Automatisierung : Nemak Linz: Aus der Raum!

André Gröschel Nemak nemak
© Helene Waldner

Immerhin haben es die Linzer nicht weit zur Post. Denn die ist in unmittelbarer Werksnähe – wie auch mehrere Wohnhäuser. „Nur 13 Meter sind es bis zum ersten Balkon“, sagt André Gröschel, Geschäftsführer der Nemak Linz. Die Gießerei produziert in unmittelbarer Nähe zum Wohngebiet – 1,3 Millionen Aluminium-Zylinderköpfe für BMW, Porsche, Ford oder Isuzu entstehen hier pro Jahr. Auf nur 10.500 Quadratmetern Produktionsfläche – eigentlich unglaublich. Aber die Oberösterreicher haben gelernt, mit der Enge zu leben. Eine weitere Halle „auf die grüne Wiese zu stellen“, war „nie eine Option“, so Gröschel. Auch weil die Politik in der Vergangenheit "versagt“ habe. So wächst der Betrieb nach innen – mit schwindelerregendem Tempo. Bei neuen Anlagenprojekten kitzeln die Linzer die letzten Platzreserven aus dem Werk. Und Lieferanten von Automatisierungstechnik müssen sich warm anziehen. Roboterzellen mit Standardmaßen? Können die Linzer nicht brauchen. Lieferanten müssten – nicht immer verrenkungsfrei – „mindestens ein Drittel kleiner bauen“. Raumnot Mitte September konnte sich INDUSTRIEMAGAZIN von der extrem verdichteten Produktion der Linzer ein Bild machen. „Der Grad der Automation hier ist einmalig“, ließ Wolfgang Rathner, Geschäftsführer beim Sondermaschinenbauer Fill in Gurten, schon im Vorfeld wissen. Er übertreibt nicht. Besucher tauchen in Linz in eine schillernde Welt ein. Manuelle Prozesse greifen nahtlos in hochautomatisierte. Mit Kernschießmaschinen stellt der Betrieb die Sandkerne her. Gießmaschinen produzieren mit Stahlwerkzeugen die Aluminiumgussteile. Hammerstationen und Schwinganlagen entsanden die Teile. Und CNC-Fertigungszellen laufen rund um die Uhr. Wo Roboter, Fertigungsautomaten und Fördersysteme noch Platz lassen, bahnen sich Stapler ihren Weg. Eine Meisterleistung der Linzer. Denn auf engstem Raum zu automatisieren gilt als Königsdisziplin. Kompakt zu bauen sei „die hohe Kunst“, unterschreibt Ronald Nadererer, Chef des Linzer Roboterherstellers FerRobotics. Wem solche Anlagendesigns aufgehen, dem sei „zu gratulieren“, schickt auch Hubert Pesendorfer, Chef des Roboterzellenherstellers Promot, Lob nach Linz. Hochkantlösung Zu Recht. Der Betrieb – seit 2007 gehört er zur Nemak Gruppe des mexikanischen Mischkonzerns Alfa – habe es „in seiner DNA“, auf Marktschwankungen (2008: minus 30 Prozent) „reagieren zu können“, sagt Geschäftsführer André Gröschel. Wie nach der Krise, als die Stückzahlen nach oben kletterten. Der Betrieb setzte noch schlankere, hochautomatisierte Prozesse durch.

Der Gießprozess der Linzer – ein bestens eingespielter Serienprozess – ist so eine Richtmarke. „Die Gussform fülle sich „turbulenzfrei und sehr kontrolliert“, heißt es im Betrieb. Ein super Fertigungspuffer, der die Bauteile in Stahltassen abkühlt, ist dagegen das an die Gießanlagen angebundene Kühlfördersystem. Es ist – das unterschreibt jeder Automatisierer sofort – einmalig. Um Platz zu sparen, sei es „senkrecht ausgeführt“, erzählt Geschäftsführer Gröschel. Und er liefert eine Anekdote mit. Die Realisierung der Hochkant-Variante war für den Automatisierungspartner kniffliger als angenommen. Erst im zweiten Anlauf war geschafft, was sich die Linzer erträumten: „Dass sich die nach oben steigende Hitze nicht mehr negativ auf die thermischen Eigenschaften der Bauteile und Sensorik auswirkt“, so Gröschel. Hohe Kunst Ein Geheimnis der Linzer: Fast sklavisch hält sich die Gießerei an Standardisierungsregeln. Eine ist ziemlich einleuchtend: Jene, genug Raum für Wartung oder Inspektionen einzuplanen. In der Praxis wird aber oft darauf vergessen. Oder man geht den bequemeren Weg. Niemand frage nach den Kosten für Produktionsfläche, „wenn die Anlage bei jeder kleinen Störung halb abgebaut werden muss“, weiß Christian Morawetz, Experte für Produktionsstrategien bei Fraunhofer Austria. Doch die Linzer müssen – der zahlreichen Nachbarschaft sei Dank – alles aus dem dargebotenen Platzangebot herausholen. Der Betrieb achte deshalb „auf die leichte Zugänglichkeit von Schlauchpaketen“, erklärt André Gröschel. Und Roboter, die „vorbeugend zu tauschen“ seien, müssen „schnell aus der Fertigungszelle entfernbar sein“, so der Nemak-Linz-Chef. Leichter gesagt als getan – hört man in Linz. Die Gießerei geht deshalb einen ganzen Schritt weiter. Um die Integration neuer Automaten voranzutreiben, „standardisieren wir sogar unsere Lastenhefte“, so André Gröschel. Enges Gassenwerk „Würden Sie unter normalen Umständen so eine Fabrik planen?“ Gröschels Frage ist natürlich nur rhetorisch gemeint. Im Laufschritt führt er durch die Gießereihallen. Büros, Qualitätssicherungsräume für die CNC-Bearbeitung, Bearbeitungsanlagen und Materialzwischenlager stehen dicht an dicht. An einer Station stoppt er abrupt. Der Gang, in dem Mitarbeiter an Kernschießmaschinen im Hot-Box-Verfahren werken, ist unfassbar schmal.

