Stromnetze der Zukunft : Lange Leitung bis zum Smart Grid
Für Walter Tenschert werden die kommenden Monate sehr spannend: „Bisher gibt es nur Simulationsrechnungen darüber, wie sich ein Netz verhält, wenn viele Stromverbraucher auch Einspeiser sind. Die dezentrale Erzeugung wird für die nächsten 20 Jahre eine unserer größten Herausforderungen.“ Der Technik-Chef der Energie AG Oberösterreich Netz GmbH ist dafür verantwortlich, das Stromnetz der oberösterreichischen Gemeinde Eberstalzell bei schwankender Einspeisung so auszusteuern, dass es stabil bleibt und nicht überlastet wird. Sein nächstes Projekt: der erste großflächige Smart-Grid-Freilandversuch Österreichs. Ab dem Frühjahr 2012 testen Energie AG, Linz Strom, Salzburg Netz, Bewag Netz, Siemens (liefert intelligente Stromzähler und die IT dahinter), Fronius (liefert Wechselrichter für die Photovoltaikanlagen) und das Austrian Institute of Technology zwei Jahre lang den Echtbetrieb eines Niederspannungsstromnetzes mit vielen dezentralen Erzeugern.Dafür werden jede Menge Förderungen verteilt: 10.000 Euro – so viel Förderung ist dem Land Oberösterreich jede neue Photovoltaikanlage auf einem Hausdach in Eberstalzell wert, 8.000 müssen die Testhaushalte selbst drauflegen. Zwei umgebaute Trafostationen werden rund 140 Solarstrom-Haushalte zu einem eigenen Energieverbund zusammenschließen und messen, wie sich das schlaue Stromsystem zu verschiedenen Tageszeiten, bei unterschiedlichen Wetterlagen und Verbrauchssituationen verhält. Zusammen mit dem ebenfalls in Eberstalzell angesiedelten größten Solarkraftwerk Österreichs sollen die Dachanlagen 1,4 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr liefern, die Hälfte des örtlichen Jahresbedarfs. Damit die Versuchsanordnung überschaubar bleibt, wird im Pilotversuch nur Solarstrom eingespeist: „Wir wollen nicht zu viel mischen, damit potenzielle Schwachstellen nicht unentdeckt bleiben, wenn andere Einspeisequellen Probleme kompensieren“, sagt Tenschert. Strom in beide Richtungen.Die Netzsteuerung ist ein Knackpunkt des Smart Grids. Ihre Infrastruktur ist nicht mehr wie bisher auf Einbahn-Stromlieferung von wenigen Kraftwerken an viele Verbraucher ausgerichtet, sondern auf regional verteilte Erzeugung in vielen Einheiten, die mal Strom aus dem Netz zapfen, mal welchen einspeisen. Darauf sind die heutigen Regelsysteme nicht ausgerichtet. Das mussten sie auch nicht: Ein kalorisches Kraftwerk kann nach Bedarf an- oder heruntergefahren werden. Doch wann und wie viel Strom die vielen neuen Windkraft- und Solarstromanlagen liefern, lässt sich weder exakt prognostizieren noch steuern. Also müssen die Stromnetze nachgerüstet werden: Künftig sollen sie Verbrauchslasten so verteilen, dass die Nachheizung eines Boilers, der Betrieb einer Wärmepumpe oder die Ladung eines Elektroautos nur dann passieren, wenn reichlich billiger Strom verfügbar ist.Für große Übertragungstechnik-Hersteller kommt der Smart Grid jetzt in die Gänge, erläutert Oliver Gludowatz, Bereichsleiter Grid bei Alstom Austria: „Wir beschäftigen uns seit mehreren Jahren mit dem Thema und haben speziell bei Netzleittechnik Konzepte für den bestmöglichen Einsatz von Energieerzeugungsanlagen und die optimale Nutzung von Energieübertragungssystemen entwickelt, in mehreren Feldtests erprobt und verbessert. Unser Ansatz ist, das Übertragungsnetz samt Einspeiser überregional zu optimieren und automatisch an geänderte Gegebenheiten anzupassen.“ Konkrete Umsetzungen bei österreichischen Kunden erwartet er „in den kommenden Jahren“.Der Smart Grid soll auch verhindern, dass die Netzspannung zu stark ansteigt oder abfällt, wenn sehr viele Einspeiser gleichzeitig Strom liefern. „In der Praxis erkennen dezentrale Erzeugungsanlagen Überspannung und schalten ab oder drosseln die Erzeugung“, sagt Jens Kindermann von Siemens Energy Automation. Das Problem: Dabei geht die Energieleistung verloren, der Einspeiser verliert den Vorteil, für seinen ökologisch verträglichen Strom auch bezahlt zu bekommen. Dabei hilft der steigende Anteil von Strom aus erneuerbaren Energieträgern im Netz schon jetzt, Preisausschläge zu glätten. „Die Handelsmuster ändern sich“, beobachtet Jürgen Wahl, Vorstand der Strombörse Energy Exchange Austria (EXAA), an der rund 13 Prozent des heimischen Jahresverbrauchs gehandelt werden. „Der traditionelle Preisspread zwischen Spitzen- und Bandstrom wird immer geringer.“ Fortsetzung auf Seite 2: Smart Grid - auf jeden Fall teuer.
