Automobilindustrie : "Graz ist als Standort zu fragil"

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Herr Demel, Sie waren einst bei Audi Leiter der Motoren- und Antriebsentwicklung, später Technikvorstand. Sie haben den TDI mitentwickelt und den Direkteinspritzer im damals neuen A4 eingeführt. Hat Sie die Existenz einer VW-Spezialsoftware zur Emissionsmessung überrascht?

Ich bin von den Geschehnissen und den handelnden Personen zu weit weg, um dazu einen kompetenten Kommentar abzugeben. Es gibt viele substanzlose Geschichten. Da brauchen wir nicht noch eine weitere produzieren.

Sie kennen die handelnden Personen. Sie können doch beurteilen: Ist die Verwendung einer derartigen Verschleierungs-Software nach Ihrer Einschätzung eine falsche Interpretation bestehender Regeln oder bestand von vornherein Betrugsabsicht?

Ich weiß zu wenig. Derartige Diskussionen über Konzernmethoden gibt es nicht zum ersten Mal. Es gab Siemens, es gab Daimler, es gab Thyssen-Krupp, die mit eigenen Praktiken konfrontiert wurden, die bis vor 20 Jahren noch von der Steuer abgesetzt werden konnten. Moralische Bilder verändern sich. Ob es da von Anfang an kriminelle Energien gab oder die handelnden Personen glaubten, noch im Rahmen bestehender Regeln zu agieren – ich weiß es nicht. Wer zu wenig weiß, hält besser die Schnauze.

VW muss mit Strafen in Milliardenhöhe und mit Absatzeinbußen rechnen. Sehen Sie den VW-Konzern in seiner Existenz bedroht?

Es scheint zu den Aufgaben des Mediengeschäftes zu gehören, Konsequenzen ausschließlich in ‚worst case Szenarien“ zu malen. Die spätere Realität ist dann meistens nicht so schrecklich. Ich bin aber sicher, dass die Auswirkungen nicht so weitreichend sind wie dies derzeit befürchtet wird. Es wird ja sehr viel von Kulturveränderung geredet. Was im Fall von VW sicher nicht schlecht wäre.

Wurde VW zu autoritär geführt?

Das demokratisch geführte Unternehmen würde nicht funktionieren. Und ich glaube, Kulturänderungen dauernd immer lang. Die Entscheidung für oder gegen einen CEO ist auch eine Entscheidung für einen Führungsstil.

Ist Matthias Müller eine andere Führungsfigur als sein Vorgänger Martin Winterkorn?

Ja sicher. Aber muss er ein Anti-Winterkorn sein? Das glaube ich nicht. Er muss ins Unternehmen passen. Und er muss das Vertrauen von Eigentümern und Aufsichtsgremien erhalten, die Krise zu meistern.

Sie haben selbst Ihre Erfahrungen mit Ferdinand Piech gesammelt. Hat es Sie überrascht, als Piech im Streit mit Martin Winterkorn den Kürzeren zog?

Ich sage, dass dies viele überrascht hat. Ihn wahrscheinlich auch. Aber das Muster, das sich öfter wiederholt hat, hat halt dieses Mal nicht funktioniert. So ist das Leben.

Sie sind gebürtiger Wiener, leben in München, haben den Großteil Ihrer Karriere im Ausland verbracht. Aus der Ferne betrachtet: Finden Sie auch, dass der Standort „abgesandelt“ ist?

Ich kann den automotiven Teil der österreichischen Industrie beurteilen. BMW Steyr, GM Powertrain in Aspern, die Magna-Werke, Miba, KTM und all die anderen mittleren und kleinen Unternehmen sind erfolgreich und weltweit aktiv. Österreich verfügt am automobilen Sektor über eine positive Handelsbilanz. Es werden mehr Zulieferteile ausgeführt wie wertmäßig fertige Autos eingeführt werden. Gibt es ein besseres Zeichen für die Wettbewerbsfähigkeit als eine positive Handelsbilanz? Bei rund 300.000 Neuzulassungen ist dies eine respektable Leistung.

Haben Sie den Eindruck, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Österreich in den letzten vier, fünf Jahren sich verändert hat?

Von außen betrachtet sage ich nein. Dabei profitieren wir freilich von einem anderen Phänomen, auf das wir aufpassen müssen. Wir haben im letzten Jahr – ohne einen Finger zu rühren – im Export an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen – und zwar simpel und einfach durch die Euroabwertung. Da ist plötzlich ein 1,40er Euro in einen 1,12er zum Dollar übergegangen. Wir erlebten eine virtuelle Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, ohne dass die Unternehmen etwas dazu beigetragen haben. Dies gaukelt eine Situation vor, die – wenn die Währungseffekte verpufft sind – für manche eine harte Landung mit sich bringt. Es ist berechtigt, sich die Frage zu stellen: Bin ich jetzt so gut, weil der Rückenwind gerade bläst oder bin ich in meiner Substanz so stark?

