Innovationsmanagement : Innovationsserie: Wie zwei Philips-Kärnter für den Weltmarkt entwickeln

Ferdinand Sereinig und Roland Waldner wirken wie ein ungleiches Paar – und sind es auch: der eine schafft Ordnung, der andere dreht sich zielbewusst im Chaos. Im Wirkmechanismus dieser scheinbar gegenpoligen Kräfte beweisen sich die beiden indes als ein hervorragend eingespieltes Team. Sereinig, 53, leitet die Entwicklungsabteilung im Klagenfurter Innovationszentrum von Philips Consumer Lifestyle, Waldner, 46, führt den passgenauen Titel eines FUNction Development Manager.„In der Tat ist es so“, sagt Sereinig, ein Zahlenmensch und Philips-Urgestein, „dass ich in enger Zusammenarbeit mit der Zentrale in Amsterdam eine grundsätzliche Richtung vorgebe, in der dann Roland Waldner seinen Flohzirkus üben kann.“ Waldner wiederum ist gelernter Kunststofftechniker, vielmehr aber eine bemerkenswerte Verbindung aus Daniel Düsentrieb und Motivations-Guru. Er ist hoch kreativ und ermöglicht kreatives Schaffen. Als interner Consultant, Beiname: „Mr. Innovation“, stellt er seinen Kollegen „Ideengenerierungswerkzeuge zur Verfügung und moderiert Entwicklungsprozesse“. Richtung China. Von den österreichweit rund 700 Philips-Beschäftigten werken 330 in Klagenfurt, davon 200 in der Entwicklungsabteilung von Sereinig und Waldner. In der angeschlossenen, hoch automatisierten Produktion werden jede Menge Schneideelemente für Barttrimmer und Epilierköpfe, komplizierte Schwingfedern für elektrische Zahnbürsten oder auch hochpräzise Bauteile im Mykron-Bereich gefertigt. Von Klagenfurt aus wandern die Schlüsselkomponenten – oftmals patentierte Kunststoff-Metall- bzw. Kunststoff-Keramikkombinationen – für die Bereiche Körper- und Haarpflege, Haushalt sowie Gesundheit und Wellness Richtung Osteuropa oder China, zu den Endfertigern für den Weltmarkt.Die Produktion vor Ort ist für die Entwickler von hohem Vorteil. Sereinig: „Dadurch können wir in enger Kooperation mit den Kollegen von der Fertigungsabteilung an die Grenzen von Funktion und serieller Machbarkeit gehen. Unter anderem hat sich das am Beispiel der hier entwickelten Epilierköpfe mehr als bewährt. Mit unserer Verbindung aus Kunststoff mit Keramik, statt Metall zum Fangen und Ausziehen von Körperbehaarung, sind wir in punkto Präzision und Hautfreundlichkeit der Konkurrenz weit voraus.“ 0,14 Prozent landen am Markt. Innovationsmanagement wurde in Klagenfurt mit Hilfe von Cambridge Consulting eingeführt. „Wir wollten“, so Sereinig“, neue Antworten auf alte Fragen finden: wie geht man an eine Problemstellung heran, wie sammelt man in Brainstormings Ideen, wie kann man diese in Konzepte umsetzen und schließlich realisieren.“ – „Und wir wollten“, ergänzt Waldner „die frühe Phase, die Vorentwicklung, besser organisieren und strukturieren.“ Waldner hat die Reformen an vorderster Front begleitet und mitentwickelt und „als Abfallprodukt“ auch seine Doktorarbeit darüber verfasst: „Open Innovation – Verwertung von Ideen und Erfindungen“. Darin wird punktgenau belegt, dass in einem Zeitraum von 15 Jahren exakt 9126 Roh-Ideen in der Entwicklungsabteilung ausgedacht wurden, dass lediglich 512 den ersten Filter und nur 183 den zweiten Filter überlebt haben. Und dass schließlich 15 Produkte am Markt eingeführt wurden. „Wir haben also genau 0,14 Prozent aller Ideen letztlich auf den Markt gebracht. Damit gehören wir aber zu den erfolgreichsten Entwicklern, verglichen mit den Daten, die die Literatur zur Verfügung stellt.“Die entscheidenden Bruchstellen sind, auf schnöden Mammon gebracht, die ersten Filter. „Denn“, erklärt Waldner „jede Roh-Idee, und sei’s nur ein Post-It, kostet runtergerechnet durchschnittlich 40 Euro. Jeder weitere Schritt aber ein Vielfaches.