Der Betrieb hebe hier deshalb Gestelle „per Kran nach oben heraus“, erörtert Gröschel. Und gewinnt so wieder ein paar Quadratmeter. Wie auch ein paar Schritte weiter an den Trockenbearbeitungsmaschinen. Drei an der Zahl sind es derzeit. Sie sind mit „geringsten Abständen“ zueinander aufgestellt. „Und sehen Sie: Auch die Anlage zur Durchgangsprüfung ist hochkant montiert“, lenkt Gröschel die Blicke in die Höhe. Noch einmaliger der Wirkkreis der Roboterzellen. Sie beschicken hier gleich vier Stationen – bis hin zur „Wasch- und Zentrierstation“. Engineering-Wut „Modularität ist der größte Trend in der Industrieautomation“, beobachtet Fraunhofer-Austria-Experte Christian Morawetz. Viele Produktionsbetriebe fragen sich aber: Wozu taugt sie überhaupt? Nicht überall lassen sich damit derart schöne Erfolge erzielen wie in Linz. Heuer investierte die Gießerei in einen neuen Gasschmelzofen inklusive Automatikaufzug. Das Augenmerk der Linzer lag darauf, ihn „ohne Dachöffnung in die Halle zu bekommen“, erzählt Nemak-Linz-Chef André Gröschel. Das gelang nur dank „modularer Bauart“, sagt er. Der Ofen wurde in größeren Baugruppen angeliefert und fast lehrbuchartig vor Ort zusammengesetzt. Mitanteil hatten die Prozessexperten und Planer. Die spielen in Linz in einer eigenen Liga. Siehe automatisierte Kernklebemaschine – eine mit einem lokalen Zulieferer ausgetüftelte Spezialkonstruktion. Die Maschine, nicht größer als ein Flipperautomat, gibt sich mit einer Stellfläche von anderthalb mal zwei Metern äußerst genügsam. Und sie ist transportabel wie kaum eine Anlagentechnik. „Wo wir sie brauchen, stellen wir sie auf“, betont Gröschel. Der neue Gasschmelzofen ersetzte übrigens zwei alte elektrische Öfen. Tiefe Löcher klaffen dort, wo sie früher standen. Andere würden sie „zubetonieren und irgendwelche Schränke draufstellen“, so Gröschel. Für die Oberösterreicher aber ist der gewonnene Platz ein Himmelsgeschenk. „Er liefert uns Fläche für weitere Anlagen.“ Schulungsmarathon Der Kompaktbau fordert aber seinen Tribut. Ein enormer Sicherheitsaufwand geht mit ihm einher. Enge Gassen, Anlagen, die jederzeit automatisch losfahren können – dafür haben sich die Linzer eine wasserdichte Strategie zurechtgelegt. Auf die Mitarbeiter warten Schulungen zuhauf. Und ein LoTo(Lockout/Tagout)-System wacht unter anderem über die Sicherheit im Werk. Bei der Durchführung von Wartungs- oder Reparaturarbeiten „blockiert es mechanisch die Anlage“, erklärt André Gröschel. Ein Sicherheitskordon also auch beim Entgratprozess. Hier übertrumpfte eine vollautomatisierte Lösung mit zwei Robotern unlängst eine schwächer automatisierte – das reduzierte den Platzbedarf um ein Drittel. „Darauf sind wir stolz“, sagt Gröschel. Darf er auch. Der Standort ist der meistbesuchte aller Nemak-Schwesterwerke. Und es liegt gewiss nicht nur am kurzen Weg zur Post.