Hannover Messe : Große Geschäfte auf der HMI 2016

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Für Ronald Naderer ist es ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Mehr als 30 Vertriebspartner aus aller Welt trifft der Geschäftsführer des Linzer Roboterherstellers FerRobotics auf der Hannover Messe heuer wieder. Dass die Automatisierungstechnik seit Jahren eine gute Entwicklung hinlegt, macht die Gespräche am Linzer Messestand nur angenehmer. Trotzdem erhält die Messe für Naderer heuer eine neue Qualität: Nach einem Entwicklungsland (Indien) sind heuer die USA Partnerland der Deutschen Messe. Obama mitsamt Delegation haben sich angekündigt – die reindustrialisierungshungrige Weltmacht kann europäisches Produktionsequipment gut gebrauchen. Und für die Linzer ist das Timing sowieso perfekt: Soeben hat der Automatisierungsspezialist eine US-Tochter in Chicago eröffnet. Was aus Naderers Sicht für den Schritt spricht: Der auf flexible, intuitive Roboterelemente spezialisierte Hersteller hat sich in der Automobilindustrie ein Standbein erarbeitet. "Und amerikanische Großkunden kaufen typischerweise nicht über zwischengeschaltete Agenten ein", sagt Naderer. Zusätzliche Standfläche dazuzunehmen kostete Naderer heuer deshalb nicht allzugroße Überwindung – das ist Teil der Linzer Wachstumsstrategie.

"Wahnsinnsveranstaltung"

Obama, Merkel, dazu die Brüsseler Spitzen um Jean-Claude Juncker und hochrangige Industrieprominenz: Sieben Jahre nach dem Konjunkturcrash schickt sich die Bombastveranstaltung in Hannover an, alle Rekorde zu brechen. Auch wenn sich die Deutsche Messe als Veranstalter Ende Februar noch ziert, genauere Prognosen abzugeben: Dass die Zahl der Aussteller (zuletzt 6.500) heuer steigt, gilt als ausgemacht. "Es fühlt sich an, als würde eine Wahnsinnsveranstaltung auf uns zukommen", gibt sich ein Mitarbeiter der Deutschen Messe denn auch reichlich zuversichtlich. Aufwärts soll es ebenso mit den Messebudgets gehen: Gegenüber dem Vorjahr stecken deutsche Aussteller rund fünf Prozent mehr in ihre Auftritte. Fast jeder dritte Aussteller gibt an, 2016 mehr zu investieren als im Vorjahr. Im Vorjahr haben die USA – dem günstigen Euro-Dollar-Kurs sei Dank – Frankreich als wichtigsten Exportpartner verdrängt. "Die harten Fakten sprechen dafür, dass die Messe deutschen und auch österreichischen Unternehmen satte Aufträge in die Bücher spült", meint ein Industrievorstand. Dabei bleibt die HMI ihren alten Stärken treu. "Die Hannover Messe ist kein Kinobesuch", meint Dirk Miller, Geschäftsbereichsleiter Marketing beim deutschen Schaltschrankhersteller Rittal. Es würden nicht jedesmal Innovationen, die die Welt verändern, präsentiert werden. Aber die Hannover Messe funktioniert als Geschäftsplattform. "Und für unsere Märkte haben wir immer spannende Themen dabei", so Miller.

Geschäftstüchtige Aussteller

Über die für sie relevantesten Zielgrößen – die Zahl der auf der Messe erfolgreich angebahnten Geschäftsabschlüsse – schweigen sich die großen Zugpferde der deutschen Fertigungsindustrie im Vorfeld der HMI naturgemäß aus. Die Wirkung der Hannover Messe lässt sich aber immerhin erahnen: So ist gerüchteweise von Unternehmen zu hören, deren Existenz allein durch die Listung ihres Namens auf der Hannover Messe-Webseite begründet scheint. Und die Besucher kommen in Scharen. Am Rittal-Stand wurden im Vorjahr mehr als 10.000 gezählt – ein Gutteil davon mit direkter Budgetverantwortung ausgestattet. Dass der deutsche Schaltschrankbauer heuer mit rund 200 Mitarbeitern – "vom Inhaber bis zum Auszubildenden" (O-Ton Miller) auf der Messe Präsenz zeigt, überrascht nicht. Die Zahl der geladenen Gäste aus dem Ausland, die Rittal nach Hannover lotst, schon eher: Heuer sind es 2.500. Eine Größenordnung, die dem Linz Center of Mechatronics (LCM) eher fremd ist. Trotzdem bilanziert Markus Dibold, Vertriebsprofi am LCM, für Hannover durchwegs positiv: "Der Werbewert ist immens", sagt Dibold. Der Kontakt zu einem Medizintechnikunternehmen auf der HMI im Vorjahr führte drei Monate später zu einem ganz konkreten Auftrag. Und auch Dibold schätzt das konjunkturelle Umfeld optimistisch ein: "Derzeit stimmt einfach alles."

