Stahlindustrie : Stahlstandort Europa ist großem Risiko ausgesetzt

Die Europäische Kommission hat kürzlich die Neuregelung des Emissionsrechtehandels angekündigt. Der Reformvorschlag sieht vor, die Richtwerte für den CO2-Ausstoß zu erhöhen und gleichzeitig die Zahl der verfügbaren industriellen Verschmutzungsrechte zu verknappen. Zudem will die Behörde weniger Ausnahmen für energieintensive Branchen zulassen wie die Stahl-, Zement- oder die chemische Industrie. Die europäische Stahlindustrie ist deshalb in Aufruhr, Pläne zur Abwanderung gibt es ja bereits - und auch dessen Umsetzung hat begonnen.

So stellt etwa die heimische Voestalpine im amerikanischen Corpus Christi eine Direktreduktionsanlage um 550 Millionen Euro auf - es werden dafür zwar hohe Transportkosten anfallen, da die Hochöfen in Europa stehen, trotzdem liegt der Kostenvorteil jährlich bei 200 Millionen Euro. Ohnehin ist nicht klar, ob die Hochöfen dauerhaft in Europa angesiedelt bleiben, denn aufgrund der Anpassung des Emissionshandels werde die Voest bis 2019 entscheiden, ob die Hochöfen in Linz und Donawitz erneuert werden.

Auch in China will Voestalpine-Chef Wolfgang Eder weiter intensiv investieren: Derzeit werden drei Werke hochgefahren, außerdem sei unter anderem auch ein Edelstahlwerk geplant. Darüber hinaus sei man in konkreten Gesprächen etwa mit der chinesischen Bahnverwaltung und Automobilherstellern. Denn in China sei es möglich, auf Knopfdruck Dinge zu machen, für die Demokratien oft Jahre brauchen würde - weil die Dualität zwischen dem kommunistischen politischen System und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem weiter funktioniere, "ohne das jetzt in irgendeiner Weise werten zu wollen", sagt der Voestalpine-Chef.

"Existenzbedrohung"

Was die Zukunft angeht, wird sich die Voestalpine in den nächsten zwei bis drei Jahren einem "intensiven Strategieprozess" stellen. "Faktum ist, dass sich die EU-Kommission bisher über die Vorgaben des Rates hinwegsetzt", sagt Eder. Der Rat habe letztes Jahr ausdrücklich gesagt, dass die EU zwar den Weg als Vorreiter für den Umweltschutz fortsetzen werde, dass gleichzeitig aber Unternehmen vor der Konkurrenz aus jenen Ländern geschützt werden müssten, die keine vergleichbaren Systeme hätten.

Auch andere europäische Stahlunternehmen kritisieren die Kommissionsvorschläge zum Emissionsrechtehandel. ""Wenn der Kommissionsvorschlag so umgesetzt wird, ist das eine ganz krasse Existenzbedrohung für uns", sagt zum Beispiel Heinz Jörg Fuhrmann, der Vorstandsvorsitzende des niedersächsischen Stahlkonzerns Salzgitter. Die Mehrbelastung für sein Unternehmen läge bei über 100 Millionen Euro. "Das können wir nicht stemmen", zitiert die "Welt" online den Salzgitter-Chef.

Auch für Tata Steel würden die Vorschläge ein Risiko für den Stahlstandort Europa darstellen. Dieses Modell werde in der Branche zu einem Schrumpfungsprozess führen. Schließlich hätten sämtliche Wettbewerber in Asien und Amerika deutlich bessere Rahmenbedingungen. "Wenn ich vor dem Tata-Aufsichtsrat in Indien über den Emissionshandel in Europa spreche, ist es für die Kollegen dort sehr schwer nachzuvollziehen, warum Europas Politik die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Stahlhersteller untergräbt", zitiert die Zeitung den Manager.

Auch die deutsche Wirtschaftsvereinigung Stahl sieht massive Mehrbelastungen auf die Branche zukommen, allein in Deutschland würden der Stahlindustrie durch den Kauf von Zertifikaten und Strompreiserhöhungen jährliche Kosten von bis zu einer Milliarde Euro bis 2030 entstehen, so Hans Jürgen Kerkhoff, der Präsident des deutschen Branchenverbandes. Damit seien die Unternehmen überfordert. Tatsächlich gelten die Stahlwerke in Europa als technisch führend auf der Welt. Das sei aber ebenso wenig berücksichtigt worden wie die Tatsache, dass Stahl über seine Recyclingfähigkeit einen enormen Beitrag zum Klimaschutz leistet, kritisieren laut der "Welt" Experten. "Die EU übersieht in ihren Bewertungen den kompletten Lebenszyklus von Stahl", sagt zum Beispiel Nils Naujok, Partner bei der Strategieberatung Strategy&. Natürlich seien Parameter wie die Recyclingfähigkeit oder die Möglichkeit von Leichtbau schwer zu messen. "Aber sie ganz außen vor zu lassen, ist fahrlässig. Das setzt falsche Anreize."

Weitere Branchen betroffen

Eine Deindustrialisierung könnte die Folge sein, die Produktion in Europa könnte sukzessive verschwinden - siehe die Pläne der Voestalpine, die im dreistelligen Millionenbereich in Asien investiert. In Europa dagegen verwalte die Branche derzeit praktisch nur noch ihren Bestand. "Wir investieren derzeit noch genau das, was nötig ist, um technologisch up to date und wettbewerbsfähig zu sein", sagt Salzgitter-Chef Fuhrmann stellvertretend für die gesamte Industrie. Grundsätzliche Entscheidungen dagegen, etwa zu Kapazitätserweiterungen oder zu neuen Werken, seien in Bezug auf Europa komplett auf Eis gelegt. Denn Investitionen seien in der Stahlbranche langfristig angelegt, und dies bringe die Stahlkonzerne natürlich ins Grübeln, so Nils Naujok. "Das aktuell diskutierte Szenario erschwert es deutlich, langfristige Entscheidungen zu treffen", bestätigt Tata-Mann Köhler, der deswegen in Nordengland kürzlich ein Werk zum Teil stillgelegt hat.

Diese Zurückhaltung lähmt natürlich auch andere Branchen, wie Naujok gegenüber der "Welt" berichtet: "Etablierte und vor allem integrierte Lieferketten würden zerstört", warnt Nils Naujok und verweist auf die enge Zusammenarbeit der Stahlhersteller unter anderem mit der Autoindustrie und dem Maschinenbau. Zwar könnten die Hersteller von Autos und Maschinen auch Stahl importieren. "Dann bekommen sie aber nicht mehr die Güten, die sie benötigen", sagt Salzgitter-Chef Fuhrmann. "Dafür braucht man das entsprechende Equipment und vor allem jahrzehntelanges Prozess-Know-how." Da könne man nicht mal eben den Lieferanten wechseln und in Russland, China oder Amerika bestellen. "Wir brauchen die Partnerschaft mit den deutschen Stahlherstellern, das macht unsere Stärke mit aus", bestätigt Matthias Zelinger, der energiepolitische Sprecher des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Und dabei sei es enorm wichtig, dass diese Partner auch im Land bleiben.