Wirtschaftspolitik : Sorgen der deutschen Industrie nach Verhandlungsende in Berlin

Die deutsche Wirtschaft spart nach dem Aus der Sondierungen für eine Regierungsbildung zwischen Union, FDP und den Grünen nicht mit Kritik an den beteiligten Parteien. Sie befürchtet eine Verunsicherung, die Investitionen bremsen kann.

Ökonomen: Aufschwung wird sich fortsetzen

Trotzdem rechnen führende Ökonomen nicht mit einem Ende des Aufschwungs in Deutschland, dem wichtigsten Handelspartner der österreichischen Exporteure.

"Die Wirtschaft ist mit 2,5 Prozent Wachstum, starkem Unternehmensvertrauen, Vollbeschäftigung und einem Haushaltsüberschuss in so guter Verfassung, dass vorerst nur wenige wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen", meint Chefvolkswirt Holger Schmieding von der Berenberg Bank.

"Damit verlieren mögliche Neuwahlen im Frühjahr etwas ihren Schrecken. Zumindest für den Moment", so Analyst Jochen Stanzl von CMC Markets. Aktuell dazu: Konjunkturboom in Deutschland dauert an >>

Handwerkerverband: "Deutschland einen Bärendienst erwiesen"

"Es ist fatal und kein gutes Signal für Wirtschaft und Gesellschaft, dass die sondierenden Parteien nicht in der Lage waren, sich auf tragfähige Kompromisse zu verständigen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen", sagte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Peter Wollseifer. "Damit haben die sondierenden Parteien Deutschland einen Bärendienst erwiesen."

"Längere Phase der Unsicherheit" möglich

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Das Scheitern sei eine Enttäuschung, werde doch damit eine Chance verpasst, sachgerechte Lösungen zu finden. Es bestehe die Gefahr, dass jetzt die Arbeiten an wichtigen Zukunftsthemen lange verzögert werden. "Deutsche Unternehmen müssen sich nun auf eine möglicherweise längere Phase der Unsicherheit einstellen", warnte Schweitzer.

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Ökonomen rechnen mit einer Fortsetzung des Aufschwungs

Ein Ende des acht Jahre währenden Aufschwungs erwarten führende Volkswirte durch das Jamaika-Aus allerdings nicht. "Der daraus erwachsende volkswirtschaftliche Schaden dürfte gering sein, denn die Fundamentaldaten sind stark und die Konjunktur hat viel Rückenwind", sagte der Chefvolkswirt der Nordea Bank, Holger Sandte, angesichts von Rekordbeschäftigung, Überschüssen im Staatshaushalt und voller Auftragsbücher.

"Natürlich ist die Unsicherheit Gift für die Wirtschaft", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Europas größte Volkswirtschaft befinde sich allerdings in einer äußerst robusten Verfassung. "Die Wettbewerbsfähigkeit ist noch immer hoch, die lockere EZB-Politik facht die Nachfrage an", sagte Krämer. "Die Wirtschaft hat also so viel Schwung, weshalb sich die zahlreichen Probleme – von schlechten Straßen bis zum langsamen Internet – vorerst nicht bemerkbar machen." Auch 2018 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um mindestens zwei Prozent zulegen.

Ifo: Minderheitsregierung als Chance

Wie es auf politischer Ebene nun weitergehen soll, darüber sind Experten uneins. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht durchaus Chancen in einer Minderheitsregierung. "Das größte ökonomische Risiko besteht in der wachsenden Unsicherheit über den Kurs der Wirtschaftspolitik und die Stabilität der Regierung", sagte Fuest. Die skandinavischen Länder und Kanada hätten mit Minderheitsregierungen oft gute Erfahrungen gemacht.

DIW: Weder für Schwarz, Grün oder Gelb sind Neuwahlen ein Erfolg

Der Präsident des Berliner DIW, Marcel Fratzscher, schreibt dagegen Jamaika noch nicht ab. "Noch sind hoffentlich nicht alle Stricke gerissen", betonte er. "Die Jamaika-Parteien müssen einen neuen Anlauf machen, denn sie wissen, für keine von ihnen würden Neuwahlen Erfolg versprechen."

Die Parteien müssten dringend die wichtigen Probleme behandeln, etwa die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, den Klimawandel und die Schwierigkeiten bei der stark steigenden Einwanderung. (reuters/dpa/apa/red)