Supply Chain Management : Wie können KMU ihre Lieferketten schützen?

Was sind Lieferketten? Warum sind Lieferketten für die Globalisierung so wichtig? Welche Modelle könnten Lieferketten zukünftig ersetzen?
EU-Lieferketten-Richtlinien
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Kurzarbeit und Produktionsstopp. Rund 28.000 Mitarbeiter in „Flexibilisierungsmaßnahmen“. Und bis zu 500 Lieferanten, die befürchteten, unnötige und teure Bestände aufbauen zu müssen. Ende August brach ein ebenso eigentümlicher wie schnell erledigter Streit zwischen Volkswagen und zwei seiner Zulieferer aus – und zeigte eines beispielhaft: Auch wenn im Grunde nur drei Unternehmen betroffen waren, bedrohten die Folgen des Konflikts mehrere hundert Firmen, die überwiegende Mehrzahl davon kleine und mittlere Unternehmen.

„Die extrem harte Taktung und die Bemühungen der Supply-Chain-Vollprofis um Bestände-arme Versorgungsketten führen dazu, dass eine Lieferunterbrechung sehr schnell zu einem enormen Problem werden kann“, sagt der emeritierte Logistik-Professor und renommierte Supply-Chain-Forscher Peter Klaus. Zwar entsteht der offensichtliche Schaden zunächst im Konzern, „doch solche Probleme werden sofort auch auf beteiligte KMU zurückschlagen. Andere mittlere Lieferanten, die mit dem aktuellen Streit gar nichts zu tun haben, müssen ihre Produktionen und Zulieferungen stoppen, wenn der Fluss beim OEM stottert.“

Fokus Resilienz

Das Supply-Chain-Management, konstatiert nicht nur Peter Klaus, erlebt eine Verschiebung seiner Schwerpunkte. Ging es lange Zeit vor allem um die Maximierung von Effizienz, rückt das Thema Resilienz vermehrt in den Fokus (ohne natürlich ersteres zu verdrängen). Und während die Vorbereitung auf klassische Gefahrenmomente wie Umwelteinflüsse oder politische bzw. ökonomische Verwerfungen zumindest theoretisch gelernt ist, geht es vermehrt um die weniger offensichtliche Risiken wie etwa Unterbrechungen der Informations- oder Kapital-Versorgungsketten.

Der Zusammenschluss zu starken und gleichzeitig flexiblen Netzwerken ist also nicht nur eine logistische Notwendigkeit, um Just-in-Time-Anforderungen erfüllen zu können – er dient auch der Erhöhung der Resilienz der Lieferketten aller Beteiligten.

Gerade der jüngste Konflikt zeigte aber auch die Kehrseite auf: Vor allem die deutschen Medien waren voll von Stories über den Umgang der OEM mit ihren Lieferanten. Keine guten Karten also für KMU? Können sie ihre Supply Chains nur festigen, indem sie ihre Autonomie an der Türe der großen Netzwerke abgeben?

„Es geht um Instinkt“

Dass Konzerne dank höheren Kapitals – auch Humankapitals – gegenüber KMU einen Vorteil in Sachen Lieferketten-Resilienz haben, bestreitet auch Franz Staberhofer nicht. Dass allerdings die Unternehmensgröße das zentrale Kriterium ist, bezweifelt der Leiter des Logistikums in Steyr. „Es geht eher um den Instinkt dafür, welches Wertschöpfungs-Netzwerk unter dem Strich für das Unternehmen sinnvoll ist. Und um die Frage, wie offen das Unternehmen für Veränderungen ist. Ich kenne große Konzerne, die in diesem Bereich nicht besonders schnell und gut agieren. Und ich kenne KMU, die bemerkenswert wendig und geschickt vorgehen. Grundlegend sehe ich also auch bei kleinen Unternehmen ausreichend Kompetenz, sie sind genauso handlungsfähig – man muss es nur wollen.“

Abgang der Lageristen

Und das geht zum Beispiel so: ein mittelständischer Kontraktlogistiker in Süddeutschland, rund 50 Millionen Euro Jahresumsatz, immer in Familienbesitz. Das Management, erzählt Peter Klaus, hat schon vor Jahren rund ein Dutzend von Risiken definiert, die das Unternehmen potenziell am stärksten bedrohen. In jedem Quartal gibt es eine Sitzung der Geschäftsführer mit den externen Beiratsmitgliedern, in der die Liste aufgerufen, ausführlich diskutiert und gegebenenfalls aktualisiert wird. Die Risiko-reduzierenden oder versichernden Maßnahmen werden im Zuge dessen evaluiert und nötigenfalls adaptiert.

