Woltron : Klaus Woltron: Die Mär von Prokrustes

Klaus Woltron
© Industriemagazin

Dieser bot müden Wanderern eine Unterkunft an. Waren sie groß, empfahl er ein kleines Lager und hackte ihnen die Füße ab. Kleinwüchsige verfrachtete er in ein großes und reckte ihre Glieder. Als Prokrustesbett bezeichnet man seither ein Schema, in das etwas gezwungen wird, was dort eigentlich nicht hineinpasst – ein Vergleich, wie geschaffen für die aktuelle Lage des Euro.Nach zwei Jahren stereotypem Mantra: „Wenn Griechenland fällt, wankt Europa“, lanciert durch erschrockene Gläubigerbanken, wird dieses Denkverbot immer öfter übertreten. Die mittlerweile per Rettungsschirm zum Teil getilgten Griechenland-Kredite mildern das Alarmgeschrei der Finanzwelt.EZB und EU-Kommission arbeiten an Notfallszenarien für den Fall, dass Griechenland aus der Euro-Zone austreten sollte. Thilo Sarrazin, Ex-Vorstand der Deutschen Bundesbank, stellt in seinem neuesten Buch „Europa braucht den Euro nicht“ fest, Griechenland werde „für den Euroraum das werden, was der Mezzogiorno seit 150 Jahren für Italien ist: ein ewiges Zuschussgebiet ohne Perspektive und ohne innere Kraft zur eigenen Regeneration“.Knall auf Fall sprengten, angeführt vom rezessionsgebeutelten Wahlkämpfer Obama, die G8-Granden in Camp David auf den Plan und forderten vehement den Verbleib Griechenlands in der Eurozone.Wie aber vorgehen, angesichts offensichtlicher Unfähigkeit der griechischen Politik, eine Regierung zustande zu bringen, der Erklärungen unzurechnungsfähiger Exponenten, die einerseits danach verlangen, weiter im europäischen Geldteich zu plätschern, andererseits aber Rückzahlungen verweigern und jene, die Milliarden geschenkt, geborgt und versprochen haben, öffentlich beschimpfen? Einem Kreditnehmer derartiger Gestion weiteres (fremdes!) Geld zu borgen würde retrospektiv wohl einer kriminellen Gestion à la Alpe Adria oder BAWAG gleichkommen.Barack Obama gab den weisen Ratgeber, empfahl das amerikanische Modell des Gelddruckens und wurde dabei von den als Wiedertäufer auftretenden Fans des unreflektierten Keynesianismus begeistert unterstützt. Bizarr ist allerdings, dass es sich dabei ausschließlich um einschlägige Schuldensünder handelt, die damit einem dreisten Griff in fremde Taschen das Wort reden. Verständlich: Die USA haben gleich mehrere Binnen-Griechen-Länder. 9 der 50 Bundesstaaten der USA weisen Haushaltsdefizite von über 20 % des Bruttosozialprodukts auf.Paul Krugman brachte es auf den Punkt: Entweder man entlässt die Griechen aus dem Euro, riskiert ein Fallieren weiterer südeuropäischer Staaten und eine scharfe Krise der Europäischen Union. Oder man emittiert Eurobonds, druckt abermals ungedeckte Schecks und bürdet die Rückzahlung gleichermaßen allen europäischen Bürgern auf – ohne Rücksicht darauf, wer die Schulden machte und sie vielleicht auch nie wieder tilgen wird können. Insgesamt wäre das ohne Zweifel eine Verzweiflungsaktion samt (mit dickem Schalldämpfer abgefeuertem) Startschuss für eine kräftige paneuropäische Inflation.Die Motoren südeuropäischer Volkswirtschaften blubbern, rauchen und haben keinen Biss. Dies liegt nicht daran, dass sie zu wenig Sprit bekämen: Dafür sorgen derzeit EZB, Rettungsschirme und IWF.Hingegen sind die Einspritzpumpen viel zu fett eingestellt: Man verbraucht pro PS viel zu viel Sprit. Tankfüllungen a fonds perdu erhöhen die Leistung freilich nicht, sondern erzeugen lediglich mehr Abgase und vergeuden jenen Treibstoff, den andere eingespart haben. Irgendwann läuft sich ein solches „Wachstumsprojekt“ tot. Man vergisst das, nach etwa 30 Jahren, allerdings regelmäßig.Prokrustes wurde von Theseus auf dessen Wanderung nach Athen als Letzter einer Reihe von Bösewichten erschlagen. Es sei dem Leser überlassen, wie er die Analogie weiterspinnen will.