Ein Präsident als Motivator

Ob das Thema TTIP, wie von der Politik verkündet, in Hannover an Fahrt aufnimmt (O-Ton aus Brüssel: "derzeit herrscht Funkstille"), bleibt abzuwarten – das Partnerland USA weckt unter den Ausstellern naheliegendere Hoffnungen. Rittal-Marketingspezialist Dirk Miller erinnert sich ans Vorjahr: "Als Modi kam, motivierte das unsere gesamte Rittal-Mannschaft in Indien". Und natürlich gab es auch über Investitionsprogramme Impulse. Dass mit den USA jetzt ein Riesenmarkt die industrielle Erneuerung sucht, können die europäischen Qualitätshersteller nur goutieren. Auch dort dreht sich derzeit nämlich fast alles um die intelligente Maschinenvernetzung. Dass Hersteller wie General Electric und Rockwell auf der HMI heuer eine noch größere Plattform erhalten, sieht man zumindest bei einem deutschen Lieferanten entspannt: „Das sind keine Mitbewerber, sondern unsere Kunden“. Andere sehen es sportlich: "Wettbewerb belebt", heißt es bei einem deutschen Industrieautomatisierer. Und nach außen hin denken die Firmen ohnehin längst nur mehr in der Kategorie Kundennutzen.

Vollgepackte Stände

Entsprechend groß ist das Portfolio, mit dem die großen Aussteller die Messe bestreiten. "Siemens hat alle wesentlichen Elemente im Portfolio, mit denen Kunden in zukunftsfähige Lösungen für die schrittweise Realisierung von Industrie 4.0 investieren können", sagt so etwa Kurt Hofstädter, Leiter der Division Digitale Fabrik bei Siemens CEE. Vieles davon ist auf der HMI zu sehen, streicht Hofstädter hervor: "Ein Besuch am Siemens-Stand kann wichtige Impulse geben", sagt er. Vom Ruf einer Bauchladenmesse konnte sich die HMI – sie vereint heuer fünf Leitmessen von der industriellen Automatisierung bis zur digitalen Fabrik – nie ganz befreien. Heute ist man froh darüber: Erst durch die branchenübergreifende – und technologieoffene – Sicht lassen sich Konzepte wie Industrie 4.0 vorantreiben. Und der HMI fiel darin natürlich eine Schlüsselrolle zu: Unermüdlich trommelte die Messe für das Thema. Anderswo lässt sich eine so bunte Nationenvielfalt nicht finden. "Im April kommen in Hannover die Treiber aus aller Welt zusammen", freut sich deshalb Jochen Köckler, Vorstand der Deutschen Messe. Darunter: Die Deutschen mit Kernkompetenz im Maschinenbau und der Elektrotechnik, US-Softwarespezialisten, "und Unternehmen aus Asien, die ihrerseits einen eigenen Zugang zur Vernetzung haben", so Köckler. Das Ergebnis wird sich sehen lassen können: 100 auf den Boden der Realität gebrachte Anwendungsbeispiele verspricht die Messeleitung.

Schauwert

Überhaupt dürfte es die Messeleitung heuer mehr auf äußere Dramatik anlegen: "Die Digitalisierung wird nicht nur auf Bildschirmen erlebbar sein", heißt es beim Veranstalter. Auf einer Demoebene wird erstmals das Energiesystem der Zukunft zu sehen sein – als interaktives Modell. Und der deutsche Antriebsspezialist SEW-Eurodrive macht auf einer vollständigen Getriebestraße Industrie 4.0 erlebbar. Der Klemmenhersteller Weidmüller schindete mit einer selbstkorrigierenden Stanz-Biegemaschine schon vor Jahren Eindruck. Zur HMI resümieren die Deutschen positiv: "Wir haben nun auch Fortschritte im Bereich Big Data und Analytics erzielt", schildert Michael Matthesius, der Maschinenbauspezialist im Hause. Entsprechend proaktiv wird die Ansprache des Kunden sein: "Wir haben konkrete Lösungen – etwa beim Thema vorausschauende Wartung", sagt er.

Dass die hohe Politik in Hannover stets auch eine erkleckliche Zahl Wirtschaftsdelegierter zusammentrommelt, die sich nicht zu gut dafür sind, die Ausstellerstände abzuklappern, imponiert auch einem Marketingprofi einer österreichischen Automatisierertochter. Hierzulande nehme er – Stichwort smart – derartige Bemühungen kaum wahr.

Es ist ein doppeltes Jubiläum, das die Amerikaner dem Vorstand der Deutschen Messe heuer bescheren: Siebzig Jahre gibt es die Hannover Messe schon – heuer sind zum ersten Mal die USA das Partnerland der Veranstaltung. Mehr als 200 US-Aussteller strömen nach Hannover. Unter das Brennglas der Weltöffentlichkeit rückt die heurige HMI aber schon am Sonntag, wenn ein US-Präsident erstmals die heiligen Messehallen betritt: Obama eröffnet dann die Weltleitmesse der Industrie mit Kanzlerin Merkel. Die Erwartungshaltung ist nicht nur bei den rund 200 Ausstellern aus der Neuen Welt groß. Reihum zieht es europäische Firmen mit eigenen Vertriebspräsenzen in die Staaten. Den Linzer Roboterhersteller FerRobotics zuletzt etwa nach Chicago.