Zwei Möglichkeiten gibt es, mit dem Mehr an dezentraler Erzeugung umzugehen: Entweder man verstärkt das bestehende Leitungsnetz massiv und baut es so aus, dass es für die Ausschläge bei der Einspeisung gerüstet ist – das ist extrem teuer. Oder man versucht, das bestehende Netz als Smart Grid anders als bisher zu regeln, was deutlich billiger kommt, aber immer noch gewaltige Investitionen erfordert: Für die EU rechnet man mit 500 Milliarden Euro bis 2030. Auf Österreich würden bis 2020 allein auf Forschungs- und Demonstrationsprojekte 290 Millionen Euro entfallen. Siemens-Europa- Chefin Brigitte Ederer verlangt jedenfalls einen höheren Beitrag von der öffentlichen Hand: Deren Forschungsförderung solle von derzeit 6 bis 10 auf bis zu 15 Millionen Euro pro Jahr angehoben werden.Dass noch völlig unklar ist, wer die Kosten der Smart Grids schultern muss, erklärt das Zögern mancher Energieversorger und Netzbetreiber. Im Endeffekt werden sie bei den Verbrauchern landen: „Die Barriere beim Verkaufen der Smart Grids besteht darin, dass sie nur zur Eindämmung der Mehrkosten, nicht aber zur Kostenreduktion dienen“, sagt Wolfgang Prüggler von der Energy Economics Group der TU Wien. „Billiger wird es nicht“, gibt Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber zu. Die Investitionskosten würden in die Tarife gepackt – und diese sich ausdifferenzieren, wie es bei Telekommunikation der Fall ist. Nur dass der Wettbewerb im Energiesektor bisher schaumgebremst verläuft, was auch der Smart Grid nicht ändern würde. Teure Aufrüstung.Bei den Kosten laufen die Interessen der Netzbetreiber quer zu denen der Ausrüster. Walter Tenschert von der Energie AG Netz will den Aufrüstungsbedarf möglichst gering halten: „Man muss schauen, ob es ohne Investitionen in Netzverbesserungen funktioniert. Wir haben in der Energie AG mehr als 8600 Transformatorstationen – wenn man da in jeder eine neue Anlage installieren muss, ist man ökonomisch ganz schnell draußen.“ Bleiben doch auch ohne verstärkte Leitungen genug Kosten zu bewältigen: „Man muss möglichst viel automatisieren.“ Auch die Automatisierung bis hin zum einzelnen Verbraucher verspricht ein gutes Geschäft für die Ausrüster. Der Feldversuch in Eberstalzell dient unter anderem dazu, neue Geräte auszutesten. „Sie werden Dinge können, die heute noch nicht Standard sind“, meint Tenschert. Etwa Wechselrichter für Photovoltaikanlagen, die sich aktiv an der Spannungsregelung beteiligen, oder Transformatoren, die das Übersetzungsverhältnis variabel gestalten, so dass bei hoher Einspeisung und geringer Abnahme die Spannung nach unten geregelt werden kann, statt wie bisher üblich mit Einspeisebegrenzungen Netzüberlastung zu verhindern. Smart-Grid-Patchwork.Sicher ist: Es wird kein Schalter umgelegt, der das ganze Stromnetz auf einen Schlag zum Smart Grid macht. Der Einschleifprozess läuft zäher als vorgesehen. Ein Grund dafür sind die Kosten: 1,7 Milliarden Euro kostet allein die flächendeckende Installation von Smart Meters (bei Kosten von 200 bis 300 Euro pro Gerät) in Österreich, errechnete PricewaterhouseCoopers im Auftrag der Regulierungsbehörde E-Control. Die intelligenten Zähler