Outsourcing : Industrieservices: Im Auslagerungszustand

Industrieservices Auslagerung Instandhaltung
© Waldner

Dieser Mann braucht keinen Souffleur. Bei Roland Pöhland sitzt jeder Handgriff – fast so, als wäre die Schwingungsmessung ein Kinderspiel und kein hochelaboriertes Diagnoseverfahren. Behände klettert er auf den riesigen Prozessluftverdichter. Ganz oben zückt der Techniker seinen Schwingungsdetektor (FAG Detector III). Vier Lagerungen nimmt er ins Visier – er prüft die Temperatur und das Schwingungsverhalten. Ein fachmännischer Blick aufs Display, kurzes Stirnrunzeln – dann gibt Pöhland Entwarnung: „Alle Messwerte sind unauffällig“. Anfang Februar wies der Techniker des Klagenfurter Industriedienstleisters Messfeld an einem Lager der Anlage der Weißensteiner Evonik Degussa Peroxid Gmbh erhöhte Werte nach – das war verdächtig. Eine Möglichkeit: Ein lastbedingter Anstieg der Lagerkennwerte, denn die Temperaturen waren zu dieser Zeit schon im Keller. Aber auch Schlimmeres stand im Raum: Ein sich heimtückisch heranbahnender Lagerschaden. Also behielt der Outsourcingpartner die Anlage der Kärntner per Offline-Messungen im Auge. Die Anlage ist ein Dauerläufer, sie kann 10.000 Kubikmeter Luft pro Stunde für die Wasserstoffperoxidproduktion verdichten. Ein Lagerschaden würde die Kärntner deshalb nicht nur unangenehm berühren: „Dann steht das Werk“, will sich Evonik-Instandhalter Konrad Guggenberger ein solches Szenario gar nicht ausmalen. Bremse gelöst. Kolbenkompressoren, Getriebe, Elektromotoren oder eben auch Prozessluftverdichter – allesamt typische Kandidaten fürs Instandhaltungsoutsourcing. Zwar erwirtschaftete der Industriedienstleister Bilfinger Berger 2011 schon 17 Prozent seines Umsatzes mit Großstillständen. In einem Schwung wurden im Vorjahr bei Borealis in Schwechat 7.250 Equipments überprüft – das dauerte sechs Wochen. Zu Spitzenzeiten überholten mehr als 550 Mitarbeiter die Anlagen zur Polyolefinproduktion. “Doch das Geld kommt übers Tagesgeschäft herein”, weiß auch Industrieservice-Vertriebler Walter Petermaier von der Lenzing Technik. Und das zieht – laut Dienstleistern – an. „Anders als im Nachkrisenjahr 2010 stehen die Unternehmen beim Outsourcing jetzt nicht mehr auf der Bremse“, erklärt Reinhard Maaß, Chef des deutschen Wirtschaftsverbands für Industrieservices (WVIS) im Branchenmonitor 2011. Ihn macht vor allem das dicke Auftragsplus im Vorjahr – acht Prozent – optimistisch. In Europa liege das Marktvolumen des Industrieservicegeschäfts bei bärenstarken 100 Milliarden Euro. Und auch andere Studien nähren Zuversicht. Laut MCP-Studie – die Autoren befragten 450 Betriebe – liegt der Anteil der Fremdleistungen an den Instandhaltungskosten derzeit zwischen 25 und 40 Prozent. Bis 2015 soll er immerhin leicht zunehmen. Nur 22 Prozent der Teilnehmer rechnen außerdem damit, dass ihr Betrieb künftig noch eine eigene Instandhaltungsabteilung hat. Und bei über 40 Prozent der Befragten wurde der Personalstand in der Instandhaltung zwischen 2005 und 2010 „stark reduziert“. Ein Branchenkenner bringt es resigniert auf den Punkt: „Überall wird gespart – die Geißel unserer Zeit“. Fortsetzung auf Seite 2: Industrieservices - Saftige Rabatte

