Automobilindustrie : ZKW-Verkauf an LG Electronics: Koreanisches K.O.

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Traditionell zählt die Weihnachtsfeier des Wieselburger Lichtsysteme-Spezialisten ZKW zu den gesellschaftlichen Top-Ereignissen der Erlaufstadt. Neben der Belegschaft waren stets auch die Honoratioren der Stadt geladen: Bürgermeister, Vertreter der Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer – sie alle waren da. Ebenso wie der in Wieselburg beheimatete Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf. Sie alle scharten sich gemeinsam mit dem ZKW-Management zum Gruppenfoto, das von den ebenfalls anwesenden Pressefotografen brav dokumentiert wurde. Die ZKW-Feier mit zuletzt 1.600 Teilnehmern war bisher ein offenes Fest – mit Tombola, Tanzeinlage und vielen weiteren Goodies.

Die jüngste Feier Anfang Dezember war anders. Betriebsfremde Gäste standen diesmal nicht auf der Gästeliste. Breakdancer sorgten für den tänzerischen Teil, die Tombola wurde wieder ausgespielt – und es gab jede Menge Ansprachen und Ehrungen. Alles wie immer. Und dennoch berichtete ein Teilnehmer von „der besten Stimmung seit langem“. Endlich habe man wieder einmal die Vorstände hören und sprechen können: „Die waren echt gut drauf“. Und sie brachten eine frohe Botschaft: „Es wurde uns versichert, es gebe keine Verkaufsverhandlungen. Sämtliche Medienberichte würden nicht stimmen.“

Der Ausstieg

Die Ansage ist nicht neu. Schon bei der Weihnachtsfeier 2016 hatte ZKW Holding-Chef Armin Schaller die Belegschaft eingeschworen: „An diesen angeblichen Verkaufsverhandlungen ist nichts dran. Wir führen keine Verhandlungen mit Japanern oder anderen Interessenten“. (Quelle: NÖN). Schaller, ehemaliger Leiter der Consulting-Abteilung in der Großkanzlei TPA Horvath, ist seit Herbst 2015 Statthalter des deutschen Industriellen und des 100 -Prozent-Eigners Ulrich Mommert (77). Er wurde geholt, um den Willen des Eigentümers umzusetzen und dem operativen Management in der ZKW Group rund um Oliver Schubert auf die Finger zu schauen.

Die Wirkung der weihnachtlichen Beteuerungen war 2016 wie 2017 überschaubar. Wer sich im neugestalteten Brauhaus Wieselburg ein Mittagsmenü kauft, erfährt frei Haus, dass die Sorgen über die ZKW-Zukunft weiter durch die Köpfe wabern. „Wir wissen nichts. Und wenn die Deutschen einmal mit uns reden, dann hören sie sich an wie Politiker“, meint einer der einheimischen Gäste, der angibt, seit neun Jahren bei ZKW zu arbeiten: „Heut‘ bin ich auf Zeitausgleich“. Mit den „Deutschen“ ist das im Vorjahr runderneuerte ZKW-Management gemeint, das fast zur Gänze aus dem westlichen Nachbarland stammt. Nur der Finanzvorstand kommt aus Großbritannien.

So wie es ausschaut, können die Mitarbeiter ihrem Management diesmal trauen: Die Verkaufsgespräche von ZKW liegen seit November auf Eis. Dies bestätigen dem INDUSTRIEMAGAZIN unabhängig voneinander vier Quellen.

Reduziertes Gebot

Wie das INDUSTRIEMAGAZIN im Novemberheft berichtete, standen die beiden Holding-Geschäftsführer Ulrich Mommert und Armin Schaller kurz davor, den finalen Schritt zu setzen: Der Kaufvertrag mit dem koreanischen Multi LG Electronics war so gut wie unterschriftsreif. Insider berichteten, dass die Koreaner ein Fixanbot vor Due Diligence von 1,2 Mrd. Euro abgegeben hätten. Die beratende M&A-Bank Rothschild Global Advisory wollte den Deal bis in die erste Dezember-Woche unter Dach und Fach wissen. Doch dazu kam es nicht. Nach intensiven Blicken hinter die Kulissen reduzierten die Koreaner plötzlich ihr Offert. Quellen berichten von einer Rücknahme des Kaufangebots auf 900 Mio. Euro. Damit wären die erhofften Erlöse wieder in jenes Preisband gerückt, in dem sich frühere Interessenten wie Magna International auch befunden haben. Ulrich Mommert akzeptierte die Abänderung des Fixanbotes nicht und erklärte die Verhandlungen für beendet. So das Ergebnis der INDUSTRIEMAGAZIN- Recherchen. Konfrontiert mit den Nachforschungen, blieb der Kommunikationsverantwortliche der ZKW-Gruppe, Roland Wöss, in seinem Kommentar aber auf Linie: „Es gab und gibt keine Verkaufsgespräche.“ Weitere Stellungnahmen zur Sache wurden nicht abgegeben.

