Managementtipp : Vom goldenen Jahrzehnt in die Rezession?

Kurve in Berechnung geht nach oben
© iamchamp

Seit der Finanzkrise gab es in Sachen Wirtschaft nur eine Richtung: nach oben. Zehn Jahre ohne Rezession, ausgeglichene Staatshaushalte, dynamisches Stellenwachstum am Arbeitsmarkt und praktisch keine Inflation – es schien, als wäre man auf einem Pfad nachhaltigen Aufschwungs und schier endlosen Wachstums angekommen. Anfang 2020 spricht man in der Rückschau vom „goldenen Jahrzehnt“.

Heute, drei Jahre später, haben sich die Vorzeichen geändert. Eine globale Pandemie, der Krieg in Europa, weltweite Klimakatastrophen und die Fiskal-/Geldpolitik der letzten Jahre führen dazu, dass wir mit unterbrochenen Lieferketten, Energiepreisschocks, der höchsten Inflation seit vielen Jahrzehnten und einer prognostizierten Weltwirtschaftskrise konfrontiert sind. Für Unternehmen bedeutet das eine deutlich abkühlende Nachfragesituation, rasant steigende Kosten für Material, Personal und Kapital, anhaltende Herausforderungen, die eigene Wertschöpfung zu organisieren, eine größer werdende Kluft zwischen Stakeholderinteressen und Sachzwängen sowie eine zunehmende Ungewissheit: die Ungewissheit darüber, wie es weitergeht und was als nächstes kommt. „Polycrisis“ ist das neue Wort der Stunde.

Doch wie können diese Krisen bewältigt werden? Ist überhaupt ein Ende der Krisen absehbar oder müssen wir uns auf ein Umfeld einstellen, das auf längere Sicht in keinen beruhigten Zustand zurückkehren wird? Für den praktischen Umgang mit dieser Situation sehen wir drei Aufgabenfelder.

Taktik: das pragmatische Bewältigen unmittelbarer Herausforderungen


Aus dem von Inflation und rezessiven Entwicklungen geprägten aktuellen Wirtschaftsumfeld entstehen unmittelbare, meist die Liquidität und das kurzfristige Geschäftsergebnis betreffende Sachzwänge. Das Ziel ist es, das Unternehmen durch die unmittelbare Krise zu führen und die finanzielle Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Hier empfehlen wir eine strukturierte Auseinandersetzung mit den folgenden Hebeln:

  • Preise & Margen: Transparenz über entstehende Kosten schaffen und verlustbringende Produkte bzw. Dienstleistungen identifizieren, um in weiterer Folge die Preispolitik zu optimieren und Kosten an Kunden weiterzugeben
  • Ausgaben: Transparenz über anfallende Ausgaben schaffen, um Einsparungen in der Beschaffungsstrategie sowie ggf. eine Reduktion der Komplexität durchzuführen
  • Lohnkosten: Lohnkosten unter Beachtung der Mitarbeiterbindung optimieren. Dabei können Umstrukturierungen, Anpassungen der Incentivierungen oder Outsourcing-Strategien zum Ziel führen
  • Subventionen: Sämtliche, zugängliche Subventionen sowie andere regulatorische und staatliche Unterstützungen erkennen und in Anspruch nehmen
  • Working Capital & Liquidität: Working Capital- und Liquiditätsmanagement verbessern, um die Handlungsfähigkeit zu erhöhen
Klaus Haberfehlner, Partner in der Strategie- und Transaktionsberatung und Verantwortlicher für den Industriebereich bei EY-Parthenon
"Beobachten Sie den Markt nach Möglichkeiten, Ihre erfolgreichen Geschäftsfelder rasch zu vergrößern": Klaus Haberfehlner, Partner und Verantwortlicher für den Industriebereich bei EY-Parthenon - © Stefan Seelig

Strategie: das kritische Reflektieren der strategischen Agenda und des Geschäftsfeldportfolios

