Energieversorgung : Barbara Schmidt: "Eine Strommangellage ist kein Blackout"

Dr. Barbara Schmidt, Generalsekretärin Oesterreichs Energie
© Regina Hügli

Der Stromnetzbetreiber APG hat im November einen Stresstest für die heimische Stromversorgung durchgeführt. Dabei kamen zwei von drei Szenarien dieses Tests zu dem Ergebnis, dass in diesem Winter eine Lastunterdeckung auftreten könnte.

Das heißt, es könnte zwischen in 400 und 815 Stunden, also an 16 bis 33 volle Tagen, in Österreich zu mehr Stromnachfrage als Stromangebot kommen. Eine solche Lastunterdeckung bedeutet aber nicht automatisch einen absoluten Stromausfall. Sollten allerdings Sparaufrufe und freiwillige Spar-Aktionen von Großverbrauchern nicht ausreichen, könnte dies auch zu verpflichtender Abschaltung in der Industrie führen.

Wie wahrscheinlich dieses Szenario ist und was die hohen Energiepreise aber auch Gutes mit sich bringen, hat INDUSTRIEMAGAZIN NEWS mit der Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, Barbara Schmidt, besprochen.

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INDUSTRIEMAGAZIN NEWS: 2/3 der Szenarien des Stresstests gehen von einer Lastunterdeckung diesen Winter aus. Wie sicher ist die Stromversorgung für die Industrie, in diesem Fall für mittlere und große Verbraucher, in diesem Winter?

Barbara Schmidt:
Ja, also wir sehen, dass es zwei Szenarien sind. Bei einem gibt es gar keine Problematik. Das heißt, es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, wie eine merklich längere, sehr kalte Periode und ein Mangel, entweder in den Importen oder dass wenn sich die Lage rund um das Thema Gas doch noch verändern sollte. Und das ist aber sehr unwahrscheinlich. Und sollte es tatsächlich dazu kommen, dann würde es sich um eine Strom-Mangellage handeln. Und dafür sind wir ganz gut vorbereitet: Es laufen bereits Übungen dazu und auch an Gesetzen wird gearbeitet. Die Stromspar-Aufrufe sind ja jetzt schon draußen und man kann wirklich nur appellieren, natürlich sorgsam mit Energie, sowohl mit Gas als auch mit Strom umzugehen. Aber es wird auf keinen Fall so sein, dass es plötzlich finster ist. Wir sprechen von einer Strom-Mangellage, und das ist etwas ganz anderes als das vielzitierte Blackout.

IM NEWS:
Wie muss man sich die Maßnahmen für mittlere und große Verbraucher vorstellen, wenn Spar-Aufrufe und die freiwilligen Aktionen von industriellen Verbrauchern, die jetzt schon stattfinden, nicht ausreichen, um die Lastunterdeckung zu verhindern?

Schmidt:
An dieser Ausschreibung durch die APG wird derzeit gearbeitet. Das Gesetz ist nächste Woche im Nationalrat und im Plenum soll es dann verabschiedet werden. Das Gesetz sieht dann ein sehr marktnahes Modell vor. Und die APG, der Übertragungsnetzbetreiber, würde dann ausschreiben, in welchen Zeiten man Strom einsparen soll. Dann könnten Industrieunternehmen sogar Geld damit machen, wenn sie den geplanten Strom einsparen, den sie zuvor ja schon gekauft haben.
Es wird derzeit auf Hochdruck an diesem Gesetz gearbeitet und vor allem daran, dass es nächste Woche verabschiedet wird. Wir hoffen natürlich, dass die wettbewerblichen Maßnahmen sparsamer mit dem Strom umgegangen wird und wir dann nicht in die sogenannte Energielenkung kommen müssen.
Die sieht im Strom so aus, dass es ein Bundesgesetz gibt, im Elektrizitätsbereich ist es auch Landessache, und hier in den Ländern beschlossen wird, wie mit einer Anlage umgegangen werden muss. Also da könnte es natürlich schon sein, dass es in manchen Bereichen dann auch stundenweise zu Abschaltungen kommt. Aber das muss natürlich rechtzeitig angekündigt werden. Und wie bereits erwähnt, eine Mangellage passiert nicht plötzlich, man wird das ca. zwei Tage vorher wissen und dann kann man sich auch gut darauf einstellen.

