Interview : "Seit dem Vorjahr geht es wieder aufwärts"

Sie leiten seit gut zehn Jahren das Ukraine-Geschäft des Bauprojekt-Gesamtdienstleister-Profis Delta. Die Ukraine - war das von Anfang an ihre Wunschdestination?

Wolfgang Gomernik Nicht direkt, aber irgendwie doch. Ich hatte nach meinem Studium im Jahr 2004 jedenfalls die fixe Idee, dass ich irgendwohin gehen möchte, wo ich ganz auf mich alleine gestellt bin. Sozusagen als Kontrastprogramm zum elterlichen Betrieb. Und dann hatte ich auch noch die naive Vorstellung, dass man in Osteuropa nur auf mich wartet, damit ich den Menschen dort erkläre, wie man energieeffizient baut. Das war nämlich mein Studienschwerpunkt.

Und hat man auf Sie gewartet?

Gomernik Naja. Ich habe viele Bewerbungen an osteuropäische Energieagenturen verschickt, drei Antworten habe ich immerhin bekommen, eine davon eben aus der Ukraine. Die damals einzige private Energieagentur hat mir einen Assistenzjob angeboten und mich zugleich gefragt, wie ich denn überhaupt in die Ukraine reisen will, ob ich ein Visum habe und überhaupt, wieso ich derart verrückt bin, ausgerechnet in ihr Land kommen zu wollen, aber sie hätten Interesse. Das fand ich als Antwort einer möglichen Arbeitsstelle so schräg, das ich mich letztlich entschieden habe in die Ukraine zu reisen, und mir das ganze aus der ersten Reihe anzuschauen. Ich habe allerdings weder Russisch noch Ukrainisch gesprochen und obendrein die sehr spezifischen Gepflogenheiten vor Ort absolut nicht durchblickt. Ich hatte allerdings das Glück, dass in der Ukraine auch damals schon sehr viel gebaut wurde und während dieser Aufbruchsstimmung fand ich mich dann bald als einziger Westeuropäer in einem ukrainischen Unternehmen aus der Baubranche wider, wo ich – noch immer ohne wirklich die Landessprache zu können – Assistent des Projektmanagers wurde. Der hat übrigens kein Wort Englisch gesprochen. Trotzdem hat das irgendwie ganz gut funktioniert. Und als sich Delta ein Unternehmen in der Ukraine aufbauen wollte, kam man auf mich zu. Als 26-jähriger bekommt man solche Chancen normalerweise nicht – und so habe ich als eine One-Man-Show begonnen.

Und heute?

Gomernik Heute sind wir rund 35 Leute in der Ukraine. Bis zu der ersten Krise von 2008/2009 ging es stetig bergauf. Danach haben wir uns recht schnell wieder erholt und sind weiter gewachsen, bis der russisch-ukrainische Konflikt eskalierte, und wir mit dem Land in etwas schlitterten, das ich kein zweites Mal benötige. Seit gut einem Jahr geht es aber wieder stark aufwärts.

Wobei der Konflikt ja nicht vorbei ist. Er ist bestenfalls eingefroren.

Gomernik Der Ausdruck „eingefroren“ trifft die Lage sehr gut. Das wird auch noch eine Weile so bleiben. Die Menschen in der Ukraine wollen aber trotzdem ein möglichst normales Leben führen. Da gibt es schon die Einstellung, dass man sagt: Jammern hilft nichts und versucht, aus der gegebenen Situation das Beste zu machen. Auch unsere Kunden – das sind zu 90 Prozent westliche Unternehmen – nutzen die Situation jetzt, nach dem Höhepunkt der russisch-ukrainischen Krise, um ihre Position im Land zu stärken. Das momentane Lohn- und Baukostenniveau begünstigt das. Schon die Zeit nach der ersten Krise im Jahr 2008/2009 haben viele Unternehmen dazu genützt, um ihre Ukraine-Headquarters relativ günstig zu bauen. Wir haben damals unter anderem den Bau des Headquarters von Blum betreut. Jetzt ist ein großes Projekt das wir machen, das Headquarter und der Flagshipstore von BMW. Auch Jaguar Land Rover baut derzeit mit uns gemeinsam den Flagship-Store für die Ukraine. Für den deutschen Kabelproduzenten Leoni sind wir für die Errichtung seines bereits zweiten Produktionsstandorts in der Ukraine verantwortlich.

