Interview : "Etwas mehr Mut wäre kein Fehler"

Franz Schwammenhöfer Logistikbeauftragter im Verkehrsministerium bmvit
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Die langwierige Standortsuche der österreichischen Post hat gezeigt, wie schwierig es mittlerweile ist, in der Nähe von Ballungszentren eine geeignete Fläche für ein Logistikzentrum zu finden. Hat das Modell „Grüne Wiese“ ausgedient?

Franz Schwammenhöfer Dazu muss man sich die Chronologie der letzten Jahrzehnte ansehen. In den 80er, 90er Jahren wollte man die Logistikzentren aus der Stadt haben. Der Platz wurde für Wohnbauprojekte und Büroflächen gebraucht. Den Unternehmen selbst kam das oft nicht ungelegen. Man verkaufte die innerstädtische Liegenschaft und reinvestierte den Erlös an der Peripherie in Fläche und Gebäude, was im Idealfall auch steuerliche Vorteile brachte. Viele mussten freilich auch deshalb übersiedeln, weil sie wachstumsbedingt einfach mehr Platz brauchten oder – und das muss man klar sagen - weil ihnen signalisiert worden war, in einer “modernen“ Stadt nicht mehr erwünscht zu sein. Die erhöhte die verkehrliche Inanspruchnahme der Infrastruktur in diesen drei Dezennien führte natürlich auch zu einem Rückgang an Planbarkeit und Effizienz der Logistik, z.B. durch Überlastungsstaus, länger dauernde Touren und Umläufe. Nachtbelieferungsverbote, also die Bündelung der Verkehre auf vergleichsweise wenige Stunden am Tag verschärfen die Situation natürlich. Und so stehen dann alle um sieben Uhr in der Früh gemeinsam im Stau, die Einpendler, die Transporteure und die Dienstleister. Natürlich gibt es mittlerweile so etwas wie ein Umdenken. Die Bereitschaft, Verteilerzentren „zentraler“ anzusiedeln, ist da. Nur fehlen jetzt oft die geeigneten Liegenschaften im urbanen Bereich bzw. sind die Kosten für diese dort enorm.

Das heißt: Es scheitert an den verfügbaren Flächen?

Schwammenhöfer In der österreichischen Raumordnung gibt es keine Logistikfläche. Der Fokus wird hier auf Gewerbe- und Industrieflächen gelegt. Nur: eine Logistikfläche ist keine Gewerbefläche im konventionellen Sinn. Sie ist in der Regel ein signifikant höherer Verkehrserzeuger, es gibt ausgedehntere Betriebszeiten, oder zumindest den Wunsch danach, etc.. Wir starten aus diesen Gründen derzeit ein Pilotprojekt, in dem es genau um diese Problematiken geht. In einem ersten Schritt wird ein Kriterienkatalog ausgearbeitet. Das geschieht auf Basis von sehr guten Vorarbeiten, die wir teilweise von unseren westlichen Nachbarn übernehmen dürfen und an österreichische Verhältnisse anpassen. In einem nächsten Schritt suchen wir uns dann Verbündete in den Ländern und Kommunen, die bereit sind, mit uns eine Art Logistik-Kataster zu erarbeiten. Das alles basiert klar auf freiwilliger Basis, der Bund hat hier keine weitergehende Gestaltungs-kompetenz.

Und wo gedenkt man fündig zu werden?

Schwammenhöfer Es geht primär darum, einfach einmal ein Bild zu zeichnen: Eines mit Logistikflächen drauf. Interessant sind Flächen ab 10.000 Quadratmeter Fläche. Der Fokus liegt dabei eindeutig auf dem urbanen Raum. Solche Flächen auf der Grünen Wiese ausfindig zu machen ist einfach, erzeugt im Regelfall die geringsten Widerstände und bringt aber gleichzeitig gestalterisch nicht all zu viel, zumindest dann, wenn es um die Themen Zersiedelung, Neuversiegelung, etc. geht.

Warum gehen Logistikzentren eigentlich fast immer in die Fläche? Warum nicht in die Höhe?

Schwammenhöfer Grundsätzlich: So richtig Geld verdienen im Regelfall die, die ihre Prozesse und Prozesskosten im Griff haben und denen die Fixkostendegression am besten gelingt, was wenig verwunderlich ist. Die großen Internet- und Onlinehändler leben es vor: Unter 200.000 Quadratmeter gehen die im Regelfall in keine Liegenschaft. Würde man mit solchen Logistikzentren in die Höhe gehen, würde das enormen Invest und entsprechenden Mehraufwand an Energie bedeuten. Solange Flächen verfügbar sind, wird das so bleiben.

Im asiatischen Raum hat man keinerlei Berührungsängste mit mehrstöckigen Verteilerzentren ...

Schwammenhöfer Überall, wo Fläche Luxus ist, hat man kein Problem damit. Weil es dort einfach nicht anders zu lösen ist. In Europa sind wird noch nicht so weit, uns darüber – in asiatischen Maßstäben gesprochen - Gedanken machen zu müssen.

Das heißt, so lange den reichen Industrienationen nicht die Fläche ausgeht, wird sich nichts ändern?