sind aber Voraussetzung für das Funktionieren des intelligenten Netzes. In kurzen Abständen melden sie über Internet Energieversorgern und Netzbetreibern den Verbrauch (und die Einspeiseleistung) jedes Stromabnehmers und ermöglichen so die abgestimmte Netzsteuerung. Nach dem Willen der EU sollen im Jahr 2020 mindestens vier Fünftel aller Stromzähler schlau sein. Die Energie AG Oberösterreich verkündete 2007, mit einem Aufwand von 66 Millionen Euro bis Ende 2012 alle 500.000 Stromkunden mit Smart Meter ausgerüstet haben zu wollen. Außerdem verbrauchen die Smart Meter selber Energie, die Halbwertszeit der eingebauten Software liegt um Jahre unter der mechanischer Zähler. TU-Forscher Prüggler ist skeptisch, ob Energieversorger und Netzbetreiber diese Mehrkosten durch Energieeinsparung, Wegfall der Ablesung oder bessere Netzsteuerung kompensieren können. Einschalten bei Grün.Theoretisch könnte die Smart-Meter-Technologie Konsumenten mehr Einfluss auf ihr Verbrauchsverhalten und damit die Stromkosten geben. Theoretisch. Praktisch siegt oft die Gewohnheit: „Wenn ich meinen Eltern sage, sie können sich im Jahr 40 Euro Kosten ersparen, müssen dafür aber ihren Verbrauch im Internet selbst überwachen und die Waschmaschine auf das günstigste Tarifmodell programmieren, wird es schnell uninteressant“, vermutet Prüggler. Das Energieinstitut an der Johannes Kepler Universität Linz fragte im vergangenen Winter ab, wie interessiert tausend oberösterreichische Testhaushalte an ihren Stromverbrauchsdaten waren: Drei Viertel fanden die Daten zwar „hochinformativ“. Weniger Strom als zuvor verbrauchten aber gerade einmal 30 Prozent der Befragten.Langfristig wäre der Spareffekt wohl noch geringer, setzt Prüggler auf die Bequemlichkeit der Verbraucher: „Das mit dem Internetportal funktioniert ein- oder zweimal ganz gut, dann loggt man sich nicht mehr ein.“ Für erfolgversprechender hält er ein – in den USA getestetes – System mit in die Geräte eingebauten Steuerungen, beispielsweise für Heizung oder Klimatisierung. Denkbar wäre auch ein Ampelprinzip, das direkt am Gerät meldet, ob es sich gerade lohnt, Geschirrspüler oder Waschmaschine einzuschalten: Rot bedeutet teuren Strom oder Netzengpässe, bei Grün kann man getrost aufdrehen. Bis zu zehn Prozent weniger Verbrauch wären möglich: Im Jahr 2050 könnte sich ein Stromverbraucher im Smart-Grid-Betrieb maximal 176 Euro pro Jahr ersparen, errechnete Prüggler. Wieder ein Interessenkonflikt: Denn zahlen müssten das die Energieversorger – über geringeren Stromabsatz und Lastverschiebung hin zu Zeiten billigeren Angebots. Wenn man sich aber nicht darauf verlassen kann, dass die Verbraucher die smarte Infrastruktur auch intelligent nutzen, könnten die Investitionen in Zähler, Haushaltsgeräte, Kommunikationstechnologie und Adaptierung des Stromnetzes rasch zu „standed costs“ werden. Zumal viele andere Sparpotenziale noch ungehoben sind, sagt Prüggler: „Durch weitere Vorschriften zur Energieeffizienz von Geräten kann viel erreicht werden, ohne in teure Infrastruktur investieren zu müssen. Im zweiten Schritt könnten Smart- Grid-Ansätze die Systemeffizienz verbessern.“ Maike Seidenberger