Deutschland : Weiter Kritik am Dieselgipfel - neue Fahrverbote möglich

Vergangene Woche trafen sich in Deutschland Spitzenpolitiker mit Spitzenvertretern der Autoindustrie, um die Debatte um die Umweltschädlichkeit von Diesel zu beruhigen. Nachdem die Autoindustrie aber nur zu Softwareupdates nicht aber zu stärkeren Eingriffen bereit war, reißt die Debatte über die Schädlichkeit von Diesel nicht ab.

Kritik am Dieselgipfel reisst nicht ab

Deutsche Politiker haben auch am Wochenende Kritik an den Ergebnissen des Diesel-Gipfels geäußert. Die vereinbarten Software-Updates seien nicht ausreichend wirksam, kritisierte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Sie rechne mit einem Rückgang der Stickoxid-Emissionen von weniger als zehn Prozent. Das reiche nicht aus, um Fahrverbote zu verhindern. "Die Autobranche muss nachlegen", sagte Hendricks dem "Spiegel".

Beim Dieselgipfel hatten die deutschen Autobauer zugesagt, selbst "Umstiegsprämien" für Besitzer alter Diesel zu finanzieren. Für weniger Stickoxid-Ausstoß sollen zudem 5,3 Millionen Fahrzeuge der Klassen Euro 5 und 6 eine neue Software erhalten. Darunter sind bereits 2,5 Millionen Autos von VW, für die nach dem Skandal um Abgasmanipulationen Nachrüstungen amtlich angeordnet wurden. Umbauten an Motoren, die teurer und aufwendiger wären, lehnt die Branche ab.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sören Bartol forderte eine technische Umrüstung der alten Diesel-Fahrzeuge, "die günstiger als der Neukauf ist". Viele Besitzer älterer Autos der Schadstoffklassen Euro 3, Euro 4 und auch Euro 5 könnten sich keinen Neuwagen leisten, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die von deutschen Marken beim Diesel-Gipfel zugesagten Prämien für den Kauf neuer, sauberer Fahrzeuge könnten daher "nur eine mögliche Lösung" sein.

Er erwarte von den Herstellern, dass sie innerhalb eines halben Jahres marktgängige technische Konzepte zur Schadstoffreduzierung direkt an den Motoren liefern, machte Bartol deutlich. Sonst müsse die Politik wieder aktiv werden. "Es ist schlicht falsch, dass es keine technischen Lösungen am Markt gibt."

Mittelständische Zulieferer hätten Produkte entwickelt, die auch schon erfolgreich getestet worden seien. "Die Hersteller sollten nicht denken, dass wir zulassen, dass Millionen von Autofahrern faktisch enteignet werden."

Horst Seehofer: Manchen Politikern geht es um einen Krieg gegen die Autoindustrie

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) warnte vor einer "Kriegserklärung" an die Branche. Seehofer sagte der "Bild am Sonntag", er habe den Eindruck, "dass es einigen Politikern und Verbänden darum geht, der Automobilindustrie und damit den Arbeitsplätzen den Krieg zu erklären - auch durch ein Verbot des Verbrennungsmotors. Aber das wird auf den erbitterten Widerstand Bayerns stoßen."

Man werde gemeinsam mit den Beschäftigten und in deren Interesse gegen "jede Art von Hetzjagd vorgehen", so der CSU-Chef. "Wir setzen auf ein Bündnis mit den Menschen und Beschäftigten gegen grüne Ideologien." Man dürfe nicht "die Axt an einen für unser Land und unseren Wohlstand entscheidenden Wirtschaftszweig anlegen". Gleichwohl hätten die Hersteller Fehler gemacht, die schnell korrigiert werden müssten.

Auf den Straßen sind Millionen Diesel-Pkw unterwegs, die mehr Schadstoffe ausstoßen als bei amtlichen Tests auf dem Prüfstand. Im Fokus steht besonders Stickoxid (NOx). Laut Umweltbundesamt reizt es die Atemwege, langfristig beeinträchtigt es die Lungenfunktion und führt zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeitigen Todesfällen.