“ Präzise: Die 183 Ideen nach dem ersten Filter schlagen sich pro Idee bereits mit knapp 12.000 Euro nieder, die Serienreife für Produkte geht mitunter in die Millionen.Die wichtigste Ingredienz in der Kreativ-Küche von Philips Klagenfurt ist neben offenen Denken, immer wieder frischen Wind und möglichst bunt zusammen gewürfelten Menschen „die Kunst des Scheitern-Könnens, des Scheitern-Dürfens. Und das kann nur top-down gelebt werden.“ Ferdinand Sereinig steht von Management-Seite dafür ein, Roland Waldner schafft im Großbüro diese Atmosphäre des Trauens. Vertrauensarbeitszeit. Apropos Trauen: 2005 wurde in einem innovativen HR-Prozess die „Vertrauensarbeitszeit“ eingeführt. „Zuvor“ erinnert Sereinig „hatten wir Entwickler, die an der Stempeluhr mit ihrer Stempelkarte gewartet haben, bis der Zähler umgesprungen ist und sie auf diese Weise am Monatsende ein paar Minuten gewonnen haben. Das – und vieles mehr - wurde in einem sehr spannenden und kontroversiell geführten Prozess abgeschafft.“ Seither werden die Entwickler nach Leistung und nicht für Anwesenheit bezahlt. Sie sind selbständig verantwortlich „und das merkt man am Output.“ Waldner: „Das war nicht einfach, weil doch jede Veränderung Widerstand hervorruft. Jeder fragt zuerst einmal, wo der Haken ist. Aber es hat sich für alle ausgezahlt.“ Nicht zuletzt, weil sich der Dialog zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter grundlegend geändert hat. „Wer glaubt, Überstunden machen zu müssen, muss argumentieren warum. Allein dieses Gespräch löst so manches und führt zu neuen Prioritäten.“Seit einem Monat können Entwickler auch von zuhause aus arbeiten. Die Vollausstattung mit entsprechendem Equipment war kein Thema, umso mehr die arbeits- und versicherungsrechtlichen Konsequenzen. Dennoch: der Testballon ist gestiegen, erste Ergebnisse sind vielversprechend. „Vor allem können Eltern endlich mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und dennoch arbeiten, wann es für sie passt“ sieht Waldner die großen Vorteile von Mehr an Eigenverantwortung. Sereinig: „Unser Mitarbeiter für alles rund um Patente kann jetzt während seiner Home-Office Tage eine Vielzahl an Patentanalysen durchführen, während er hier weit länger für eine vergleichbare Aufgabe gebraucht hat. Er ist hier einfach dauernd von Telefonaten und Anfragen gestört worden.“ - „Und meine Kollegin Laura aus Slowenien“, weiß Waldner „spart sich zig Kilometer Autofahrt.“ Übrigens: vor sechs Jahren war genau ein Ausländer in der Entwicklungsabteilung der Klagenfurter, heute kommen die Mitarbeiter aus 15 verschiedenen Nationen. „Wir reden hier praktisch nur mehr Englisch.“Vernetzung. Noch vor zehn Jahren war jede Entwicklung hausintern. Durch die Vernetzung stehen weltweit Kompetenzzentren für einzelne Verfahrensschritte zur Verfügung. „Innovation“ so Roland Waldner „darf nicht auf Zufall basieren, soll nicht davon abhängig sein, dass einem was einfällt. Das muss strukturierter, vernetzter, im offenen Austausch geschehen.“ Von September 2009 bis Juni 2010 wurde bei Philips-Klagenfurt TRIZ eingeführt. Das Kürzel steht für eine neue, freie Art kreativen Schaffens. Es bietet eine Sammlung von wirkungsvollen Denkwerkzeugen, es ist ansprechender als viele andere Kreativ-Methoden und es führt konsequent von „diffusen Problemstellungen zur klaren Problemerkenntnis und –lösung“. TRIZ lehrt das Wesentliche bei innovativen Prozessen, nämlich offen zu sein. Waldner: „Wir bekommen recht oft ein fertiges oder halbfertiges Produkt in die Hand. Der Auftrag lautet: macht das besser. Wir müssen also zuerst selber das Problem definieren, um zu einer Lösung zu kommen.“Dass solche Prozesse trotz Erfolgsdrucks und begrenzten Geldressourcen gelingen ist wohl den widerstreitenden Kräften von Ferdinand Sereinig und Roland Waldner zu verdanken. Ihr gemeinsamer Leitspruch: „Wer zu früh aufs Geld schaut, killt jede Idee. Wer zu spät aufs Geld schaut, killt jede Firma.“