouting zur DC-Technik und nach Ergebnissen des öffentlich geförderten Projektes DC-INDUSTRIE stecken in dieser Technologie große Energieeinsparpotentiale: „Die Industrie verbraucht ca. 45 Prozent des Stroms in Deutschland, ca. 70 Prozent davon entfallen auf Antriebssysteme. Wenn wir dort ansetzen, können wir große Effizienzgewinne erzielen“, erklärt sie im Bosch Rexroth Podcast. Beim Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie e.V (ZVEI) würden die Experten mit einem energetischen Einsparpotenzial von etwa zehn Prozent kalkulieren, heißt es in der Branche. Der Kosteneffekt wird mit etwa 20 Prozent veranschlagt. Dies ist vor allem durch die Einsparung von AC (Wechselstrom)-DC-Wandlern an den Motoren bedingt. Die durchschnittliche Anlagenverfügbarkeit lasse sich zudem auf rund 98 Prozent steigern, heißt es weiter.

Zurück in die Heimat: Das zweite DC-Pilot-Projekt in Österreich läuft in der TU Wien Pilotfabrik Industie 4.0. Dort steht die Robotik im Mittelpunkt. Wie funktioniert das Zusammenspiel von einem DC-Netz mit einem Industrieroboter? Es geht um komplexe Bewegungsabläufe und andere Lastprofile, die Sichtbarkeit der Forschungs- und Demonstrationsplattform soll damit verbessert werden.

Der Robotik-Ansatz in Wien ist nicht ganz neu. Auch der Robotikbauer Kuka forscht zu DC. Das Unternehmen versichert: Nach der Marktreife der Gleichstromtechnik ist es Kuka jedoch möglich, gleichstrombasierte Fertigungsanlagen anzubieten:

Geringerer Strombedarf durch die Nutzung der Bremsenergie,
einfache Einbindung erneuerbarer Energiequellen und
Einsparungen durch die kleinere Dimensionierung von Leitungen und Transformatoren sind nur ein paar der Vorteile, die sich durch die Nutzung solcher Fertigungsanlagen für die Kunden ergeben, sind die Verantwortlichen überzeugt.
Potenziale.

Die Augsburger planen einen Teil des sogenannten Smart Production Centers auf Gleichstromversorgung umzubauen. „Bereits jetzt wird durch erste Leistungsmessungen erkenntlich, dass durch die Umrüstung auf Gleichstrom mit einem Speicher die Spitzenleistung von 50 kW auf 20 kW reduziert werden kann“, heißt es im Konzern. Welche Potenziale die DC-Technik mit sich bringt zeigen auch die Einsparungen von acht Prozent bei der Rückgewinnung der Bremsenergie.

Energy Department - AIT Austrian Institute Of Technology
Gleichstrom-Labor des AIT Austrian Institutue of Technology - © AiT/krischanz

Die Pilotanwendungen in Österreich sind ein erster Schritt. Im Nachbarland Deutschland bildet sich schon eine Industrie-Allianz, die aus dem Forschungsprojekt DC INDUSTRIE entstand. Die Open Direct Current Alliance (ODCA) hat das Ziel, ein weltweites Gleichstrom-Ökosystems zu entwickeln und die anwendungsübergreifende Etablierung der Gleichstromtechnologie. Auch österreichische Unternehmen sind schon Mitglied der Allianz. KEBA beispielsweise. Rückblick: KEBA hat im Projekt DC-INDUSTRIE ein Einspeisegerät für das DC-Netz entwickelt, das entsprechend des Systemkonzepts mit der Kennliniensteuerung betrieben wird.



Nie mehr eine wichtige News aus der Industrie verpassen? Abonnieren Sie unser Daily Briefing: Was in der Industrie wichtig wird. Täglich um 7 Uhr in ihrer Inbox. Hier geht’s zur Anmeldung!



Dies ermöglicht eine einfache Integration und den parallelen Betrieb mehrerer Einspeisegeräte und Energiespeicher. Das Einspeisegerät wurde gemeinsam mit den DC-INDUSTRIE konformen Servoachsen in einer Modellanlage erprobt. Und auch Zumtobel aus Vorarlberg engagiert sich in der Allianz. DC ist in Österreich angekommen.

Borcherding holger cut
„Wir erleben in Zukunft einen einfachen Energieaustausch zu Speichern und die Fabrik wird zum Prosumer.“ Holger Borcherding, TH OWL - © TH OWL