„An manchen Anlagen können wir selber nur den Pulsschlag messen, erst ein Arzt schafft ein EKG", sieht es Evonik Degussa-Mann Arnold Sommeregger entspannter. Läge die Anlagenverfügbarkeit beim Kärntner Chemiebetrieb nicht bei 98 Prozent, würde er wohl anders argumentieren. Doch auch unter den 90 Unternehmensvertretern, die zuletzt das Instandhaltungsforum des Mechatronik Clusters in Steyr stürmten, waren überzeugte Outsourcer. Der Zeitpunkt zum Auslagern scheint nicht schlecht. In Krisenzeiten wurden Preisnachlässe bis zu 20 Prozent gewährt – „im großvolumigeren Projektgeschäft lagen die Abschläge sogar bei 25 Prozent“, schildert Gerald Pilotto, Chef der BIS Chemserv und BIS-Gruppenleiter für Zentraleuropa. Eine Entwicklung, die Dienstleister noch nicht zur Gänze rückgängig machen konnten. “Es wird noch bis aufs letzte halbe Prozent gefeilscht”, so Pilotto. Und der Preiskampf wird weiter angeheizt: Kleine Nischenanbieter setzen den Großen mit feinen Nadelstichen zu. Selbst Maschinen- und Anlagenbauer haben das Dienstleistungsgeschäft für sich entdeckt. „Die Wartung von Prozesstechnik ist eins unserer neuen Portfolioelemente“, sagt wie auf Kommando Harald Loos, Leiter Customer Services bei Siemens. Einkaufstour. So erklärt sich auch die jüngste Einkaufstour so mancher Schwergewichte. Kürzlich schluckte Bilfinger Berger die Filtertechnikfirma Diemme – damit verstärkten die Deutschen ihr Anlagenmanagement im Geschäftsfeld Wassertechnologie. Auch die Alpha Mess-Steuer-Regeltechnik GmbH hat man sich einverleibt. Der 120-Mann-Betrieb ist dick im Geschäft mit Elektrotechnik-Dienstleistungen für die Chemieindustrie und Energiewirtschaft. ConMoto-Consulter Nils Blechschmidt sieht die Entwicklung hin zu Instandhaltungsoligopolen nicht eben beschwingt: „Kunden rutschen in eine Abhängigkeit“, argwöhnt er. „Die wollen sich alles unter den Nagel reißen“, ätzt ein anderer Gesprächspartner. Doch Größe muss kein Fehler sein. Bei der Borealis in Schwechat trat die BIS als Generakontraktor auf. Sie koordinierte 70 Firmen, Gewerke wie Isolierung oder Reinigung – aber auch OEMs. Und 25 Kräne. Da können kleinere Dienstleister nicht immer mit. „Der Markt wird sicherlich dünner“, beobachtet Fraunhofer Austria-Chef Wilfried Sihn. Er nahm die Dienstleisterszene in einer Großstudie unter die Lupe – und leugnet nicht die Marktmacht einzelner Generalanbieter. Trotzdem lautet sein Fazit: „Schmieren können sie alle“. Verrutschtes Bild. Zugleich aber tuschelt die Branche angeregt über Firmen, die beim Auslagern baden gingen. Stark verbesserungswürdige Instandhaltungsstrategien will auch Nils Blechschmidt, Senior Partner der Münchener Beratungsfirma ConMoto, ausgemacht haben. Besonders in der Prozessindustrie. In der Studie „Wertorientierte Instandhaltung – Die strategische Dimension des Schraubenschlüssels“ analysierte der Deutsche im Vorjahr das Instandhaltungsmanagement von 83 europäischen Betrieben mit Outsourcingerfahrung – vom Automobilzulieferer bis zum Chemiewerk. Ein fünftägiges Testverfahren kam zur Anwendung, zwölf Kategorien – von der Materialwirtschaft bis hin zur Arbeitsplatzgestaltung – wurden abgefragt. Das Ergebnis war auch für Blechschmidt eine dicke Überraschung: So schafften die untersuchten Unternehmen – darunter etliche Kaliber – bestenfalls Ergebnisse zwischen mangelhaft und befriedigend. „Bei 100 erreichbaren Punkten lag der Industrieschnitt gerade einmal bei 46“, erörtert Blechschmidt. Einen erheblichen Nachholbedarf weise ausgerechnet die Chemieindustrie auf (43 Punkte) – die „instandhaltungsintensivste Branche“, so Blechschmidt. Fortsetzung auf Seite 3: Industrieservices - Einkaufsmacht

