Hans-Florian Zangerl : Heuchler Staat

Nein, es war kein eingenähter Hilferuf in einem Power-Point-Dokument, der die gnadenlose Ausbeutung ans Licht bracht. Es war ein scharfsinniger Arbeitsinspektor, der dem unmenschlichen Treiben ein Ende setzte. Mit juristischer Donnerfaust stürzte er den Kapität des Conultingsbetriebes von seiner Brücke. Der hatte seine Lohnsklaven mehr als 10 Stunden am Stück ausbeutet, und - das waren die Striemen auf den Rücken der Leibeigenen - die Arbeitszeiten nicht lückenlos erfasst.

Dass die Galeere der Geknechteten eher einem Kreuzfahrtschiff gleicht, war dabei einerlei. Das Arbeitszeit-Gesetz macht keinen Unterschied zwischen dem Lagerarbeiter im Blaumann und dem Strategieberater in feinem Zwirn mit fünfstelligen Monatsgehalt. Und es wird mittlerweile auch genau so exekutiert. Doch ob es dabei um das Wohl der Arbeitnehmer geht, ist fraglich.

Für Sozialminister Rudolf Hundstorfer gibt es offenbar neben dem Hochofenarbeiter und der Kassiererin an der Supermarktkasse keine Arbeitsrealität. Zumindest ist ihm kein Arbeitsalltag vertraut, der von Selbstbestimmtheit geprägt ist – dieser Begriff dürfte in seiner beruflichen Laufbahn als Beamter und Gewerkschaftsfunktionär eher in der Peripherie verortet gewesen sein. Was er in Anbetracht diese Umstandes erstaunlich zielsicher beherrrscht, ist das Heben der Abgabenquote. Denn jede mehr aufgezeichnete Stunde die als Überstunde verrechnet wird, freut die Sozialversicherungen und den Finanzminister. Die Bigotterie des Staates zeigt sich bei Verstössen gegen die kollektivertragliche Entlohnung: in diesem Fall wird der Unternehmer lediglich verpflichtet, nachträglich die Abgaben zu leisten. Der Angestellte, dem mehr Lohn zugestanden wäre, muss hingegen selbst schauen, wie er zu seinem Geld kommt.

Seine wahre Intention zeigt der Heuchler Staat, wenn er selbst der Arbeitgeber ist: während die Industrie seit Jahren vergeblich um etwas mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten ringt, gebärdet sich Hundstorfer in seinem eigenen Wirkungsbereich wie ein Fabriksinhaber im 19. Jahrhundert. Die EU schreibt eine Kürzung der maximalen Arbeitszeiten der Spitalsärzte vor. Die Mediziner dürfen in Österreich bis zu 72 (!) Stunden pro Woche arbeiten, daraus sollen 48 Stunden werden. Dass ein übermüdetet Chirurg mehr Schaden als ein hellwacher Unternehmensberater anrichten kann, steht wohl außer Zweifel. Mit der EU-Forderung nach strengeren Regeln für die Ärzte kann der Sozialminister aber herzlich wenig anfangen: hier wird lamentiert, „das kann man in Etappen machen“, verzögert und getrickst. Denn die dann notwendigen zusätzlichen Mediziner will sich der Staat nicht leisten. Was sich ein Unternehmen leisten kann, das interessiert ihn nicht.