Derzeit laufen viele Vorbereitungsarbeiten und Informationsaustausch und die großen Industrieunternehmen sollten eigentlich alle wissen, wie es sie betreffen könnte. Aber hier arbeiten vor allem in den Ländern, auch der Regulator, die Netzbetreiber, die Industrie und das Gewerbe ganz eng zusammen.

IM NEWS:
Weil sie gesagt haben, es ist Landessache - das heißt es kann durchaus sein, dass ein österreichisches Unternehmen mit Standorten in zwei verschiedenen Bundesländern auch auf zwei verschiedene Lenkungs-Maßnahmen trifft?

Schmidt:
Das ist sicher Sache der Gespräche, die derzeit zwischen den Behörden und großen Stromverbrauchern laufen. Wie gesagt, auch der Regulator ist hier eingebunden. Natürlich versucht man auch hier möglichst den Industriestandort Österreich zu schützen und somit gute Lösungen zu finden, damit es zu keinen massiven Eingriffen und folglich zu keinen Problemen in der Erzeugung oder Arbeitsplatzverlusten kommt. Also davon wird derzeit auf keinen Fall gesprochen und es werden Lösungen für den Notfall gesucht, wo wir hoffen, dass dieser nicht eintritt, und diese wirklich zu möglichst wenigen Einschränkungen führen.

IM NEWS:
Viel hängt vom bisherigen Groß-Exporteur Frankreich ab. Wie ist da der Stand der Dinge? Gehen die Kraftwerke jetzt wieder sukzessive ans Netz?

Schmidt: Ja, das war angekündigt, aber es schaut derzeit noch nicht danach aus. Also Sie haben angekündigt, jetzt wirklich ein Kraftwerk nach dem anderen von dieser Hälfte des Kraftwerksparks, der seit Sommer nicht am Netz ist, ans Netz zu bringen. Aber es dürfte hier zu Verzögerungen kommen. Aber ja, wir hoffen natürlich, dass sie das hinkriegen. Aber natürlich, wie gesagt, sparen, sowohl Gas als auch Strom, ist sicher das Gebot der Stunde.
Also keine Entwarnung aus Frankreich. Aber mir ist auch wichtig zu sagen: Auch keine Entwarnung in Österreich, was das Gas betrifft, weil wir haben Tolles geleistet, dass wir die Gasspeicher jetzt so schnell voll bekommen haben. Aber seit zwei Wochen, seit es kühl ist wird wieder aus gespeichert und wir müssen trotzdem, obwohl die Speicher voll sind und für diesen Winter mit keinen Engpässen gerechnet wird, selbst wenn es zu weiteren Einschränkungen durch Importe kommen sollte, natürlich auch schon ans nächste Jahr und an den nächsten Winter denken. Und die Frage ist, wie wir dann nächsten Sommer die Gasspeicher wieder füllen. Und daher hilft natürlich jede Kilowattstunde, die jetzt nicht herausgenommen wird, im nächsten Winter.

IM NEWS:
Wir exportieren zu Überschusszeiten viel grünen Strom aus der Wasserkraft und importieren im Winter. Das liegt, muss man ganz ehrlich sagen, nicht an den Energieversorgern, die eigentlich in den letzten Jahrzehnten schon sehr gerne weitaus mehr ausgebaut hätten. Was muss passieren, dass wir auch bilanziell im Strombereich die Energiewende schaffen?