Aufgebläht

Die Gründe des koreanischen Rückziehers liegen im Dunklen. Wie berichtet, gilt der Verkaufspreis von 1,2 Mrd. Euro für die Wieselburger Unternehmensgruppe als sehr hoch gegriffen. Der Preis sei weniger betriebswirtschaftlich als durch ein besonders hohes strategisches Interesse zu rechtfertigen, merkt ein Vertreter eines ausgeschiedenen Mitbieters an. Er halte schon den Preis von 900 Millionen Euro für überzogen. Seine Kritik: „Die Umsätze wurden in den vergangenen Jahren aufgebläht.“ Dazu komme mit den Lichtsystemen eine Nischenspezialisierung. Autoleuchten seien ein verhältnismäßig kleines Autoteil. Die geringe Produktbreite mache ZKW gegenüber dem Druck der OEMs sehr verwundbar – anders als Magna, Continental oder Bosch, die ihre Kompetenzen weit über angestammte Nischen ausgedehnt hätten. Unterm Strich mindere die fehlende Diversifizierung den Unternehmenswert.

Tatsächlich ist die Umsatzentwicklung von ZKW atemberaubend. Allein das Wachstum des Vorjahres von über 20 Prozent auf 1,2 Mrd. Euro ist erstaunlich. Noch erstaunlicher ist der mittelfristige Rückblick: ZKW hat seit 2011 ihren Umsatz verdreifacht. Das niederösterreichische Unternehmen entwickelte sich in wenigen Jahren von einem schwachbrüstigen Hänfling zu einem ernstzunehmenden Schwergewichtsathleten. Und wie im Sport ist eine derartig rasche Zunahme nicht ausschließlich gesund. Auch Unternehmensstrukturen müssen mit dem Wachstum zu Recht kommen: Das Berichtswesen, Einkauf, der zentrale Faktor IT – diese Bereiche müssen sich innerhalb weniger Jahre von den Anforderungen eines 350-Mann-Betriebes in Wieselburg hin zu den Erfordernissen eines global agierenden 8.500-Unternehmens entwickeln. Gleiches gilt für das Management: Der überraschende Austausch der Geschäftsführung im Jahr 2017 wird für manchen Analysten unter dieser Perspektive verständlich.

Von High-Tech zu Mid-Tech

Die Profitabilität des Unternehmens wird von Analysten schon länger in Zweifel gezogen. Sie erwarten mittelfristig bei ZKW Ertragsprobleme: Der Drang nach ungebremsten Wachstum hat Schwierigkeiten auf der Kostenseite übertüncht bzw. sie in Kauf nehmen lassen. ZKW hat in vielen Bereichen Fett angesetzt und ist kostenseitig nicht optimiert. Dafür bleib einfach keine Zeit.

Außerdem wird erwartet, dass wichtige High Tech-Umsatzträger wie Full-HD-Lichter mit Matrix-Light vom margenträchtigen Spitzenprodukt der Premium-Klasse zum Mid Tech-Produkt der Volumensmodelle downgegraded werden. Zum Verständnis: Bei der aktuellen Spitzentechnologie von ZKW wird der Scheinwerfer über Sensoren zu einer Art Kamera und erkennt entgegenkommende Autos. Das gepixelte LED-Licht spart daraufhin die identifizierten Objekte aus dem Lichtkegel aus, der Fahrer hat ohne Auf- und Abblend-Vorgang volle Sicht – ein Produkt, das in Zukunft in immer mehr Modellen zu finden sein wird – zu leistbaren Preisen.

Unterm Strich wird erwartet, dass der aktuelle Umsatzaufschwung abebbt. Hauptträge des enormen Wirtschaftserfolges von ZKW war seit 2011 die Full LED-Technologie. Die ersten Lieferverträge sind jetzt im Auslaufen. OEMs verlangen in der zweiten Runde deutlich niedrigere Lieferpreise. Anderes Autozulieferer gehen aus eigener Erfahrung davon aus, dass trotz der steigende Stückzahlen die fehlenden Margen nicht ersetzt werden können. Auch die Koreaner scheinen zu befürchten, dass ZKW kurzfristig nicht jene Cash cow ist, die einen 1,2 Mrd. Euro-Kaufpreis rechtfertigen würde.