Sind wir zu sehr mit Nabelschau beschäftigt?

Die, die raunzen, sind ja nicht immer die Blöden. Durch Jammern kann man ja andeuten: Eigentlich könnte es mir noch besser gehen. Aber tatsächlich darf die Innenschau nicht zur einzigen Perspektive werden. Die Offenheit und das Draufgängertum, das einem in den USA oder jetzt auch in Asien begegnet - Anything goes, und wenn nicht, probieren wir was anderes – diese Haltung ist den Europäern zunehmend abhanden gekommen.

Wie unterscheidet sich Unternehmensführung in Wien, Ingolstadt, Sao Paulo oder Turin?

Es geht um die gleichen Grundsätze, die man stets in Facetten anpassen muss. Aber es gibt Da spürbare Verschiedenheiten. Und jetzt sage ich Ihnen: Wir Österreicher sind für diese Form der Internationalität ausgesprochen gut geeignet. Österreicher sind nicht wichtig und sie nehmen sich auch nicht so wichtig. Und dadurch sind sie kulturell beweglicher und werden leichter akzeptiert. Eine Direktive eines Österreichers wird nur selten als Gängelung empfunden. Deutsche haben es hier schwerer. Sie werden oft oberlehrerhaft empfunden – im globalen Umfeld ein Nachteil.

Wie äußerte sich dies in ihrer Zeit als Chef der Autosparte von Fiat in Turin?

In Turin kam zu menschlichen Konstellationen, die nicht funktionieren konnten. Ich bin eher ein Marathongeher, der stetig und nachhaltig Dinge ansteuert. Aktionismus und Spontanreaktionen mag ich nicht. Und daneben gab es Sergio Marchionne (CEO der Fiat-Holding;Red). Der war so anders, dass man nebeneinander schlecht existieren konnte. Wir haben die Situation aber auch vernünftig geregelt. Heute können wir locker miteinander reden. Manchmal muss man anerkennen, dass eine Konstellation nicht funktioniert.

Waren die Differenzen mit Marchionne, die nach nur 15 Monaten zu Ihrem Abgang führten, die größte Herausforderung bei der geplanten Sanierung der Fiat-Autosparte?

Ich habe festgestellt, dass die Turiner Welt enorm leidensfähig und hierarchieorientiert war. Fast militärisch - mit einem Hang zur Unterordnung und Gehorsampflicht. Das ist in keinem internationalen Konzern und in keinem Unternehmen gut.

Sie sind danach wieder zu Magna zurückgekehrt – und hätten, mitten in der Finanzkrise 2009 um ein Haar eine Übernahme von Opel in den Magna Konzern geschafft. Mittlerweile hat Siegfried Wolf den Konzern verlassen, auch Frank Stronach den operativen Einfluss aufgegeben. Wie sehr hat sich der Konzern dadurch verändert?

Stark. Wir hatten mit Irrungen und Wirrungen zu kämpfen, um auf dem Weg vom börsennotierten Familienunternehmen zum wirklich börsennotierten Konzern voranzukommen. Durch die spezielle A- und B-Share-Konstellation hat Frank Stronach ja die Möglichkeit gegeben, das börsennotierte Unternehmen über seine Stimmrechte wie ein Familienunternehmen zu führen. Das hat das Unternehmen natürlich geprägt. Jetzt ist Frank hinausgekauft und Magna bewegt sich in Richtung börsennotiertes Verhalten. Hat sich das Unternehmen zum Negativen verändert? Nein, überhaupt nicht. Wer sich die vergangenen 18 Monate von Magna anschaut, wird zugeben müssen, dass es da nicht viel zu jammern gibt.

Zu Ihrem Verantwortungsbereich gehörte auch Magna Steyr mit dem Werk in Graz. Graz fertigt ganze Autos im Auftrag Dritter. Ist diese Art der Dienstleistung für Autokonzerne ein zukunftsfähiges Konzept?

Die Wahrscheinlichkeit, dass Autos einer Marke zukünftig nur in werkseigenen Fabriken gebaut werden, liegt bei Null. Da gibt es das Konzept, dass Konzerne zusammenarbeiten und gemeinsam ein Modell produzieren. Mercedes und Nissan proben dies bei Smart und Twingo. Im Nutzfahrzeug-Bereich machen dies PSA und Fiat. Es gibt noch andere Beispiele dafür. Der nächste Ansatz ist, dieses Auto bei einem neutralen Drittanbieter zu fertigen, nicht bei einem Mitbewerber. Ich behaupte, dass die Drittanbieter in allen Szenarien die besseren Karten haben.

