Logistik der Zukunft : „Modulushca“: Warentransport 4.0

Ein globales System standardisierter Transportwege. Modulare, ebenso standardisierte Transportbehälter, die sich, wo es notwendig ist, in das System einfädeln oder es wieder verlassen. „Das ist nicht irgendeine wirre Idee“, sagt Franz Staberhofer, „die ersten Ansätze dazu gibt es ja bereits.“ Der Leiter des Logistikum Steyr spricht von der Übertragung von Funktionalitäten des Internets auf die physische Welt mit dem Ziel einer kompletten Neuaufstellung der weltweiten Warenlogistik. Und die sei dringend notwendig: „Sieht man sich an, was auf den Straßen, in den Lägern, im Verkehr heute passiert – das wirkt alles eher steinzeitlich.“

Datenpakete

Das „Physical Internet“ (PI oder auch π), die Gestaltung der Logistik nach dem Vorbild des Web, basiert auf dem Gedanken, reale Güter analog zu Datenpaketen zu versenden: in genormten, modular aufgebauten Transportbehältern, über gemeinsam genutzte Transportmittel und über offene Transportnetze. Eine grundlegende Abkehr also von der individualisierten Transportwelt, in der etwa die großen Händler eigene Warenlager und eigene Transportflotten unterhalten. Mit allen Kompatibilitätsproblemen, die das mit sich bringt. Stattdessen: ein globales Transportnetz, in dem genormte Einheiten je nach Bedarf ein- und wieder ausgefädelt werden.

Das Physical Internet, betont der kanadische Logistik-Vordenker Benoit Montreuil, beschäftigt sich nicht direkt mit den physikalischen Gütern, sondern mit standardisiert verkapselten Einheiten („π-Container“), die zu beliebigen Größen assembliert werden können. Die Skalierbarkeit des Systems würde unter anderem die Umleitung von Waren bei Ausfall eines Transportknotens extrem vereinfachen. Lieferanten, die an diesem Transportsystem teilnehmen wollten, hätten eine Art von Zertifizierung zu durchlaufen – ihre Leistung würde, analog zum heutigen Online-Handel, permanenter Beurteilung durch die Nutzer unterliegen. Detail am Rande: Dass sich das Internet bei seinem Weg von unzähligen einzelnen Computern zu einem „Information Highway“ ausgerechnet einer Metapher aus der physischen Logistik bediente, erlebt so eine interessante Spiegelung.

Europäisches Projekt

Die Arbeit an dieser Idee ist längst konkret: Das „Modulushca“-Projekt („Modular Logistics Units in Shared Co-Modal Networks“) der Europäischen Union läuft seit 2012 und verfolgt das Ziel, Physical Internet in der Konsumgüter-Logistik exemplarisch umzusetzen. Das Konsortium ist prominent besetzt: Beteiligt sind unter anderem die Technische Universität Berlin, die Ecole Polytechnique Fédérale in Lausanne, Procter & Gamble, die italienische Post – und auch die TU Graz. Deren Institut für technische Logistik entwickelte den Prototypen einer Transportbox, zusammengesetzt aus Einzelteilen aus dem 3D-Drucker. Die Boxen durchlaufen derzeit Praxistests im Warenumlauf.

Roadmap bis 2030

Franz Staberhofer betont die Granularität des Modulushca-Projekts. Rund 20 einzelne Beiträge sind definiert, die an die Mitglieder des Konsortiums vergeben wurden. Das Ergebnis ist nicht vordefiniert, Überraschungen möglich und erwünscht. Bis spätestens 2030 wollen die Projektbetreiber eine konkrete Roadmap auf den Tisch legen, wie das Physical Internet Realität werden kann. Vor der eigentlichen Umsetzung durch Zertifizierung von Protokollen, Containern und Transporttechnologien, das weiß auch Benoit Montreuil, würde es vor allem einer Phase der Überzeugungsarbeit bedürfen. „Es gibt natürlich kulturelle Widerstände, und der Paradigmenwechsel stellt ganze Branchen wie etwa die Speditionen auf den Kopf“, sagt Montreuil.

Franz Staberhofer formuliert es härter: „Viele haben Angst, dass eine solche Entwicklung das heutige Geschäft zerstören wird. Aber genau das wird passieren, und die Brutalität des Internets wird sich auch in der physischen Welt durchsetzen.“

„Was wir hier machen, ist nicht wie Menschen zum Mars zu bringen oder eine Stadt unter dem Meer zu gründen, ja wir erfinden nicht einmal ein neues Transportmittel“, erklärt Benoit Montreuil mit glänzenden Augen und ruhiger Stimme. So wie er hier steht, mit schwarzem Poloshirt und einem grobkarierten grauschwarzen Sakko, könnte er den in den Presseclub in der Linzer Innenstadt gekommenen Gästen wohl auch eine neue Software für Fuhrparkmanagement verkaufen.

Aber der 57-jährige Kanadier hat mehr im Gepäck – um in dieser Analogie zu bleiben: Er bringt ein neues Betriebssystem für die Logistik dieser Welt mit. „Das Problem ist, dass die Benutzung und der Transport von Gütern zunehmend ineffizienter anstatt nachhaltiger werden“, sagt der Professor aus Québec, der seit Jänner die Abteilung für „Material Handling und Distribution“ an der Georgia Tech University leitet. „Wir müssen Grundlegendes ändern.“

Modulare Container

Seine Idee des „Physical Internet“ verspricht nicht weniger als eine neue Weltordnung für die Materialwirtschaft. „Wir wollen die wichtigste Analogie des Internets zur physischen Welt in diese zurückholen: den Pakettransport von Daten“, erklärt Montreuil. „Anstelle von Bytes befördern wir reale Güter paketweise wie beim TCP-Protokoll.“ Die kleinste Größe des physikalischen Internets ist dabei ein Frachtblock, der ungeachtet seines Inhalts zwei Informationen mit sich trägt: den Absender und sein Ziel.

Die Transportinfrastruktur in Montreuils Warennetz ist ausschließlich auf diese Container ausgerichtet. Sie lassen sich in verschiedenen Größen modular stapeln, damit wird Frachtraum optimal genutzt. Ihre Beförderung wird nicht mehr vom Start zum Endpunkt organisiert, sondern sie fließen wie Daten in einem Logistiknetzwerk. An jedem Knotenpunkt wird ihre Zieladresse ausgelesen und das Päckchen in die richtige Richtung weitergeschubst. Hier gibt es auch kein System von zentralen Lägern mehr, sondern viele gleichwertige Hubs sorgen für den Durchsatz. Quelle-zu-Ziel-Transporte gibt es in Montreuils Vision nicht mehr, die Güter werden in eine Transport-Cloud eingespeist und verlassen sie dort wieder, wo sie gebraucht werden. „Das hört sich spektakulärer an, als es ist“, betont der Wissenschaftler.

Zumindest in der universitären Simulation hat das Modell seine Probe schon bestanden. Für die französische Supermarktkette Carrefour rechnete Montreuil aus, was die Umstellung der Güterströme auf dieses System bringen würde. Das Modell verspricht ganze 32 Prozent niedrigere Kosten und fast 60 Prozent CO2-Reduktion.