Transformation : So digitalisieren SAP & Co die heimische Industrie

Christian Ott war nicht angereist, um die Annehmlichkeiten des Mühlviertels auszukosten. Auch wenn das Falkensteiner Hotel in Bad Leonfelden – rustikaler Charme, Saunagarten mit Zierteich – in dieser Hinsicht einiges zu bieten hat: Natur und Ruhe zum Beispiel. Doch Anfang Oktober wartet auf Ott und das engste Managementteam des Batterieherstellers Banner statt Müßiggang harte Arbeit: Im Zuge des jährlichen Organisationsentwicklungs-Workshops widmet man sich einen vollen Arbeitstag dem Thema digitale Transformation.

Einen ganzen Nachmittag stellt der Banner-CIO seinen Kollegen die digitale Roadmap des Unternehmens vor. Cloud-Computing, das Internet der Dinge – nichts spart Ott, an dem Tag in Höchstform, aus. Doch auffallend wenig kommt die Rede auf die digitalen Services jener, die mit ihren Plattformen gerade die Industrie aufmischen wollen: Die großen Systemhäuser SAP, Microsoft oder IBM. Kein Zufall.

Den Verlockungen der Digital-Evangelisten begegnet Ott mit Vorsicht. Die Digitalisierung – und alles was dazugehört – sieht Ott als Chance, natürlich. Aber man gehe „mit Besonnenheit an die Sache heran“, so der CIO.

Nerds gegen IT-Puritaner

Dass an Otts Widerstand regelmäßig süße Beraterträume zerplatzen, hat Gründe: Ein tief in der DNA des Unternehmens verankerter Pragmatismus, der auch einschließt, sehr aufmerksam über Prozesse und Kosten zu wachen, hat dem Unternehmen schon bisher nicht geschadet. Damit ist der ausgebildete Wirtschaftsinformatiker, seit 1992 IT-Chef, als „wichtigste steuernde Kraft in allen Digitalisierungsagenden des Unternehmens“ (O-Ton Ott) ein Vertreter jener Spezies, die Softwareberatern mitunter Kopfzerbrechen macht: Mit ihrer „Angst vor Machtverlust und aus zuweilen tiefer persönlicher Kränkung heraus“ würden alteingesessene IT-Chefs eine rasche Projektrealisierung häufig behindern, beklagt ein Vertreter der Softwareindustrie.

Ein Mitarbeiter eines großen Softwareunternehmens bezeichnet IT-Leiter und deren engste Vertraute hinter vorgehaltener Hand gar als „die größten Blockierer“ des digitalen Wandels. Kein Wunder, dass der Ton mitunter rau ausfällt: Die Softwarebranche steckt selber mitten in der Transformation. „Der Leistungsdruck, unter dem Key-Accounts großer Softwarefirmen stehen, ist an ihrer wachsenden Verzweiflung kurz vor Quartalsende zu beobachten“, schildert ein CIO eines Anlagenbauers.

Doch führen die neuen Plattformjünger, die über die digitale Transformation zuweilen sophistizierter parlieren als über Maschinen-Codes und Prozess-IT historisch gewachsene IT-Abteilungen wirklich in die Zukunft?

Lesen Sie dazu auch den Kommentar des Autors: Win-Win-Situation: Warum die Industrie bei der Digitalisierung trotzdem auf die Leistungen großer Softwarehersteller setzten sollte.

Mit Offensivkraft ans Ziel

Mit dem gesunden Selbstvertrauen großer Konzerne rollen Softwareriesen auf die Fertigungsindustrie zu. Das sorgt reflexhaft für Abwehr.

"Wir treten mit dem vollen Programm an.“ Das sagt SAP-Mann Christoph Kränkl, ein agiler Mitvierziger, der nachvollziehen kann, was etablierte Produktionsunternehmen im digitalen Umbruch gerade durchmachen: Er hat den Disruptor in der eigenen Famlie, sein Bruder Alexander (O-Ton: „Wir sind zwei völlig unterschiedliche Typen“) ist Gründer mehrerer Start-ups. Deep-Thinking-Algorithmen, Deutsch interpretierten Valley-Spirit – all das wirft der Walldorfer Softwarekonzern heute in die Waagschale, „und natürlich unser Herzstück, die Softwareplattform HANA, an die all diese Konzepte andocken können“, so Kränkl.