Eine Handlungsebene, meint Klaus, die vollkommen ausreichend ist für die meisten Mittelständler. Die ausgeklügelten und teuren statistischen Methoden zur Messung der Wahrscheinlichkeit von Ausfällen und Störereignissen bleiben wohl den Konzernen vorbehalten – „aber die Mittelständler haben oft den Vorteil, dass ihre Entscheidungsstrukturen und die Fähigkeit zum Improvisieren und zu Ad-hoc-Reaktionen auf Unerwartetes besser erhalten sind als in großen Unternehmensstrukturen.“

Ein Art KMU-typische Resilienz also, die in vielen Fällen gar nicht explizit als Risiko-Vermeidungsstrategie benannt und verstanden wird. Peter Klaus will dabei nicht falsch verstanden werden: Insgesamt sind Wissen und Professionalität im Bereich des Supply Chain Managements seiner Meinung nach in den vergangenen Jahren auch im Mittelstand deutlich gewachsen. „Der Lagerist im grauen Mantel, der Material und Transport managt, ist im Rückzug.“

Und das ist er nicht nur in Deutschland. Franz Staberhofer erlebt immer häufiger, dass kleine Unternehmen eigene Supply-Chain-Manager etablieren. „Das ist immer ein erfreuliches Indiz, auch wenn es alleine noch nicht reicht. Ein zentrales Element ist etwa die Frage, nach welchen Kennzahlen der Einkauf gesteuert wird. Und vor allem: Was folgt danach? Ist in den Verträgen beispielsweise die Wiederbeschaffungszeit geregelt? So etwas ist natürlich mühsam, da man dafür miteinander reden und kooperieren muss.“

Resilient dank Netzwerks?

Ob die Teilnahme an Netzwerken die Sicherheit für die Supply Chains kleinerer Unternehmen grundsätzlich hebt, sei dabei dahingestellt – in gewissen Branchen ist sie wohl unabdingbar. Im Automotive-Bereich etwa greifen die OEM bekanntlich tief in die logistischen Prozesse ihrer Zulieferer ein.

Umgehen lässt sich der Weg in ein Netzwerk ohnehin selten – gestalten hingegen schon. Angesichts der massiven Veränderung der Märkte hält es auch Franz Staberhofer für zwangsläufig, dass sich KMU ein solches schaffen beziehungsweise ihre Bewegung im bestehenden Netzwerk immer wieder hinterfragen und modifizieren. „Vor allem jene, die nicht über ausreichende Kompetenzen im Supply-Chain-Management verfügen, werden solche Netzwerke vermehrt brauchen.“

Zumindest jenen KMU, die ihr Netzwerk mitgestalten können, rät er dringend, es möglichst kooperativ zu gestalten. Nicht nur wegen der psychischen Befindlichkeit: „Es gibt Studien, die eindeutig belegen, dass kooperativ aufgesetzte Netzwerke nachweislich bessere Margen hervorbringen als Ego-getriebene. Nur, wer über längere Zeit und vor allem vertrauensvoll zusammenarbeitet, kommt dauerhaft auf Benefits.“ Natürlich hätten gewisse Industrie-Netzwerke die Tendenz, einen dominanten Kern zu bilden, während die Unternehmen an der Peripherie immer mehr an Autonomie verlieren – „doch ein KMU, das innovativ genug ist, macht seinerseits auch den Nukleus von sich abhängig.“

Das intelligente Bespielen von Wertschöpfungs-Netzwerken sei in Österreich leider immer noch ein wenig unterentwickelt, kritisiert Staberhofer, „hierzulande glauben immer noch viele, dass sie alles selbst erledigen müssen.“ Ein winziges statistisches Detail untermauert seine Behauptung: In Oberösterreich sind mehr Werks-Lkw angemeldet als Lkw von Transportunternehmen. „Das hat mich ehrlich gesagt fast schockiert.“