Rechtstipp : Produktbeobachtungspflicht: Haftungsausdehnung für Hersteller

Der Oberste Gerichtshof (OGH) sprach in der Entscheidung 6 Ob 215/11b kürzlich aus, dass einen Hersteller eine erweiterte, verschärftere Produktbeobachtungspflicht trifft, die bei ihrer Verletzung Konsequenzen im Bereich der Haftung nach ABGB, aber auch nach PHG mit sich ziehen kann. Grundsätzlich gab es die Produktbeobachtungspflicht schon immer. Sie kann in verschiedenen Rechtsbereichen wie dem Arzneimittelgesetz (AMG) und dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG) gefunden werden. Wenn es nun zu einem Personen-/ Sachschaden gekommen ist, konnte sich bisher der Geschädigte nur auf die Verletzung der Verkehrspflichten im allgemeinen Schadensersatzrecht berufen. Nach dem PHG haften Produzenten nur bis zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts. Hat aber nun der Produzent Kenntnis von der Gefährlichkeit seines Produkts und es unterlassen, Warnhinweise an demselben Produkt anzubringen, so haftet er durch die Klarstellung dieses Urteils nun auch nach dem § 5 PHG wegen eines Instruktionsfehlers; vorausgesetzt der Schaden übersteigt die 500-Euro-Grenze. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Eltern des Klägers kauften mit Kohlensäure versetztes Tafelwasser in aus Glas gefertigten 1-Liter Mehrwegflaschen. Dieses Tafelwasser wurde in einem Schrankauszug in der Küche gelagert. Als der vierjährige Kläger sich die Flasche aus dem Schrank holte, um die Mutter zu bitten, ihm beim Aufmachen zu helfen, wies diese ihn daraufhin an, die Flasche abzustellen. Dabei stieß er kräftig an einem Schrank an und die Flasche explodierte, sodass das Kind am Auge verletzt wurde. Der Kläger stützte sein Begehren auf das Fehlen von Warnhinweisen, die an einer Flasche angebracht sein sollten, um vor solchen Gefahrquellen geschützt zu sein. Dieses Erfordernis verneinten die Vorinstanzen. Der OGH entschied jedoch anders und stützte sich dabei auf die in der Lehre bestehenden Verkehrssicherungspflichten und die Instruktionspflicht eines Herstellers bei Kenntnis des Mangels nach PHG. Die Verkehrssicherungspflicht ist eine Sorgfaltspflicht, die in diesem Fall den Hersteller trifft und darin besteht, eine Schädigung durch zumutbare Schutzmaßnahmen zu vermeiden. Diese Pflicht besteht immer dann, wenn jemand eine Gefahrenquelle – hier mit Kohlensäure angereichertes Wasser – schafft oder bestehen lässt. Darunter fällt auch die Pflicht, den Verwender zu warnen, auch dann, wenn die Gefährlichkeit des Produkts erst später erkannt wird. Diese nachträgliche Warnung kann in der Form des Rückrufs ausgesprochen werden. Im vorliegenden Fall war es den Beklagten bekannt, dass unter Druck stehende Wasserflaschen explodieren können, wenn sie wo anschlagen. Der Kläger konnte jedoch nicht davon ausgehen, dass die Flasche sogleich bei leichtem Anschlag explodiert. Die Sicherheitserwartungen des Klägers waren zu Recht höher angesetzt. Das war auch der Grund, warum der OGH eine Verletzung der Produktbeobachtungspflicht nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts annahm. Die Beklagten konnten die Gefahr, die von einer solchen Flasche ausging, aus zahlreichen Gerichtsverfahren in Österreich und Deutschland erkennen und hätten sie mit Schutzmaßnahmen abwenden können. Sie haben es jedoch unterlassen, die Flaschen mit Warnhinweisen auszustatten oder allfällige Vorkehrungen zur Umstellung der Konstruktion zu treffen. Somit hafteten die Beklagten auch nach dem § 5 PHG. Bei seiner Entscheidungsfindung verweist der OGH auf die deutsche Rechtsprechung und die dort bestehende aktive (Beobachtung des Fortschritts, Produktentwicklung) und passive (Überprüfung von Kundenreklamationen) Beobachtungspflicht. Im Ergebnis erkennt der OGH an, dass eine Pflicht zur Produktbeobachtung zwischen Hersteller und Endabnehmer wohl bestehen muss. Der OGH bejaht somit die vor-/nachträgliche Produktbeobachtungspflicht beziehungsweise das Bestehen der Warnpflichten sowohl vor als auch nach der Auslieferung. Mag. Magdalena Heigl ist Rechtsanwaltsanwärterin bei Fiebinger Polak Leon Rechtsanwälte.