Innovative Gradwanderung

ZKW ist wahrscheinlich jenes Unternehmen in Österreich, das in den letzten Jahrzehnten am erfolgreichsten Innovation in Markterfolg ummünzen konnte. Der Preis dafür sind F&E-Kosten, die am obersten Rand dessen angesiedelt sind, den ein Unternehmen in dieser Umsatzgröße stemmen kann. Genaue Zahlen fehlen in der Öffentlichkeit. Aber die aktuellen Herausforderungen werden kommuniziert: Die ZKW-Forscher arbeiten derzeit an einer Laserlichtquelle, die Eigenschaften eines Video-Beamers aufweist. Dabei handelt es sich um ein geschlossenes System: Kameras nehmen Bilder auf, Softwareapplikationen und Sensoren analysieren die Aufnahmen, identifizieren Hindernisse, berechnen entgegenkommende Autos und melden Warnsignale an Fußgänger ein. Nach der Analyse werden die verarbeiteten Signale an den mit Laserlicht-Dioden gespickten Scheinwerfer gesendet, der die empfangenen Befehle umsetzt.

Der Forschungsaufwand mit digitalisiertem Laserlicht hat ein fernes Ziel: ZKW sucht den Scheinwerfer, der fit fürs Autonome Fahren ist. Wenn nicht mehr der Fahrer die Befehle gibt, dann müssen andere Einrichtungen die Befehle geben – der Laserschweinwerfer setzt sie um. Daran wird in Wieselburg gerade gearbeitet: Die digitalen Scheinwerfer werde dabei so viel und so spezielle Software brauchen, dass diese am freien Markt gar nicht verfügbar sei, wie ein ZKW-Forscher bei einem Vortrag beschrieb. ZKW ist dabei, die Softwarekompetenz selbst aufzúbauen. Die neue Generation der Autolichtsysteme wird aber erste 2022 bis 2023 einsatzreif sein –viel Zeit in den Augen eines Investors.

Verspekuliert

ZKW bzw. die Eigentümerfamilie Mommert finden sich nach dem Scheitern der Verkaufsverhandlungen in einer schwierigen Situation. Das Unternehmen hat es geschafft, an den Stehtischen der diversen Clustertagungen und Messen zum Hauptthema zu werden – und diesmal nicht wegen seiner Leistungen. In und um Wieselburg – ZKW beschäftigt in der Region 3000 Mitarbeiter – geht die Verunsicherung weiter – auch ein Ergebnis der nicht vorhandenen Kommunikationskultur. Als die Preisrange nach dem reduzierten LG-Offert nur mehr ein weniges über den früheren Geboten anderer Interessenten lag, befahl Ulrich Mommert konsequent den Rückzug.

Informationen aus erster Hand gibt es dazu so gut wie keine. Selbst das operative Group-Management ist von allen Verhandlungen ausgespart. Sämtliche Fäden werden in diesen Fragen ausschließlich von Armin Schaller im Auftrag von Ulrich Mommert gezogen. Die beiden waren es auch, die in den Augen etlicher Beobachter – gegen den Rat von Rothschild Advisery- den Bogen überspannt haben. Die gegenwärtigen Alternativen sind allesamt unbefriedigend. Voraussetzung einer Stand Alone-Lösung ist eine Eigentümergeneration, die das Unternehmen weiterführt. Die scheint nicht gegeben: Ulrich Mommerts Sohn Alexander (Jahrgang 1969) sitzt zwar im Aufsichtsrat der ZKW Group, ist dabei aber nie in Erscheinung getreten und konzentriert sich auf seine erfolgreiche Laufbahn als Geschäftsführer der Poliklinik Rüdersdorf bei Berlin. Mit dem fehlenden Familiennachfolger ist auch die Sinnhaftigkeit einer Stiftung vom Tisch.

Entgegen der Behauptung des Holding-Managements, dass alles beim Alten bleiben könne, steht die Tatsache, dass die anstehenden Forschungsinvestitionen für digitale Lichtsysteme deutlich über den bisherigen Anstrengungen liegen – und starke Überlappungen in den IT- und Softwarebereich haben: Kompetenzen, die bei ZKW noch deutlich ausgebaut werden müssten – bzw. bei einer LG-Übernahme leichter zu mobilisieren gewesen wären. Bleibt noch das Argument, dass eine Produktdiversifizierung – weg von der Nische Scheinwerfer hin zu größeren Automodulen – aus eigener Kraft lang dauern und teuer werden würde. Die Idee des Börsengangs scheint auch vom Tisch: Dafür bräuchte es mindestes ein Jahr intensiven Aufräumens in den Kostenstrukturen und einen CFO, der Erfahrung mit IPOs hat. Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben. Bleibt am Ende doch noch die Suche nach weiteren Partnern – wenn auch nicht mehr hoch zu Ross.