Interview : Helmut List: "Natürlich haben wir Speck angesetzt"

INDUSTRIEMAGAZIN: Der deutsche Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer prognostizierte in INDUSTRIEMAGAZIN im Vormonat, dass rund ein Viertel aller österreichischen Automobilzulieferer von der Insolvenz bedroht sind. Gehen Sie auch von einer solch dramatischen Marktbereinigung aus?Helmut List: Ich halte den Anteil für zu hoch. Tatsache ist jedoch, dass Unternehmen, die sehr regional aufgestellt oder von einzelnen Märkten oder Kunden abhängig sind, vor großen Problemen stehen können. Das wird klar, wenn man auf die Zahlen sieht: Während die Umsätze etwa im Nutzfahrzeugbereich um durchschnittlich 40 Prozent zurückgegangen sind, sind es im PKW-Bereich lediglich zwanzig Prozent. Und die Autokonjunktur variiert auch geografisch. Stärker sind die Rückgänge in Europa, den USA und Japan, schwächer im übrigen Asien bzw. in China, Indien und Südamerika, wo in diesem Jahr bereits eine starke Aufwärtsentwicklung festzustellen ist. Unternehmen die global aufgestellt sind und eine Vielzahl von Kunden haben, haben da Vorteile. Experten gehen aufgrund der hohen Kreditverfügbarkeit der vergangenen Jahre davon aus, dass der weltweite Absatz zukünftig schon alleine aufgrund der Normalisierung des Leasinggeschäftes schrumpfen muss...Es mag durchaus sein, dass dies die Nachfrage dämpft. Aber ich halte das beachtliche Wachstum und Potential der so genannten BRIC-Märkte, also China, Indien, Brasilien und Russland auch für europäische Hersteller und Zulieferer für substanziell bedeutender. In einer Krise, das ist meine persönliche Erfahrung, sieht man meist nur die Risken – im Aufschwung nur die Chancen. Stichwort GM und Opel. Hätte sich in den letzten Monaten nicht die einmalige Chance geboten, den Automobilmarkt zu konsolidieren?Ich möchte mich zu konkreten Autoherstellern nicht äußern, das habe ich noch nie getan. Wichtig ist allerdings, dass man die Erfolgszyklen der einzelnen OEMs sieht. Daher bin ich mir nicht sicher, ob es bei einer Konsolidierung derzeit notwendigerweise jene Anbieter trifft, die Strukturverbesserungen am meisten brauchen.
Wer hätte denn eine Konsolidierung am europäischen Automarkt am nötigsten?Das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten möchte. Zur Konsolidierung noch ein Wort: Eine große Pleite am Automobilsektor birgt neben den volkswirtschaftlichen Risken auch ein weiteres Wagnis: Etwa dass auch für die Mitbewerber, im Zulieferbereich möglicherweise viel zerstört wird, was letztendlich nicht wieder gutzumachen ist. Die Situation bei AVL List ist angespannt. Für das laufende Jahr rechnen Sie mit 17 Prozent Umsatzminus. Für das kommende Jahr mit einer schwarzen Null. Woher nehmen Sie den Optimismus?Wir sehen, dass Freigaben für Investitionsprojekte, die in den vergangenen 18 Monaten verschoben wurden, schön langsam wieder in größerem Umfang hereinkommen. Das gilt für Antriebsentwicklungen, Projekte im Prüfstandbereich, komplette Labors und Softwareentwicklungen. Aus Erfahrung wissen wir, dass größere Projekte mit kleineren Paketen beginnen – etwa der Konzeptionsphase. Das macht uns für das Geschäft 2010 verhalten optimistisch. Was bedeutet der Umsatzrückgang bei Kunden für einen Motorenentwickler? Werden zukünftige Modellzyklen weniger innovativ?OEMs haben Entwicklungsprojekte