Wie weit ist die Branche in dieser Entwicklung?

Außerhalb Deutschlands wird dieser Trend früher und stärker kommen. Im Autoland Deutschland wird man dann nachziehen.

Derzeit ist die Fertigungsvergabe ganzer Modellserien unter Hinweis auf Eigenauslastung und Kernkompetenz auf den Nischenbereich beschränkt. Bleibt dies so?

Das wird auch im Volumenssegment rasant zunehmen. Ich vertrete die These, dass die Eitelkeit auf der OEM-Seite deutlich höher ist als die auf der Zuliefererseite. Dadurch werden Geschäftsbeziehungen weniger berechenbar. Das heißt, wenn heute Herr Dieter Zetsche (Chef von Daimler; Red) und Herr Carlos Ghosn (Chef von Renault-Nissan, Red) gut miteinander können, funktioniert eine Kooperation, wie es sie bei Smart und Twingo gibt. Für deren Nachfolger steht dies aber noch längst nicht fest. In der Forschungs- und Produktionsbeziehung zu einem neutralen Drittanbieter spielen derartige persönliche Einflüsse so gut wie keine Rolle. Was baut Apple eigentlich selbst? Gar nichts. Die lagern Produktion und Fertigung zur Gänze aus. Wer sagt, dass dieses Konzept im Autobau nicht funktioniert.

Magna Steyr ist unter den aktuellen Fremdfertigern der mit Abstand größte Player. Welchen Stellenwert kann Magna Steyr mit dem Standort Graz in Zukunft haben?

Magna Steyr kann nur die Mutter von ähnlichen Kindern sein. Graz alleine ist als Standort zu klein.

Als Größter jetzt schon zu klein?

Es geht im Wesentlichen um die Flexibilität für Wachstums- und Schrumpfungsprozesse. Wenn Sie heute nach Ägypten gehen, finden Sie zehn, fünfzehn Automobilhersteller, die dort in eigenen Fabriken Autos in CKD-Bausweise fertigen. Die zusammenzufassen, das wäre ein Segen für alle Beteiligten. Denn damit habe ich ein anderes Risikoportfolio, sowohl als Zulieferer, als auch als Automobilhersteller. Graz ist auf Dauer für diese Up and Downs zu fragil.

1984 Entwicklungschef Getriebesteuerung, Robert Bosch AG

Verantwortlich für die Entwicklung des ersten Antiblockiersystems

1990 Chef der Audi-Motorenentwicklung

Unter seiner Führung wurden die Mittelklasse-Modelle A3 und A4 eingeführt.

1994 Sprecher des Audi-Vorstandes

1997 CEO bei VW do Brasil

Von VW-Chef Ferdinand Piëch persönlich zur Sanierung der VW do Brasil berufen.

2001 Piech-Nachfolge

Als Nachfolgekandidat für Piech zog Demel beim VW-Aufsichtsrat den Kürzeren. Piech präferierte Pieschetsrieder, den er nur wenig später wieder feuerte.

2002 Europa-Chef von Magna Steyr

2003 CEO der Fiat-Autosparte

Als erster Nicht-Italiener an der Spitze der Fiat-Gruppe sollte er die Auto-Sparte sanieren. Ein Zerwürfnis mit Chef Marchionne kam dem zuvor.

2005 Vorstandsvorsitzender der Magna Powertrain AG

2009 designierter Chef bei Magna-Übernahme von Opel

2010 President Magna China, India, South/East Asia, South America

2013 Rückzug bei Magna

2014 COO und CEO bei M+W-Group

M+W Group-Eigner Georg Stumpf holt Demel aus dem Ruhestand zurück.

M+W Group GmbH mit Hauptsitz in Stuttgart ist Anbieter im High-Tech Anlagenbau. Die M+W Group baut für Kunden aus Branchen wie der Elektronik, der Chemie- oder Pharmaindustrie Anlagen jeder Größe. Das Spektrum reicht von der Halbleiterfabrik bis zum Nanotech-Forschungszentrum. In Österreich ist die M+W Group hauptsächlich im Segment Life Sciences & Chemicals tätig. Sie hat 34 feste Mitarbeiter, die Anlagenbauprojekte für Kunden wie Bird-C (Wien), Ever Neuro Pharma (Unterach), Hermes Pharma (Wolfsberg) oder Richter Pharma (Wels) durchführen.