Schmidt:
Ja, das Gebot der Stunde, neben der Energieeffizienz, neben dem Herunterkommen beim Energieverbrauch insgesamt, ist der Ausbau des erneuerbaren Stroms. Das macht uns sicherer, das macht uns unabhängiger. Und das würde uns natürlich auch bei den exorbitant hohen Preisen derzeit helfen. Also wir müssen die eigene Erzeugung ausbauen, alle Potenziale heben, die wir haben. Überall in Österreich, nicht nur Wind im Osten, Wasserkraft im Westen, sondern wirklich überall, wo wir Potenziale haben. Photovoltaik nicht nur auf den Dächern, sondern auch in der Freifläche. Und dazu braucht es natürlich die Flächen, also wir brauchen hier wirklich ein Commitment der Länder, der Gemeinden, hier auch Flächen zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen schnellere Verfahren, denn mit diesen Längen, muss man zum Beispiel nach acht Jahren für einen Windpark erst wieder an den Start zurück, weil sich die Technologie verändert hat.

So werden wir die Energiewende nicht schaffen. Und wir sind stolz darauf, dass wir ca. 80 % erneuerbare Stromerzeugung haben. Aber wir haben das seit Jahren, da ändert sich relativ wenig an diesem Anteil erneuerbar Stromerzeugung und wir müssen da jetzt endlich weiterkommen.

IM NEWS:
Sie haben es erwähnt, der Löwenanteil dessen, was wir an erneuerbarer Stromerzeugung leisten und wovon wir eigentlich profitieren, ist die Wasserkraft. Das sind diese riesigen Infrastrukturprojekte, die allesamt in den 50er, 60er und 70er stattgefunden haben. Braucht so einen Ruck jetzt auch?

Schmidt:
Es braucht sicher einen Ruck, denn derzeit leben wir irgendwie ein bisschen von unseren Vorfahren und was diese geleistet haben. Damals waren die großen Wasserkraftprojekte auch ein Eingriff in die Natur und es wird auch nicht nur Befürworter gegeben haben. Und genauso wird es auch jetzt sein, wenn wir weiterkommen wollen. Man wird es nicht jedem Anrainer recht machen können.
Wir merken allerdings, dass die Akzeptanz, vor allem seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, gestiegen ist, weil die Menschen schon sehen, dass Resilienz ein wichtiges Gut ist. Und dass hier natürlich die eigene Erzeugung in Österreich schon auch einen Wert hat. Und dieses Momentum, so tragisch der Krieg ist, dass jetzt in der Bevölkerung eine bessere Stimmung für Infrastrukturprojekte ist, das müssen wir jetzt nutzen. Und jetzt gilt es an der Offensive für den Ausbau der erneuerbaren Energie und des Netzausbaus festzuhalten.

IM NEWS:
Ist dieses Momentum das Gute an den derzeit angespannten Energiemärkten?

Schmidt:
Ja einerseits ist es das Momentum, dass hier wirklich ein Verständnis dafür da ist, dass wir eigene Erzeugung brauchen und Resilienz ein wichtiges Thema ist. Der zweite Punkt ist nicht erfreulich, nämlich dass die Preise so hoch sind. Das müssen wir unseren Kunden derzeit noch zumuten und hier gilt es natürlich auch von diesen hohen Energiepreisen wegzukommen. Diese hohen Preise zeigen aber natürlich auch, dass Energie einen wesentlichen Wert hat und führt natürlich auch dazu, dass jetzt effizienter mit Energie umgegangen wird.

Also wenn ich denke, wie viele politische Diskussionen es dazu gab, welche Energieeffizienz -Maßnahmen man setzen soll und ob man verpflichten oder auf Freiwilligkeit setzen soll. Ich jeder überlegt sich derzeit, wie wir mit unserem Strompreis runterkommen können, mit unseren Stromkosten. Und das ist natürlich auch etwas, was wir derzeit brauchen, auch wenn es den hohen Preisen geschuldet ist.

Das gesamte Interview mit Barbara Schmidt, Generalsekretärin Oesterreichs Energie, sehen Sie hier.