teilweise wieder ins eigene Haus verlagert. Die Modellzyklen bleiben gleich – es gibt allerdings eine Verschiebung hin zu kleineren Modellen, das merken wir ganz deutlich. In den letzten Jahren hatten wir Umsatzzuwächse von bis zu 18 Prozent, wir werden heuer in etwa das Umsatzniveau von 2007 erreichen. Sie haben im Herbst ein Sparpaket geschnürt, das Lohnverzicht und freiwillige Teilzeit der Mitarbeiter vorsieht. Kommt das nicht ein wenig spät?Wir haben bereits im Frühjahr bei freien Mitarbeitern, Leiharbeitern und in geringem Ausmaß auch im Bereich der Angestellten Anpassungen vorgenommen. Wieviele Mitarbeiter hat das betroffen?Das hat in etwa 300 Leiharbeiter und freie Dienstnehmer betroffen. Jetzt haben wir festgestellt, dass sich die Verbesserung der Auftragseingänge Richtung Herbst 2010 verschiebt. Wir standen vor der Wahl, machen wir nun Personalschnitte oder ein intelligenteres Modell, das viele wertvolle Mitarbeiter, die wir in einem Jahr sicher wieder brauchen, halten können. Das Modell des freiwilligen Lohnverzichtes, das sozial gestaffelt zwischen 5 und 18 Prozent vom Bruttolohn für Mitarbeiter im Jahr 2010 vorsieht, ist bereits von 93 Prozent der Mitarbeiter angenommen worden. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. Was bedeuten 25 Prozent Einkommensverzicht für Sie persönlich?25 Prozent Lohnverzicht gilt für die Geschäftsführung im Unternehmen. Die maximale Deckelung bei den Mitarbeitern liegt bei 18 Prozent. Bruttojahresgehälter bis zu 30.000 Euro sind davon gänzlich ausgenommen. Ich selbst werde mein Einkommen selbstverständlich zur Gänze aussetzen. Um wie viel Prozent verringert sich die Lohnsumme dadurch im kommenden Jahr?Insgesamt kommen wir mit der Maßnahme in die Größenordnung von rund neun Prozent der Lohn- und Gehaltssumme. Das ist ein wirklich substanzieller Beitrag unserer Mitarbeiter. Schliessen Sie damit weitere Kündigungen aus?Im Verwaltungs- und Gemeinkostenbereich planen wir durchaus weitere Anpassungen durchzuführen.Würden Sie sagen, dass Sie in der Wachstumsphase Speck angesetzt haben?Natürlich - das haben Wachstumsphasen mit dem Fokus auf Wachstum, Suche von Mitarbeitern und Fokus auf Kunden so an sich. So haben auch jetzt zu setzende Struktur-Anpassungen eine große Chance zur Kostenreduktion und Effizienzsteigerung.
Themenwechsel. AVL List entwickelt das intelligente Herzstück des Automobils, die Motoren und die Elektronik. Sie planen sogar Produktionslinien für die OEMs. Was hindert Sie eigentlich, die Motoren zukünftig selbst zu produzieren und - etwa wie Magna – selbst zum OEM zu werden? Unsere Strategie ist klar: wir sind markenneutral und weltweit aktiv. Wir wollen unser Kapital nicht in der Produktion binden, denn das würde unsere globale Position gefährden. Wir hatten bei Spezialthemen immer wieder die Überlegung, ob wir etwas selbst verwerten. Aber die generelle Linie ist es, markenneutraler, weltweiter Marktführer auf unseren Gebieten zu bleiben. Der Magna-Partner GAZ baut in Russland derzeit ein riesiges Nutzfahrzeugwerk, für den Sie den Motor entwickelt haben. Derzeit unterstützen Sie den Aufbau der Produktionslinien in Jaroslawl. Welche Perspektiven ergeben sich für Sie?Die Fahrzeugindustrie in Russland wird – unabhängig von einzelnen Marken – in den kommenden Jahren stark wachsen. Es wird vor allem auch