Die Bautätigkeit in der Ukraine beschränkt sich derzeit also vor allem auf Kiew?

Gomernik Nein, überhaupt nicht. Wir betreuen derzeit Projekte von Uschhorod am westlichsten Zipfel der Ukraine bis knapp an die Demarkationslinie mit Russland im Osten. Da liegen rund 1.500 Kilometer dazwischen. Uschhorod ist übrigens mit dem Auto von Wien aus schneller erreichbar als Dornbirn. Grundsätzlich gibt es im Moment schon die Tendenz, eher in der Westukraine oder Zentralukraine Projekte zu starten. Es gibt zum Beispiel etliche Unternehmen, die sich ursprünglich in Dnipropetrowsk ansiedeln wollten, das ja auch noch recht weit von der Demarkationslinie entfernt ist, und dann doch auf die Westukraine umgeschwenkt sind. Zum Teil, weil sie weiter weg vom Konflikt sein wollten, zum Teil aber auch, weil in der Westukraine der Pool an gut ausgebildeten Arbeitskräften einfach größer ist.

Die öffentliche Hand als Auftraggeber ist für Sie in der Ukraine aber nach wie vor die Ausnahme, oder?

Gomernik Ja. Aber auch hier tut sich inzwischen einiges. Für den Bau des größten Kinderkrankenhauses in der Ukraine haben wir zum Beispiel die begleitende Kontrolle gemacht. Das Spannende dabei ist, wie wir zu diesem Auftrag gekommen sind: Wir sind von Transparency International empfohlen worden. Solche Kooperationen sind aber selten, wir machen dabei erst die ersten, lehrreichen Erfahrungen im Umgang mit der öffentlichen Hand als Auftraggeber. Im Rahmen unserer anderen Projekte haben wir allerdings mehr als genug mit öffentlichen Stellen zu tun, denn die Bürokratie in der Ukraine ist immer noch sehr ausufernd, sehr oft mit komplett wirren Prozessen.

Nach Branchen betrachtet: Wo sehen Sie besonders viel Bewegung?

Gomernik Wir wickeln sehr viele Projekte für die produzierende Industrie ab. Viele Möglichkeiten bietet die Ukraine im Land-, Agrar- und Forstwirtschafts-Bereich. Der IT-Sektor ist sehr stark. Es gibt Bürogebäude, in denen fast ausschließlich outgesourcte Dienste westlicher Unternehmen untergebracht sind. Dann gibt es eine starke Automotive-Zulieferindustrie. Die Nahrungsmittelindustrie hat viele Unternehmen, die nun durchstarten wollen und sich westliche Qualitäts- und Produktionsmanager holen, weil man in die EU exportieren möchte. Für westliche Investoren gilt allerdings, dass im Moment vor allem diejenigen, die schon im Land sind, sich bemühen ihre Position zu stärken. Neue Zugänge gibt es wenig. Da herrscht noch berechtigte Zurückhaltung.

Wolfgang Gomernik (38) stammt aus Völkermarkt in Kärnten. Nach seinem Studium an der FH Pinkafeld und einer Zwischenstation in Berlin und Wien ist er in die Ukraine ausgewandert, wo er zunächst einen Assistenzjob bei der ukrainischen Energieagentur absolvierte und dann bei einem ukrainischen Unternehmen als Assistent des Projektmanagers begann. Ab 2006 baute Gomernik das Ukraine-Büro des österreichischen Bau-Gesamtdienstleisters Delta auf. Heute ist Gomernik Geschäftsführer und Partner der Delta in der Ukraine und Geschäftsführer von Delta in Wien. Gomernik ist mit einer Ukrainerin verheiratet und hat zwei Kinder.

Das Interview ist ursprünglich im Aussenwirtschaft Magazin der AWO erschienen.