IM-Expertenpool: Produktion : Schau auf die Linie: Stillstandszeiten zu senken entfaltet große Wirkung

Es sind die sogenannten Mikro-Stopps – kurze Produktionsunterbrechungen –, die zur Hälfte zu den entstehenden Performanceverlusten in der Produktion beitragen. Für Mikro-Stopps gibt es eine Vielzahl an Gründen. Von zu hohen Varianzen in der Produktqualität bei Rohstoffen und Halbfertigprodukten, über Maschinen- und Produktdesign, bis hin zu nicht eingehaltenen oder erst gar nicht definierten Centerlines. In unserer Arbeit sehen wir sehr häufig, dass die Gründe für Stopps nicht systematisch erfasst und ausgewertet werden. Damit ist die zielgerichtete Adressierung der Störursachen nicht möglich.

Während einer Schicht, so zeigt der Blick in den betrieblichen Alltag, können 50 bis 150 solcher Unterbrechungen auftreten. Über alle Linien hinweg ergeben sich damit in einem Werk bis zu einer Million Mini-Stillstände pro Jahr. Mit Folgewirkung – denn jede Störung will behoben, beseitigt und nachbearbeitet werden, frisst Ressourcen und zieht nicht wertschöpfende Aktivitäten nach sich.

Stabile, vorhersehbare Prozesse hingegen führen zu wesentlich produktiveren Betriebsabläufen. Aber nicht nur: Gesamtanlageneffektivität, Produktqualität und Service profitieren, ein weniger hektisches Arbeitsumfeld senkt nicht zuletzt auch das Risiko sicherheitsrelevanter Zwischenfälle. In Summe lassen sich mit stabileren Prozessen Einsparungen bis zu 15 Prozent erzielen. Signifikant gesteigerter Output kann auch dazu beitragen, die Investitionsausgaben zu senken – da vor allem in wachsenden Kategorien in der Folge partiell auf die Neuerrichtung von Werken verzichtet werden kann. Konkret: 15 Prozent mehr Output bedeuten, dass jedes siebente Werk nicht gebaut werden muss.

Die gute Nachricht ist: Ausufernde Stillstandszeiten sind kein unabwendbares betriebliches Schicksal, Stabilität ist beeinflussbar. Wichtigster Faktor einer produktiven Neuausrichtung sollte dabei die Linie sein: Hier findet die Wertschöpfung statt, hier braucht es ein starkes, autonomes Team mit einer entsprechenden Teamkultur. Teams sollten dabei die Fähigkeit haben, in ihren Schichten autonom handeln zu können – das erfordert Interdisziplinarität und damit meist den Mut zur Auflösung klassischer „Silos“ und Strukturen. Darüber hinaus braucht es digitale Unterstützung: digitale Systeme, die Mikro-Stopps auf einen Klick transparent machen und dazu Daten in Echtzeit liefern. Solche Systeme sind schnell zu installieren und nicht teuer.

Mehr Konsequenz und Entschlossenheit bei der Umsetzung

Der Rest des Kampfes gegen unproduktiven und teuren Stillstand wird jeden Tag aufs Neue im Kleinen entschieden und erfordert von den Beteiligten primär Disziplin: Es braucht klare tägliche Routinen, die sicherstellen, dass sich die Linie jederzeit in einem soliden Grundzustand befindet, wie Instandhaltungsplanung, Defektmanagement und schnelles Rüsten. Eine effiziente tägliche Meeting-Struktur mit verbindlichen Nachverfolgungsroutinen, von der Schichtübergabe bis zum Standortleiter, trägt ihr Übriges zum Erfolg bei. Lösungen, die in zusätzlichen wöchentlichen Verbesserungsmeetings zur Stillstandsbekämpfung erarbeitet werden, müssen konsequent umgesetzt und nachhaltig im Produktionsalltag verankert werden. Hier mangelt es derzeit oft an der notwendigen Konsequenz und Entschlossenheit, es liegt aber auch an falscher Prioritätensetzung, fehlenden Ressourcen oder fehlendem methodischen Wissen.

Wer an allen Hebeln ansetzt und diese Disziplin walten lässt, wird auf Resultate nicht lang warten müssen. Unsere Erfahrung zeigt, dass Erfolge in weniger als einem halben Jahr sichtbar sind. Weniger Stillstand ist übrigens auch der entscheidende erste Schritt hin zur Verwirklichung der Vision der „unbemannten Produktion“, weg von festen Linien, hin zu agilen Teams, die immer dort sind, wo sie gerade gebraucht werden. Es macht also Sinn, auf die Linie zu schauen. Nicht nur als Neujahrsvorsatz.

Dr. Hannes Pichler ist Partner und Managing Director bei Boston Consulting Group (BCG) in Wien.