Was läuft also falsch? Zumindest für den Spezialmaschinenbereich der Chemieindustrie findet Blechschmidt klare Worte. „Der Einkaufsprozess für große, langlebige Pigmentfertigungsanlagen sei „ausgelutscht“. Einzig auf dem After-Market – also dem Geschäft mit Industrie-Services – „sei für Hersteller noch etwas zu holen“, meint Blechschmidt. Und genau aus dem Grund lieferten die Hersteller – anders als bei Standardgerät – nur in sehr geringem Maße „Anlagentransparenz mit“, kritisiert Blechschmidt. Sein Tipp: Den Maschinenhersteller „bearbeiten“. Er dürfe mit keiner Information „hinterm Berg halten“.Ein anderes Problem: Häufig hat in Industriebetrieben der Einkauf die Hosen an. Dem aber setzt die Konzernspitze das Messer an. „Fürs österreichische Werk werden dann am Weltmarkt die günstigsten Dienstleistungen zusammengekauft“, beobachtet ein Branchenexperte. Diese Leistungen „bekommt die Technik dann aufs Aug´ gedrückt“. Nur ätzende Worte eines ausgebooteten Dienstleisters? Wohl kaum. Eine MCP-Studie aus 2010 stützt diesen Befund: Die Akzeptanz der Instandhaltung sei bei Produktionsverantwortlichen sehr viel höher als wie beim Betriebsmanagement, heißt es da nachvollziehbar. Zugleich könnten Instandhalter viel zu wenig ihre Anliegen kommunizieren: „Die sind nicht der Verkäufertyp“. Nicht alle lassen es freilich so weit kommen. Beim Kärntner Wasserstoffperoxidhersteller Evonik Degussa – Österreich-Tochter des deutschen Spezialchemiekonzerns Evonik – stellt man klar, nicht "fremd gesteuert" zu sein: „Wir artikulieren unsere Bedarfe überdeutlich“, betont Instandhalter Arnold Sommeregger. Sprengstoff. Es gibt vier Möglichkeiten, Instandhaltung auszulagern: Kleinere Einzel- und Projektverträge – dazu zählt auch die Arbeitnehmerüberlassung. Rahmenverträge – sie sind zur Abdeckung von Kapazitätsspitzen da. Dann das wachsende Geschäft des Main Contractings mit umfassenderen Arbeitspaketen. Last but not least: Der Vollservice. Klingt überschaubar. Doch in der Praxis ist es schwieriger. Bei Einzelprojekten seien Preisnachlässe schwerer durchzusetzen, wenn man „kein ausgefuchster Verhandler“ sei, berichtet ein Instandhaltungsexperte. Und auch das andere Ende der Leistungsskala – die Langfrist-Leistungspakete mit Festpreis – würden „Sprengstoff bergen“. In der Asset Manager-Studie von 2010 sagt das nicht irgendwer – sondern der Dienstleister Bilfinger Berger. Und er geht noch weiter: Nicht eindeutig definierbare Leistungsgegenstände, mangelnde Historien und ein nicht eindeutig bestimmbarer Anlagenzustand mache die Handhabung des Kontrakts „für beide Parteien schwer“, heißt es hier. Derartige „Sorglospakete“ könnten sogar die Innovationsfähigkeit des Anlagenbetreibers „behindern“. Vor allem wohl dann, wenn sie Billiganbieter liefern. Viele von ihnen sind nach ein, zwei Jahren wieder „vom Markt verschwunden“, beobachtet Walter Petermaier von Lenzing Technik. Bei der Evonik Degussa Peroxid GmbH kann man dies bestätigen: „Die Firmen kommen einmal ins Haus – und dann nie wieder“, so Instandhalter Konrad Guggenberger. Eine Kämpfernatur zu sein reicht heute nicht. Selbst unter Mechatronikern oder Maschinenbautechnikern gibt es Qualitätsunterschiede „wie beim Arzt“, meint Lenzing Technik-Mann Walter Petermaier. Tabus.Wie die Praxis schonungslos aufdeckt. Denn auch Branchen mit Standardgerät haben laut ConMoto-Erhebung so ihre liebe Not. Treffer mussten in deren Studie sogar die sonst preisgekrönten Vorzeigebranchen einstecken: Der Maschinenbau und die Automobilindustrie (51 Punkte von 100). Nils Blechschmidt kennt das Grundübel – den insgesamt zu hohen Fremdleistungsanteil. „Die Grundlasten sollten überall tabu sein“, meint er. Hier sei es häufig „vernachlässigbar“, wo der Instandhalter „auf der Payroll