Atomkraft : Japan nimmt nach zwei Jahren wieder Atomreaktor in Betrieb

Gegen breiten Widerstand in der Bevölkerung nimmt Japan gut vier Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima erstmals wieder einen Kernreaktor in Betrieb. Bis Anfang September solle dann der 31 Jahre alte Reaktor, der knapp 1.000 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tokio liegt, die volle Produktionskapazität erreichen. Sendai 1 war im Mai 2011 für Routinearbeiten abgeschaltet worden.

Das Atomkraftwerk in Sendai war das erste AKW, das im vergangenen September die nach Fukushima eingeführten neuen Sicherheitsauflagen erfüllte. Die Regierung spricht von den "strengsten Sicherheitsvorschriften der Welt". Alle Atomkraftwerke müssen diese Auflagen erfüllen, bevor sie wieder angefahren werden dürfen. "Das Wiederanfahren von Atomreaktoren, deren Sicherheit bestätigt wurde, ist für unsere Energiepolitik wichtig", sagte Regierungssprecher Yoshihide Suga. Wegen der Katastrophe in Fukushima verloren 160.000 Menschen ihre Heimat. Gerade wurde auch der Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki vor 70 Jahren gedacht.

Lautstarke Proteste

"Stoppt das Wiederanfahren", "Weg mit den Atomkraftwerken" - vor den Toren des AKW Sendai im südwestlichen Zipfel von Japan schallen währenddessen Protestrufe durch die brütend heiße Sommerluft. Hunderte besorgte Bürger haben sich mit Protesttransparenten versammelt, um ihren Widerstand gegen das Wiederanfahren eines der beiden Reaktoren in Sendai kundzutun. Doch egal wie laut sie rufen, beim rechtskonservativen Ministerpräsidenten Shinzo Abe im rund tausend Kilometer entfernten Tokio stoßen die Protestrufe auf taube Ohren.

Für den atomfreundlichen Regierungschef ist die Rückkehr zur Atomkraft nach fast zwei Jahren Stillstand sämtlicher Reaktoren im Land als Folge der Atomkatastrophe in Fukushima ein Sieg - zumindest fürs Erste. Abe besteht darauf, dass die rohstoffarme drittgrößte Volkswirtschaft der Welt auf Dauer nicht unter der Last teurer Importe an Öl und Gas bestehen könne. Doch viele im Volk sind skeptisch. Auch viereinhalb Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima spricht sich die Mehrheit der Japaner in Umfragen gegen eine Rückkehr zur Atomkraft aus - trotz steigender Stromrechnungen.

Ausstieg aus der Atomenergie war nah

Die Atomkatastrophe von Fukushima war nach Ansicht von Kritikern nicht zuletzt eine Folge der Kungelei zwischen der Regierung, der Atomaufsicht und dem Betreiber Tepco. Genau dieses als "Atomdorf" bekannte Netzwerk, zu dem viele auch Japans staatstragende Medien zählen, sehen Kritiker auch jetzt wieder am Werk. "Diese Akteure in dem Atomdorf, das Japan die Fukushima-Daiichi-Tragödie eingebrockt hat, versuchen jetzt, die Atomenergie wieder anzutreiben", sagt Shaun Bernie, Atomexperte bei Greenpeace Deutschland, der Deutschen Presse-Agentur in Tokio.

Dabei hatte es für kurze Zeit so ausgesehen, als werde Japan dem Beispiel Deutschlands folgen und ganz aus der Atomenergie aussteigen. Abes Vorgänger Yoshihiko Noda verkündete im September 2012, Japan werde bis Ende der 2030er Jahre aus der Atomenergie aussteigen. Doch dann erlitt Nodas Partei eine verheerende Wahlniederlage und Abes Liberaldemokratische Partei LDP kehrte an die Macht zurück. Jene LDP, die verantwortlich für eine Atompolitik ist, bei der jahrzehntelang Sicherheitsfragen wie in Fukushima vernachlässigt worden waren.

Alternative Energien auf Wachstumskurs

Heute gibt die Regierung vor, aus Fukushima gelernt zu haben. Sp wurden etwa neue Sicherheitsstandards erlassen. Japan habe im Gegenteil nichts aus Fukushima gelernt, beklagt dagegen Shoji Takagi, der eine Bürgergruppe nahe dem AKW Sendai leitet. Der Reaktor in Sendai sei mehr als 30 Jahre alt, genau wie sämtliche der Unglücksreaktoren in Fukushima. Dass ein solch alter Reaktor jetzt als erster für sicher erklärt wurde, "ist nicht zu begreifen", sagte Takagi. Trotzdem dürfte auch Block 2 im Oktober ans Netz gehen. Ein weiterer Reaktor auf der Insel Shikoku könnte bis März 2016 folgen.

Ein Zurück zu der Zeit vor Fukushima, als die Atomenergie rund 30 Prozent zur Stromversorgung in Japan beitrug, wird es aber wohl kaum geben. Die Regierung hat als neue Zielgröße einen Anteil von 20 bis 22 Prozent bis zum Jahr 2030 ausgegeben. Doch Kritiker halten selbst das für unwahrscheinlich. Zum einen wegen des Widerstands im Volk, zum anderen, weil einige der derzeit auf dem Prüfstand stehenden Meiler zu alt seien und kaum die neuen Sicherheitsauflagen erfüllen könnten. Hinzu kommt die Konkurrenz durch erneuerbare Energien. Im kommenden Jahr wird zudem der Strommarkt in Japan für Haushalte liberalisiert.

Tatsächlich haben alternative Energien in den vergangenen vier Jahren seit Fukushima ein deutliches Wachstum erlebt. Manche Fachleute schätzen Japans Potenzial sogar für noch größer ein als Deutschlands. Doch Japans Atomlobby kämpft. Und sie hat in der jetzigen Regierung und der Wirtschaft starke Verbündete. Werden die alternativen Energien aber weiter gebremst und die Atomkraft zugleich nicht so ausgebaut wie geplant, wird Japan als Konsequenz noch mehr Kohle und Gas verbrennen. Mit entsprechenden Folgen für das Klima. Wie sich Japans Energiezukunft genau gestalten wird, bleibt also abzuwarten. (apa/dpa/afp)