Mobilfunkstandard : Was kann 5G für die heimische Industrie leisten?

Theresa May muss es wollen, Christian Kern will es und Angela Merkel sowieso: Die jeweiligen Länder sollen Vorreiter beim neuen Mobilfunkstandard 5G werden. Für alle drei gehört der neue Standard zur politischen Digitalisierungsstrategie – BIP-Wachstum und neue Antennen inklusive. Doch was ist 5G, was kann der Standard eigentlich für die österreichische Industrie leisten und müssen Unternehmer kostenintensiv umrüsten? Vorreiter zeigen auf der Hannover Messe schon Anwendungen. INDUSTRIEMAGAZIN bat Andreas Bergner von T-Systems International zum Faktencheck.

Was ist 5G eigentlich?

Andreas Bergner Von 2G bis zur 4. Generation (4G) haben wir es mit Mobilfunkstandards zu tun. 2G verhalf dem mobilen Telefonieren zum Durchbruch, 3G ermöglichte zusätzlich mobilen Datentransfer. 4G, auch als LTE bekannt, hat diesen mobilen Datentransfer perfektioniert, wird immer besser und ist noch längst nicht ausgereizt. Für den nächsten Schritt hin zu 5G wird diese Logik der Mobilfunk-Evolution verlassen. Es kommt zur Revolution, denn 5G konzentriert sich auf konkrete Anwendungsszenarien und der Mensch steht nicht mehr allein im Mittelpunkt – es geht um das Internet der Dinge. Mensch, Sensor, Maschine – all diese sind vernetzt. Diesen Spagat, mit ein und derselben Infrastruktur all den Bedürfnissen gerecht zu werden, wird 5G beherrschen.

Ist 5G damit die Alternative zur Glasfaser?

Bergner 5G bringt ein standardisiertes Konzept mit sich, wie mit neuer, aber auch mit der bereits bestehenden Infrastruktur und Technik umzugehen ist. Das schließt auch Glasfasernetze mit ein. Je nach Anwendungsszenario kann solch eine Glasfaseranbindung sogar notwendig sein – muss aber nicht. An der Autobahn A9 bei Pfaffenhofen haben wir in Tests mit modernster Technik beispielsweise das Autofahren sicherer gemacht. Dabei haben die Systeme im Zehntel eines Wimpernschlags auf drohende Gefahrensituationen aufmerksam gemacht und dem Fahrer Lösungsvorschläge angeboten. Das ist nur möglich, wenn die Daten in möglichst unmittelbarer Nähe zum Verbraucher verarbeitet und gar nicht erst über die Glasfasernetze zu einem Rechenzentrum geschickt werden müssen.

Ist 5G für die Industrie gemacht oder für den Consumerbereich?

Bergner Sowohl der Consumerbereich als auch die Industrie kann von 5G profitieren. Das Internet der Dinge kennt keine Grenze und macht diese Unterscheidung daher nicht. Es ist jedoch möglich, dass die Industrie schneller profitieren wird und dass es dauert, bis 5G-Services auch beim Verbraucher ankommen. Das liegt auch daran, dass 4G noch nicht ausgereizt ist und für viele Bedürfnisse der Konsumenten ausreichen wird.

Wie kann die Industrie 5G nutzen?

Bergner Bei mobilen Arbeitsmaschinen rücken künftig neue Geschäftsmodelle „Arbeitsleistung der Maschine als Service“ in den Vordergrund. Die Möglichkeiten der Vernetzung sowie Kommunikation der Maschinen untereinander wird zunehmen. Andere Mobilfunk-Standards, wie beispielsweise WiFi oder BLE, haben technische Grenzen. Die Vorteile der kommenden 5G-Technik wurden von den Industrieanwendern bereits erkannt und ihre Bedürfnisse im 5G-Weißbuch erfasst.

Gibt es schon Produkte, die 5G-ready sind?

Bergner Noch gibt es keinen weltweit gültigen Standard 5G. Die Technik, die für dieses Jahr angekündigt ist, sollte man lediglich als Vor-Standard-Version ansehen und birgt ein Risiko. Sollten sich noch Änderungen bis 2020 ergeben, ist diese – eigentlich neue Technik – schon wieder veraltet. 5G wird programmierbare Netze ermöglichen, die sich etwa durch ultraschnelle Reaktionszeiten auszeichnen. Vor diesem Hintergrund können sich für Steuerungen neue Betriebsmodelle in Kombination mit Cloud und künstlicher Intelligenz ergeben.

Welcher administrative Rahmen fehlt noch?

Bergner Mit der Definition und Festlegung auf Frequenzen bei der World Radio Conference 2019 wird der finale Rahmen abgesteckt. 2020 wird man voraussichtlich immer öfter auf 5G-Services zurückgreifen können. Was Einsatzgebiete, wie das automatisierte Fahren oder das Fliegen von Drohnen angeht, so müssen dafür sicherlich jeweils ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden. Mit 5G selbst hat das aber nichts zu tun.

Was kann die neue Technik leisten?

Bergner 5G kann auf ein und derselben Infrastruktur unterschiedlichste Anforderungen an Netze erfüllen. Es müssen also nicht parallel eigene Netze für diese Anforderungen aufgebaut werden, sondern per Software definierte Netze kommen zum Einsatz. Durch diese Veränderungen erzielt die Technik – wenn sie auf die Philosophie von 5G hört – jeweils eine 1.000-fach höhere Kapazität, eine 100-fach höhere Verbindungsdichte, eine 10-fach höhere Geschwindigkeit, eine zehnfach geringere Latenzzeit und 1,5-mal mehr Mobilität.

Können bestehende Fabriksysteme problemlos umswitchen?

Bergner 5G bietet alles und noch etwas mehr als das etablierte 4G. Insofern kann eine bestehende Fabrik problemlos umswitchen. Neue Gerätegenerationen bieten jedoch oft mehr Leistung. Insofern empfehlen wir auch hier, auf aktuelle Geräte zu setzen.

Braucht am Ende jede Steuerung, jedes Gerät ein neue SIM-Karte?

Bergner Das ist eine Frage des Einsatzszenarios und der Zielarchitektur der Lösung. Der OPC-UA-Standard erlaubt es, die Sensorwerte aus mehreren Steuerungen zusammenzufassen und in unsere Multi-IoT-Service-Plattform zu übertragen. Insofern ist es nicht unbedingt erforderlich, dass jede Steuerung eine SIM-Karte benötigt. Allerdings können bestimmte Anforderungen aus den Serviceprozessen oder Security eine SIM-Karte pro Steuerung erforderlich machen.

5G in Österreich

Österreich soll bis zum Jahr 2022 vollständig mit der nächsten Mobilfunkgeneration 5G versorgt sein. Nebeneffekt: Dadurch sollen rund 35.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Die Ausbaukosten belaufen sich laut Schätzungen auf rund drei Milliarden Euro. Die Zahl der Antennen wird sich verdrei- oder sogar vervierfachen, erklären Experten.