steht“, begründet Blechschmidt. Ähnlich wird in Weißenstein argumentiert. Seit 2007 führt die Klagenfurter Firma Messfeld quartalsweise Schwingungs- und auch Ultraschallmessungen bei der Evonik Degussa durch. Die Kernkompetenzen, namentlich die Grundwartung und Reparaturen an allen drehenden Teilen, behielt man aber im Haus – “trotz gewisser Angebote“, erzählt Evonik-Instandhalter Konrad Guggenberger.Auch bei der Fernwartung, Online-Zustandsüberwachung genannt, erhebt Nils Blechschmidts den belehrenden Zeigefinger: Die mittels Schwingungs- oder Temperaturmessung umgesetzte Erfassung des Maschinenzustands sei für hochbeanspruchte Maschinen „ein Glücksfall“ – „einige unserer Anlagen haben schon solche Systeme an Bord“, heißt es bei der Evonik Degussa. Man kann es aber auch übertreiben. „Viele schießen mit Kanonen auf Spatzen“, weiß Nils Blechschmidt. Er nennt das Beispiel einer Werkzeugmaschine, die er bei einem deutschen Industriebetrieb vorgefunden hat. Dort wurde die Führungsschiene der Maschine mit großem Zirkus schwingungsüberwacht – obwohl sie „sowieso redundant verbaut war“, schildert Blechschmidt. Häuslicher Frieden.Industriebetriebe würden überzähliges Wartungspersonal zu häufig durchfüttern“, heißt es bei den Personalüberlassern ungerührt. Bei der Wartung von Kolbenkompressoren würde fest angestelltes Instandhaltungspersonal „die Fingerfertigkeit verlieren, wenn sich ein dreiviertel Jahr nichts tut“, meint Gerald Pilotto, Chef der BIS Chemserv und BIS-Gruppenleiter für Zentraleuropa. Ein Argument. Es kann aber auch anders laufen. Auslagern ohne Fingerspitzengefühl stört „den Betriebsfrieden“, meint ConMoto-Mann Nils Blechschmidt. Er kennt einige Werke, die in die Falle einer „Zweiklassengesellschaft“ tappten, als Leihpersonal „frühmorgens anstempelte, erzählt er. Auch der Kärntner Chemiebetrieb Evonik Degussa Peroxid arbeitet mit Personalüberlassern. Derzeit seien es vier "sehr qualifizierte Mitarbeiter", die das Instandhaltungsteam ergänzen. Instandhalter Arnold Sommeregger sieht sie gut integriert: Man requiriere ja nicht bei Firmen, wo man von der Putzfrau bis zum Anlagenmonteur “alles bekommt“, sagt er. Messfeld-Techniker Roland Pöhland hatte übrigens im Nu die Messresultate seines Diagnosegeräts auf den Rechner von Instandhalter Sommeregger gespielt. Der wird die Werte im Auge behalten – und seinen Dienstleister: „Auch das ist schon Routine“. Wie Pöhlands Arbeit ohne Souffleur. Daniel Pohselt So lagern Sie Ihre Instandhaltung aus6 Tipps zum Outsourcing ihrer Dienste 1. Lernen Sie Ihr Unternehmen kennen! Erbringen Sie Instandhaltungs-Kernkompetenzen immer selber, sie gehören zu Ihren Kernkompetenzen. Einzige Ausnahme: Seltene (und komplizierte) Spezialleistungen. 2. Lagern Sie die richtigen Lasten aus!Lagern Sie nur Spitzenlasten aus. Grundlasten sollten Sie selber erbringen! 3. Bringen Sie den Einkauf und die Technik an einen Tisch! Ein Drittel der Outsourcing-Projekte scheitert, weil die eigene Instandhaltungsabteilung zu wenig/oder gar nicht eingebunden wird. 4. Klopfen Sie die Dienstleister ab! Neues Servicepaket, neues Spiel: Prüfen Sie stets aufs Neue Qualität, Servicelevel, Zuverlässigkeit und Kostenmodelle des Partners – Kostenvorteile winken! 5. Wenden Sie Kennzahlensysteme an! Bringen Sie Kennzahlen zur qualitativen Überprüfung der erbrachten Fremdleistungen ins Spiel – oder fordern Sie diese resolut vom Dienstleister ein! 6. Treten Sie nicht auf der Stelle! Fordern Sie vom Service-Dienstleister regelmäßige Technik-Trainings und Coachings ein.