Finanzierung : Stiller Umbruch

Ein Blick in die Bücher des Linzer Stahlkonzerns Voestalpine wirkt alarmierend. Oberflächlich deutet alles auf eine massive Beschneidung der klassischen Bankfinanzierungslinien hin. Doch von der viel zitierten Kreditklemme spürt man beim Linzer Stahlerzeuger gar nichts. „Bankkredite wurden während der Hochzeit der Finanzmarktkrise sicherlich sehr restriktiv vergeben“, sagt Konzernsprecher Peter Felsbach. „Aber momentan könnten wir uns wieder mit großen Volumina zu günstigen Konditionen eindecken.“ Der Credit Crunch in den Büchern der Linzer ist gewollt: Wie auch viele andere kapitalmarktfähige Industriebetriebe hat der Voestalpine-Konzern seit der Finanzmarktkrise stark auf alternative Kreditformen gesetzt. Der Anteil an Bankverbindlichkeiten liegt jetzt unter 50 Prozent.

Kein Unglück

Während klassische Kommerzkredite in den letzten beiden Jahren de facto kein Wachstum vorzuweisen hatten, werden Unternehmensanleihen und Factoring mit fast zweistelligen Jahressteigerungsraten immer beliebter. Im internationalen Vergleich hinkt Österreich bei alternativen Finanzierungsformen allerdings immer noch stark hinterher. Mit einem Wachstum von über 19 Milliarden Euro bzw. rund 53 Prozent deckten Corporate Bonds in den letzten vier Jahren den mit Abstand größten Kapitalbedarf heimischer Unternehmen ab. Die Banken sind mit dem daraus resultierenden Nullwachstum bei Kommerzkrediten – nicht zuletzt wegen der hohen Eigenkapitalunterlegungspflicht durch Basel III – aber alles andere als unglücklich. „Wir stehen an der Spitze einer Entwicklung, wonach Kapitalmarktprodukte den klassischen Bankkredit zwar substituieren, aber nicht zur Gänze ersetzen werden“, sagt Dieter Hengl, Bank-Austria-Vorstand Corporate & Investment Banking.

Dass das Ende der Fahnenstange bei alternativen Finanzierungsformen in Österreich noch nicht erreicht sein dürfte, zeigt ein internationaler Vergleich. Während in Österreich 56 Prozent der Unternehmen noch immer auf Bankkredite setzen, sind es im Euroraum durchschnittlich 49 Prozent und in den USA gar nur 5 Prozent. Auch Hengl sieht weiteres Potenzial: „Ende 2014 könnten die Auswirkungen von Basel III zusätzlichen Schwung in Kapitalmarktfinanzierungen bringen“, sagt der Bank-Austria-Vorstand.

Unternehmensanleihen: Etwas schaumgebremst beurteilt man nach den letzten Spitzenjahren an der Wiener Börse die Entwicklung am Corporate-Bond-Markt. „Seit dem Sommer 2013 wurde es um Neuemissionen in Österreich ziemlich ruhig. Die Kombination aus niedrigem Zinsniveau, günstigen Credit Spreads und hoher Investorennachfrage sollte den Markt aber letztendlich doch wiederbeflügeln“, sagt Florian Vanek, Anleiheexperte der Wiener Börse. Jüngstes erfolgreiches Beispiel dafür ist eine 150-Millionen-Euro-Anleihe von DO & CO mit siebenjähriger Laufzeit und einem Kupon von 3,125 Prozent, die im März 2014 emittiert wurde. Dieser Bond war fast vierfach überzeichnet und wurde hauptsächlich von österreichischen Privatkunden nachgefragt. Dass der Markt nach dem Zahlungsausfall bei Alpine-Bonds selbst für dynamische Anleihegattungen offensichtlich keinen nachhaltigen Schaden davongetragen hat, zeigt die erfolgreiche Platzierung eines Hybridbonds von Egger Holzwerkstoffe über 100 Millionen Euro im Herbst 2013.