BMW-Chef Krüger verteidigt die Ergebnisse

BMW-Chef Harald Krüger verteidigte die Ergebnisse des Diesel-Gipfels. Dort "wurden anspruchsvolle Pakete geschnürt", sagte Krüger der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Ein Software-Update für 300.000 BMW-Diesel und eine europaweite Umweltprämie von 2.000 Euro für den Tausch von Alt- in Neuwagen führten mit Blick auf die Umwelt zu einer deutlichen Verbesserung. Von Fahrverboten in Innenstädten hält Krüger nichts: "Ich glaube, es gibt intelligentere Dinge als Fahrverbote." Am Diesel will er auch langfristig festhalten: "Der Diesel kann sich sehen lassen; wir kapitulieren nicht."

Schützenhilfe bekommt er dabei unter anderen von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der Grünen-Politiker warnte vor schwerwiegenden Folgen für den Klimaschutz, sollte die Zahl der Pkw mit Dieselmotoren binnen kurzer Zeit deutlich sinken. "Bei einem signifikanten Rückgang des Dieselanteils wären die Klimaziele so nicht mehr zu halten", sagte der Grünen-Politiker der "Welt am Sonntag". Benziner stoßen mehr klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) aus als Diesel.

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft fordert von den deutschen Autobauern eine größere Entschädigungsbereitschaft im Diesel-Skandal. "Es muss eine Rückkaufpflicht für Hersteller bei manipulierten, gewerblich genutzten Dieselfahrzeugen geben", sagte BVMW-Präsident Mario Ohoven den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Mit Software-Updates und Umstiegsprämien allein sei eine Entschädigung nicht getan. Schließlich seien die Kunden der manipulierten Dieselfahrzeuge in dem Abgas-Skandal die Verlierer.

Mittelstand offenbar für "Bestrafung" der großen Konzerne

Eine große Mehrheit des Mittelstands in Deutschland ist einer Umfrage des Verbands zufolge zudem für eine Bestrafung der Autokonzerne im Diesel-Skandal. 86,2 Prozent hätten sich in der Erhebung unter 1300 Mitgliedern dafür ausgesprochen, schreiben die Zeitungen. Nur eine Minderheit von 13,8 Prozent meint, dass die Konzerne nicht bestraft werden sollen, da dies dem gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland schaden würde.

Für den Fall, dass Fahrverbote kommen, möchte der Deutsche Städtetag gerüstet sein. "Dann wird ein Instrument gebraucht, damit schadstoffarme Autos gekennzeichnet und Fahrverbote kontrolliert werden können. Deshalb ist die Blaue Plakette nötig", sagte die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse, der "Passauer Neuen Presse" (Samstag). Derzeit gibt es drei Stufen der Kennzeichnung, je nach Schadstoffausstoß des Fahrzeugs. Mit der blauen Plakette für schadstoffarme Diesel würde eine vierte eingeführt, mit der vor allem älteren Dieselfahrzeugen die Einfahrt in Umweltzonen untersagt werden könnte.

Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer will Gutscheine von 2000 Euro für jedes Dieselfahrzeug

Gutscheine im Wert von 2.000 Euro für jeden Dieselauto-Besitzer und eine Abschaffung des Steuervorteils gegenüber Benzinern könnten nach Ansicht des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer das Diesel-Problem lösen. Der Professor für Automobilwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen schlägt vor, Autobesitzer zur Umrüstung der Motoren mit dem Gutschein zu bewegen. Die 2.000 Euro sollten auch dann gezahlt werden, wenn das Altauto verschrottet wird. Die Vorschläge lagen der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag vor.

Dudenhöffer rechnet darin vor, die gutscheinfinanzierte Umrüstung und Verschrottung würde einmalig 20,2 Milliarden Euro kosten. Weitere 1,8 Milliarden Euro würden jährlich anfallen, wenn die Kfz-Steuer für Diesel auf das Niveau der Benziner-Besteuerung gesenkt würde. Der Autoexperte schlägt zur Finanzierung vor, den Steuervorteil des Dieselkraftstoffs von 18 Cent pro Liter gegenüber Benzin aufzuheben. Das ergäbe jährliche Mehreinnahmen von 9,9 Milliarden Euro. Laut Dudenhöffer wäre damit die gutscheinfinanzierte Umrüstung nach zweieinhalb Jahren finanziert. Er sieht bei seinem Vorschlag nur Gewinner: "Die Autobauer kommen schnell vom Schmutz-Image des Diesel weg, Fahrverbote werden ausgeschlossen, die Menschen in unseren Großstädten werden von zu viel Stickoxiden befreit", erklärte Dudenhöffer. (APA/dpa/Reuters/red)