eine eigene Produktentwicklung und höhere Wertschöpfungstiefe in Russland geben. Dabei helfen wir unseren Kunden weltweit - natürlich auch in Russland. Bedeutet das einen Ausbau Ihres Standortes in Russland?Wir haben derzeit keinen Entwicklungsstandort in Russland. Ein sogenanntes Tech Center wird es aber in der weiteren Zukunft auch in Russland sicher geben. Üblicherweise kommen dann die Technologieteile der Entwicklung nach Graz, wo unsere Kernentwicklung konzentriert ist, und kundennahe Engineeringarbeiten werden vor Ort gemacht. Schließen Sie aus, dass sich an Ihrem Modell, einer Entwicklungszentrale in Graz und dem Netzwerk von Tech Centers in den jeweiligen Kundenländern zukünftig etwas ändert? Etwa indem Tech Centers aufgewertet werden?Es ist bereits heute so, dass etwas mehr als die halbe Wertschöpfung in den jeweiligen Werken vor Ort statt findet. Wir sind ein globales Unternehmen und wachsen in Graz gerade deshalb, weil wir weltweit so gut verankert sind. Das ist – im Vergleich zum Wettbewerb – auch einer unserer Vorteile, wir sind viel stärker globalisiert. Abschlussfrage an den Techniker Helmut List: Die Motorentwicklung geht derzeit ganz klar in Richtung Hybridantrieb, also ein Nebeneinander von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb. Sehen Sie den reinen Elektroantrieb für Großserien geeignet?Der reine Elektroantrieb ist ganz klar ein Großserienthema. Selbst wenn, was ich für durchaus möglich halte, in zehn Jahren nur zwei bis fünf Prozent der Weltproduktion reinen elektrischen Antrieb aufweisen, sind das schon enorme Stückzahlen. Und wann fahren wir alle mit Elektroautos?Es sind noch enorme Aufgaben zu bewältigen. Wir müssen bei der Batterie einen Faktor drei in der Verbesserung der Leistungsdichte, der Energiedichte und bei der Preisreduktion erreichen, um den Elektroantrieb vollständig marktfähig zu machen. Wir haben mit der Entwicklung unseres Range Extenders da ein wenig zur Überwindung des Faktors drei beigetragen, aber da ist noch viel an Arbeit zu leisten. Wir sind uns einig, dass es ein Jahrzehnt braucht, um einige wenige Prozente Marktanteil zu erreichen. Danach könnte der Anteil der Elektroantriebe aber sprunghaft ansteigen. Wieviel Prozent ihres Entwicklungsbudgets geht in den Bereich Elektroantrieb?Rund 25 bis 30 Prozent unserer eigenen Forschungsprojekte beschäftigen sich mit Fragestellungen rund um die Elektrifizierung des Antriebs. Allerdings darf man nicht vergessen, dass z.B. die Verbesserungen in der Elektronik und Regelung auch zur Effizienzsteigerung des Verbrennungsmotors beitragen und direkt in die Hybridtechnologie einfließen. Gerade im Zusammenhang mit der Hybridtechnik, dessen Umsatzanteil derzeit rund zehn Prozent beträgt, ist es für uns wichtig, das Thema Elektroantrieb sehr ernst zu nehmen...Interview: Rudolf Loidl, Hans-Florian Zangerl
Das von Vater Hans List 1948 gegründete Unternehmen wird seit 1979 von Helmut List geführt – er baute AVL List zum weltweit grössten privaten Unternehmen für die Entwicklung, Simulation und Prüftechnik von Antriebssystemen (Hybrid, Verbrennun gsmotoren, Getriebe, Elektromotoren, Batterien und Software) für PKW, LKW und Großmotoren aus. 4500 Mitarbeiter (davon 2000 in Graz) sind in weltweit 45 AVL-Gesellschaften tätig, der Umsatz von AVL List betrug im Vorjahr 740 Millionen Euro.