Welche US-Unternehmen kommen?

Mehr als 200 Mitglieder sind in der US-Delegation auf der HMI vertreten. Vor allem Energiefirmen zieht es nach Hannover. Hier der Verteilungsschlüssel:

Digitale Fabrik: 21

Energie: 58

Industrielle Automation: 41

Industrielle Zulieferer: 41

F&E: 10

Investment: 34

Österreichische Amerika-Eroberer

Im Vorjahr eröffnete der Textilmaschinenbauer Starlinger eine Vertriebsniederlassung in

Greenville, South Carolina. Mittelfristig könnte das US-Geschäft gar ein Viertel des Gesamtumsatzes des Unternehmens ausmachen, sagt Starlinger-Chefin Angelika Huemer.

Weil mit der USA-Automobilindustrie ein riesiger Markt lockt, ist der Linzer Roboterhersteller FerRobotics seit wenigen Wochen mit einer Niederlassung in Chicago, Illinois, präsent. Geschäftsführer Ronald Naderer weiß: Der direkte Kontakt zum Kunden ist mitentscheidend.

Mit der Niederlassung in Puebla hat der Sondermaschinenbauer Fill nicht nur beste Connections zu den mexikanischen Automobilwerken. Der Standort bietet sich auch an, den nordamerikanischen Markt zu bearbeiten. "Viel Potenzial" sieht Geschäftsführer Andreas Fill.

Weltproduktion 1.0

Der Mann hat eine Vision, die sich heuer in den Hallen der Hannover Messe materialisieren könnte: Das weltweite Knowhow zu Industrie 4.0 gehört gebündelt, und welcher Ort wäre dafür naheliegender als die HMI, fragt sich Jochen Köckler, Vorstand der Deutschen Messe völlig zurecht. Und in der Tat sieht es 2016 wirklich nach einer inhaltlichen Öffnung in alle Richtungen aus – nicht nur fachlich-didaktisch, sondern auch geografisch. US-Präsident Obama wird nicht nur für Investitionen in den USA werben, sondern die Nation auch als wichtigen Anbieter von Industrie-4.0-Technologien positionieren. Freilich ohne sich abzuschotten: Das in den USA gegründete und mit einigem Renommee ausgestattete Konsortium für Industrielles Internet (IIC) wird mit einer Sonderfläche vertreten sein.

TTIP

Die deutschen (und auch österreichischen) Industrieverbände wären ja längst von der guten Sache überzeugt. Trotzdem spießt es sich noch ganz gewaltig in den Verhandlungen zum geplanten US-europäischen Freihandelsabkommen TTIP. Zuletzt sprachen Brüsseler Lobbyisten überhaupt von "Funkstille", die zu dem Thema ausgebrochen sei. Immerhin: Hannover biete die perfekte Bühne, um transparent für TTIP Flagge zu zeigen, gab ein Deutsche-Messe-Vorstand unlängst zu Protokoll. Zumindest am gemeinsamen Bekenntnis zu TTIP wird es in Hannover also nicht mangeln.

Seit 70 Jahren treibt die Hannover Messe die Industrie voran. Ist der technologische Zenit nicht bald erreicht?

Emerson Wenn man sich die Entwicklung der Hannover Messe ansieht, die 1947, nur zwei Monate nach Bekanntgabe des Marshallplans, ins Leben gerufen wurde, wird klar: Gemeinsam haben wir schon viel erreicht. Aber es gibt noch sehr viel mehr zu tun. Jetzt ist es an der Zeit, unsere Anstrengungen für langfristiges Wirtschaftswachstum bis weit ins 21. Jahrhundert hinein zu verdoppeln oder sogar zu verdreifachen.

Orten Sie beim Punkt Innovation Unterschiede zwischen Amerikanern und Europäern?

Emerson In den Vereinigten Staaten sagen wir gerne, dass Innovationen nicht in unserem Interesse sind, sondern uns sozusagen im Blut liegen. Durch offene Plattformen und Systeme, die Innovatoren anziehen und risikobereiten Akteuren den Rücken stärken, schaffen wir Startups, die zu Legenden werden. Aber wir sollten nicht vergessen, wie viele große und mittelständische Unternehmen als Startups angefangen haben. Innovation liegt auch den Europäern im Blut.

Trotzdem ist der Wettbewerb intensiv …

Emerson Es heißt, dass im 21. Jahrhundert diejenigen die größte wirtschaftliche Macht haben werden, die klug genug sind, sie mit den wichtigsten Partnern zu teilen. Wirtschaftspolitik ist Außenpolitik und Außenpolitik Wirtschaftspolitik.

Auf das Freihandelsabkommen TTIP wartet die Industrie bislang aber vergeblich.

Emerson Noch immer stehen unnötige Handels- und Investitionsschranken wie Zölle, Bürokratie, zeitliche Verzögerungen und Unsicherheiten bezüglich der Anforderungen an Produkte zwischen Tausenden global vertretenen Ausstellern der Hannover Messe und ihren Kunden. Diese Schranken abzubauen ist sinnvoll.