Darüber hinaus sollten Krisen aber auch ein Anlass sein, die aktuelle strategische Agenda und das Geschäftsfeldportfolio in seinen Grundsätzen zu hinterfragen. Strategische Initiativen wie die weitere Digitalisierung von Geschäftsmodellen, die Investition in nachhaltige(re) Produkte und Wertschöpfungsprozesse oder das Erschließen neuer Märkte und Kundengruppen können wertvolle Beiträge zur Reaktion auf die durch die Krisen veränderten Anforderungen darstellen. Diese Aktivitäten können aber auch verpuffen, wenn sie in den falschen, durch die Krisen langfristig an Relevanz verlierenden Geschäftsfeldern erfolgen. Die Schlüsselfrage ist, ob das Unternehmen über das richtige Portfolio verfügt, um das Beste aus den durch die Krisen veränderten Rahmenbedingungen zu machen. Ziehen Sie eine kritische Bilanz und arbeiten Sie proaktiv an Ihrem Geschäftsfeldportfolio – am besten aus drei Perspektiven:

  • Buy & Integrate: Beobachten Sie den Markt nach Möglichkeiten, Ihre erfolgreichen Geschäftsfelder rasch zu vergrößern. Entwickeln Sie die dazu erforderlichen Fähigkeiten und nutzen Sie die Krise als Chance, um Assets zu erwerben.
  • Sell & Separate: Trennen Sie sich von Geschäftsbereichen, die nicht mehr zu Ihrem Portfolio passen – in anderen Händen können diese möglicherweise besser ihre Ertragskraft entfalten. Nachhaltig negative Geschäftsfelder sollten im Zweifel eingestellt werden.
  • Grow & Innovate: Schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, regelmäßig neue Wertschöpfungspotenziale zu identifizieren und fokussieren Sie Ihre Ressourcen und Aufmerksamkeit auf jene Geschäftsfelder mit dem größten Potenzial.
Roman Wörner, Director bei EY-Parthenon und im Bereich Strategy tätig
"Krisen sollten auch ein Anlass sein, die aktuelle strategische Agenda und das Geschäftsfeldportfolio in seinen Grundsätzen zu hinterfragen": Roman Wörner, Director bei EY-Parthenon und im Bereich Strategy tätig - © Christina Häusler

Unternehmens-DNA: das kultivieren neuer, kritischer Fähigkeiten

Wie gut ein Unternehmen mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Dynamik umgehen kann, wird vor allem durch drei Fähigkeiten geprägt. Wer langfristig in einer Welt wiederkehrender Krisen erfolgreich sein will, muss diese kultivieren.

  • Foresight: Speziell in unsicheren Zeiten muss ein Unternehmen in der Lage sein, Umfeldentwicklungen frühzeitig und umfassend zu erkennen. Das Ziel ist ein Überblick darüber, wie sich die wesentlichen Rahmenbedingungen potenziell entwickeln, in welchem Ausmaß das Unternehmen direkt und indirekt von diesen Entwicklungen betroffen ist, an welchen Stellen das Unternehmen aktiv steuern und wo nur reagieren kann und welche Maßnahmen folglich zu setzen sind.
  • Agilität: Eine notwendige Voraussetzung für die Umsetzung der Maßnahmen ist Agilität – das heißt die Fähigkeit, flexibel zu reagieren und das eigene Tun und Geschäftsmodell laufend an sich ändernden Anforderungen auszurichten.
  • Resilienz: Und letztlich erfordert der Umgang mit Krisen erfordert auch Robustheit. Diese fundiert auf einer starken, zukunftsgerichteten Vision und ausreichend eigene Ressourcen, flexible Partner und möglichst wenige „Bottlenecks“.

Handeln Sie!

Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen und einer Vielzahl an Lösungen. Die Aufarbeitung der oben genannten Punkte sowie die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen erfordern Expertise und Fingerspitzengefühl.

Autoren: Klaus Haberfehlner ist Partner im Bereich Strategy & Transactions und verantwortet bei EY-Parthenon den Industriebereich. Roman Wörner ist Director bei EY-Parthenon, der Strategieberatungsmarke von EY Österreich und auf die Beratung der Industriebranche spezialisiert.

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