Schuldscheindarlehen: Ähnlich gestrickt und auch ähnlich beliebt wie Unternehmensanleihen sind neuerdings Schuldscheindarlehen bei heimischen Industriebetrieben. „In Österreich haben seit Ausbruch der Finanzmarktkrise bereits mehr als 20 Unternehmen ein Schuldscheindarlehen aufgenommen“, sagt Florian Hehenfelder, Experte für strukturierte Finanzierungen, BAWAG P.S.K. Nach Konzernen wie der Voestalpine oder RHI nahm sich Anfang März 2014 auch der steirische Leiterplattenhersteller AT&S ein derartiges Darlehen über 158 Millionen Euro auf.

„Die Emission des Schuldscheindarlehens stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung Diversifizierung und weitere Optimierung der Finanzierung unseres Konzerns dar. Wir profitieren damit vom nach wie vor interessanten Zinsniveau, insbesondere bei langen Laufzeiten“, sagt AT&S-Vorstand Andreas Gerstenmayer. Wie eine Unternehmensanleihe ist ein Schuldscheindarlehen eine längerfristige, endfällige und meist unbesicherte Finanzierung, die sich an ein breites Investorenpublikum richtet. Kosten und Auflagen sind bei dieser Darlehensform spürbar günstiger als bei Anleihen.

Factoring: Prozentuell am stärksten aller Finanzierungsformen konnte sich Factoring mit einem Zuwachs von 213 Prozent (+ 7,5 Milliarden Euro) in den letzten vier Jahren in Szene setzen. „Viele Banken haben in letzter Zeit zur Kenntnis genommen, dass Factoring für ihre Kunden ein vorteilhaftes Produkt ist. Und hinsichtlich Basel III natürlich auch diverse Bankkennzahlen geschont werden können“, sagt Herbert Auer, Vorstand der VB Factoring Bank AG. Das rasante Wachstum des Forderungsverkaufs geht hauptsächlich zulasten von klassischen Kontokorrentfinanzierungen, die in den letzten vier Jahren um 5 Prozent geschrumpft sind. „Wir sehen einen generellen Trend bei Unternehmen, die Abhängigkeit von klassischen Bankfinanzierungen zu verringern und sich damit Kreditlinien freizuhalten. Mit Factoring aktives Working-Capital-Management zu betreiben ist dabei ein wichtiger Baustein“, sagt Florian Hehenfelder, Experte für strukturierte Finanzierungen, BAWAG P.S.K.

Leasing: Doch nicht alle alternativen Finanzierungsformen profitieren von der Stagnation in der Kreditvergabe. Im Kommerzbereich waren neue Leasingfinanzierungen gegenüber 2011 sogar um 20 Prozent rückläufig. Besonders schwach zeigten sich das Mobilien- und das Immobiliensegment. Für 2014 herrscht allerdings wieder Optimismus in der Branche. „Wir sind zuversichtlich, mit dem steigenden Wirtschaftswachstum in Österreich und Europa mitziehen zu können“, sagt Michael Steiner, Präsident des Verbandes österreichischer Leasinggesellschaften. Sogar um 47 Prozent (Vergleich 2008 vs. 2012) eingebrochen sind neue Investitionen in der heimischen Private-Equity-Szene. „Der Risikoappetit von Investoren ist seit der Finanzmarktkrise deutlich geringer geworden. Speziell bei Frühphaseninvestments sehen wir eine starke Zurückhaltung bei potenziellen Kapitalgebern“, sagt Jürgen Marchart, Geschäftsführer Austrian Private Equity und Venture Capital Organisation.

Kredit: Dass der klassische Bankkredit als noch immer mit Abstand wichtigste Finanzierungsform der heimischen Industrie nachhaltige Stagnationstendenzen aufweist, ist keinesfalls automatisch mit einer Kreditklemme gleichzusetzen. Vielmehr haben sich speziell die kapitalmarktfähigen Unternehmen mit der Ausschöpfung alternativer Finanzierungsquellen an internationale Standards angenähert. Unter dem Strich sind jedenfalls die Gesamtverbindlichkeiten von heimischen Unternehmen in den letzten vier Jahren um fast 33 Milliarden Euro bzw. knapp 4 Prozent pro Jahr gewachsen.