Dass der SAP-Österreich-Vertriebschef die Weihen der IT beim Kunden durchaus auf den Punkt zu bringen versteht, hilft. An Glanz mangelt es dem 1972 von Hasso Plattner gegründeten Softwarehersteller ebenfalls nicht. Doch der 84.000-Mitarbeiter-Apparat von SAP ist in den heimischen Produktionsbetrieben nicht automatisch ein Türöffner: „Don't touch my production“ – das bekommen SAP-Berater öfter zu hören. Kränkl verwundert das nicht: Die Herrschaften würden eine „unfassbare Verantwortung“ für das Werk und dessen Prozess- und IT-Landschaft tragen – „24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr“, so Kränkl.

Zugleich läuft die ganze Software-Industrie gegen sie an. Robert Rosellen, Leiter des Geschäftsbereichs Enterprise & Partner bei Microsoft, versteht das in disruptiven Zeiten als Verantwortung seinen Kunden gegenüber. „Und für frischen Wind sorgen will, muss natürlich provozieren“, sagt er.

Und auch SAP-Mann Kränkl will nicht locker lassen. Wie andere Plattformanbieter will der deutsche Softwareriese zur bestimmenden Digitalisierungskraft in der Industrie aufsteigen.

Reaktivierte Kontakte

Um beim Kunden vorwärts zu kommen, reaktivieren Softwarehersteller in den Unternehmen oftmals alte Kontakte.

"Headhunter arbeiten bei den großen Playern gerade auf Hochtouren“, heißt es in der Branche. In der Industrie sollen sie Personal abgreifen. Das ist jetzt, wo es mit den klassisch-tradierten Karriereverläufen ohnehin vorbei ist, verständlich: Arbeiten in den Management-Boards großer Fertigungsunternehmen jetzt Biologen oder Mathematiker, spült es die Karrieremacher aus der Produktionswelt nun eben in Softwarefirmen. Das soll die Bindung zur Industrie erhöhen. Zumindest gewöhnungsbedürftig aber: Was einige IT-Chefs beobachtet haben wollen.

Weil beim IT- oder Produktionsleiter häufig Endstation ist, werden mitunter alte Bande bemüht. Über Kontakte, etwa aus gemeinsamen ERP-Projekten längst vergangener Tage, würden sich Softwareberater in die Fachabteilungen vorhangeln. Zwei CIOs, die als Ansprechpartner in der Hackordnung eigentlich weiter oben stünden, sehen sich in ihrer Ehre aber nicht verletzt: "Letztlich geht es ja nur darum, erfolgreich die Digitalisierung voranzutreiben", sagt einer.

Allerdings tut man sich mit dem Bauchladen so manchen Softwarepartners schwer. „Uns eine Werbebroschüre für ein Accounting-System zuzusenden und zugleich noch immer auf eine adäquate Logistiklösung warten zu lassen, ist eigentlich der Hammer“, mokiert sich ein CIO eines oberösterreichischen Maschinenbaubetriebs.

Auch über die Halbwertszeit so mancher Software wundert er sich. Erst hypt man Windows Phone, „dann lässt man das Betriebssystem sterben“. Auch er hat daraus gelernt: Ankündigungen in der Softwarewelt kommen in Sachen Eintrittswahrscheinlichkeit nicht immer einem Orakelspruch gleich. Doch die jüngsten Entwicklungen lassen hoffen.

Erst Mitbewerb, jetzt Partner

Die Zeiten der Markenmonogamie brechen auf: Mit neuen Allianzen versuchen Softwarehersteller auch die Hemmschwellen in der Industrie abzubauen.

Einer, der jetzt den Gemeinschaftsgeist gestärkt sieht, ist SAP-Mann Christoph Kränkl. „Eigentlich sind wir schon alle Partner“, sagt er. Mitbewerber natürlich auch, doch wie auch Vertreter von Microsoft oder Oracle einhellig protokollieren: Nur im Schulterschluss lässt sich die digitale Wende schaffen. Große Worte.

Denen durchaus schon Taten folgen. Im Vorjahr rückten SAP und IBM einander näher. Die Kräfte rund um mehrere Plattformtools wie Hana oder Cognitive Computing wurden gebündelt. Auch klassische Vertreter der Prozessindustrie sind auf den Plan gerufen. Zum Jahreswechsel kündigte der Elektronikriese Siemens an, sein offenes Internet-of-Things-Ökosystem noch heuer auf Microsofts Cloud-Plattform verfügbar zu machen.

„Unsere Plattform ist offen, der Kunde verbaut sich damit also nichts“, sagt Microsoft-Mann Rosellen. Ein Versprechen, das betriebliche Barrieren abbauen helfen dürfte. Unbesonnen in Projekte stürzen wird sich Banner-Mann Christian Ott aber gewiss auch in Zukunft nicht.

Dieser Artikel wurde bereits im März 2017 veröffentlicht. Nun haben wir ihn für alle Leser freigegeben.