IM-Expertenpool: Corona und die Folgen : Projektmanagement im virtuellen Raum

Am Anfang war da ein wenig Glück. Das Kick-off Meeting zu einem auf drei Jahre angelegten SAP-Einführungsprojekt bei einem international tätigen Sonder-Maschinenbauer fand noch vor dem Erlass der rigiden Corona-Schutzmaßnahmen Anfang März 2020 statt. Solche Meetings dienen dem persönlichen Kennenlernen von Beratern und Kunden und der strategischen Ausrichtung, Vorbereitung und Einteilung der Schulungen, Workshops und Teams, bevor es an die Arbeit geht.

Dann der Blitzschlag aus heiterem Himmel, keine weiteren persönlichen Kontakte mehr, kein Personaleinsatz mehr vor Ort, alle Meetings auf Remote Modus – hektische Beratungen zwischen Kunden und Dienstleister, ob das komplexe Transformationsprojekt unter diesen Voraussetzungen überhaupt beginnen kann. Gottlob, der Kunde entscheidet sich dafür und trifft die notwendigen Vorbereitungen auf allen Ebenen, um den reibungslosen Start zu gewährleisten.

Überraschend positive Erfahrungen

Die Bilanz acht Wochen später fällt überraschend positiv aus. Sowohl vom Timing als auch vom Projektfortschritt konnten alle Milestones der ersten Phase eingehalten werden – und das bei insgesamt zehn Teams mit fast 120 involvierten Personen, davon allein knapp 20 Beratern. Bei vielen Projektbeteiligten hat sich sogar der Eindruck verstärkt, dass nicht nur Reisekosten und Abstimmungsaufwand verringert werden konnten, sondern auch unnötige Leerläufe, Wartezeiten und ähnliches.

Doch muss man auch die Kehrseite der Medaille sehen. Viele Beteiligten sehnen sich nach den vielen Wochen der Zwangsisolation danach, sich wieder einmal zu treffen und persönlich auszutauschen. Sie finden die neu gewonnenen Freiheiten im Home-Office grundsätzlich positiv, vermissen jedoch die informellen und ungeplanten Gespräche und den persönlichen Kontakt, der bei Projekten dieser Dimension oft zu neuen Ideen, aber zumindest zur Qualitätssteigerung beiträgt.

Folgen für das Projektmanagement

Was wir inzwischen sehen ist, dass die neue Form des Remote-Managements gravierende Auswirkungen auf die Arbeit von Projektmanagern hat. Online-Meetings müssen wesentlich besser vorbereitet und die Vorhaben effizienter geplant werden, da es keine zufälligen Begegnungen mehr gibt. Die Kommunikation ist auch rascher am Punkt. Maßnahmen müssen daher klarer und präziser formuliert werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Der nonverbale Austausch fehlt fast vollständig.

Virtuelle Kaffeepausen sind ein Ausweg, können den direkten Austausch aber nicht ersetzen. Das gilt insbesondere dann, wenn es innerhalb des Projekts zu Problemen oder sogar Konflikten kommt, deren Lösung schon unter regulären Verhältnissen schwierig ist. Im virtuellen Raum können sich solche Dinge potenzieren, da die Ausgleichsmöglichkeiten fehlen, das vermittelnde Gespräch nicht zustande kommt oder die physische Mitnahme in die nächste Aufgabe unmöglich scheint.

Umgekehrt geht es deutlich besser und schneller voran, wenn ein Projekt gut im Fluss ist, ein gutes Set-up hat und alle gut miteinander können. Wenn da auch die technischen Kommunikations- und Kollaborationstools gut funktionieren, ist sehr viel an Effizienz zu gewinnen, und man kann in derselben Zeit um einiges mehr leisten. Dann wird sich in Zukunft rasch die Frage stellen: Müssen wir uns wirklich treffen, oder geht es auch anders – nämlich online?

Umkehrung der Verhältnisse

Das ist die zweite Erkenntnis nach der Corona-Erfahrung: Es ist schon heute abzusehen, dass der Anteil der virtuellen Projektarbeit in der SAP-Beratung massiv zulegen wird. Waren es in Vor-Coronazeiten im Schnitt maximal 20 bis 30 Prozent, die Projektmanager remote gearbeitet haben, so werden diese in den nächsten Monaten, auch nach dem Ende der Schutzmaßnahmen, wohl 70 bis 80 Prozent vom Büro oder Home-Office mit dem Kunden kommunizieren. Langfristig wird sich das Verhältnis bei etwa 50:50 einpendeln, glauben Experten.

Die Vorteile sind unübersehbar: Bei unserem Maschinenbauer waren wir schneller bei den ersten Trainings durch und beim Workshop-Modus innerhalb der einzelnen Teams. Aufgrund des Wegfalls physischer Anwesenheiten fielen Raummieten, Transfers, Reise- und Übernachtungskosten weg. Und es standen so mehr Stunden für die tatsächliche Projektarbeit mit dem Kunden zur Verfügung, weil Terminabsprachen und Reisezeiten entfielen.

Die Ersparnis – bei Reiseaufwand, Warte- und Stehzeiten – wird der Kunde für sich reklamieren. Dass es hier Potenziale gibt, ist unbestritten. Ob Home-Office und Remote-Arbeit unterm Strich allerdings tatsächlich zu einer Effizienzsteigerung beitragen, bleibt fraglich, zu beurteilen ist das frühestens in einem Jahr. Denn es entstehen ja auch Nachteile dadurch, dass Projektergebnisse außerhalb des Projektrahmens kaum noch möglich sein werden.

Fazit: Mit der Remote-Projektarbeit steigt die zeitliche und räumliche Verfügbarkeit von Dienstleistungen. Projektmanager werden mehr Zeit mit dem Kunden verbringen – aber eben im virtuellen Raum. Für den Kunden bedeutet das mehr Transparenz und Fokus auf die Zielerreichung, weniger Ablenkung und mehr Konzentration auf das Wesentliche. Ob dies zu einer rascheren Umsetzung von Projekten führen wird, muss sich erst beweisen. Personalaufwand und -bedarf bleiben gleich.

Wilhelm Heckmann ist Senior Managing Consultant und Standortleiter Linz des SAP-Beratungshauses CNT Management Consulting AG mit Hauptsitz in Wien und weiteren Niederlassungen in Österreich, Italien, Deutschland und Belgien.