Schwammenhöfer Andere Kontinente machen es vor, sind deutlich experimenteller orientiert, gehen gezielt in großtechnische Erprobungen. Es wird dort aber auch viel mit der Gestaltung der Rahmenbedingungen gearbeitet, Fahrteneinschränkungen etwa, vor allem einmal mehr im asiatischen Raum. Dort funktioniert das auch sehr dirigistisch. Da wird nicht lange drüber diskutiert, da wird gemacht. In Westeuropa ist eine derartige Handhabe eher nicht möglich. Aber etwas mehr Mut wäre, wie gesagt, kein Fehler.

Wohin könnte die Reise gehen?

Schwammenhöfer Das müssen keine epochalen Paradigmenwechsel sein: Derzeit scheitert die Nachtbelieferung daran, dass Fahrzeuge, Umschlagsmittel oder Rollgebinde in der Nacht als unerwünschter Lärmerreger gesehen werden, weshalb der Anrainerschutz greift. Genauso könnte man aber auch hergehen und sagen: Ok, ihr dürft auch in der Nacht liefern. Dann aber ausschließlich mit batterieelektrischen Fahrzeugen, lärmarmen Umschlagmitteln bzw. Rollgebinden und speziell für Nachteinsätze geschultes Personal. Ein weiterer Fortschritt wäre auch ein effizientes Ladezonenmanagement. Wer einen 26-Tonner durch die Stadt bewegen kann, der kann auch eine App bedienen, und sich seine Ladezonen reservieren. Das würde die Transportlogistik für Unternehmer plan- und gestaltbarer machen. Natürlich muss das Hand-in-Hand gehen mit einer Null-Toleranz-Politik in den Ladezonen. Feldversuche dazu hat es in Österreich schon vor 15 Jahren gegeben. Der Sprung in die Umsetzung ist mit flächigen Ansätzen nie gelungen.

Weniger Flächenverbrauch kommt da jetzt in Ihren Überlegungen aber nicht vor ...

Schwammenhöfer Es gibt ja bereits gute Ansätze einer kombinierten Nutzung, also zum Beispiel: Unten Logistik, oben Wohnen oder Arbeiten. Da könnte freilich wesentlich mehr geschehen: Etwa, dass man bereits bei der Planung und Errichtung von Gebäuden Nachnutzungskonzepte mitdenkt. Also Gebäude heute schon so flexibel gestaltet, dass sie in 15 bis 20 Jahren ohne viel Aufwand adaptierbar sind. Das Problem für den Logistikbereich: Die Logistik-Immobilie schlechthin gibt es nicht.

Apropos experimentierfreudig: Die Logistikbranche starrt derzeit wie gebannt in Richtung Cargo Sous Terrain, ein vollautomatisiertes, unterirdisches Lager und Schienennetz quer durch die Schweiz, das derzeit geplant wird ...

Schwammenhöfer Der Schweizer Ansatz dazu ist klar und auch recht bestechend: Es geht um eine Pilotanlage, welche hilft, die systemischen und technologischen Ansätze des Baues aber auch des Betriebes diese Anlagen weiterzuentwickeln und die Erfahrungen daraus am Markt, und zwar im Regelfall wohl außerhalb Europas, anzubieten. Aus derzeitiger Sicht gibt es neben den systemisch-technischen Fragen aber noch ein paar weitere wichtige Punkte. Unklar ist: Wie schauen die Geschäftsmodelle aus? Wie hoch sind die Betriebskosten? Gibt es die erforderlichen Zahlungsbereitschaften der Märkte usw. usf.. Was natürlich spannend ist: In diesem Pilotprojekt wird die technische Machbarkeit eines Gesamtlogistiksystems ausgetestet. Österreich wird so etwas wie Cargo Sous Terrain so schnell nicht erleben. Weite Teile Europas sind derzeit noch nicht so weit, in den Untergrund zu gehen.

Ich fasse zusammen: Rauf, also in die Höhe, will man nicht. Runter, also in die Tiefe, will man auch nicht. Was bleibt da noch übrig? Tieffliegende Drohnen?

Schwammenhöfer (lacht)

Die Schiene?

Schwammenhöfer Gerade in Bezug auf die Eingangsthematik urbane Logistik muss gesagt werden, dass uns der Schienenverkehr in Ballungszentren, respektive in Bezug auf innerstädtische Transportlogistik im Stückgutbereich nicht wirklich viel bringt. Es gibt zwar Beispiele, wo KEP-Dienste den Hauptlauf auf der Schiene disponieren, der endet in der Regel aber nicht in der Stadt.

Wie wäre es mit dem Straßenbahnschienennetz?

Schwammenhöfer Wien hatte um 2005 herum für kurze Zeit eine „GüterBim“. Das Projekt ist ein paar Jahre später sanft entschlafen. Im urbanen Schienenverkehr ist die Nacht die Zeit der Instandhaltungs- und Reparatur-arbeiten, die Lärmproblematik hatten wir schon, zudem fehlte es an Infrastruktur und Personal, das die Feinverteilung der Güter betrifft. Rein technisch ist das, so lange ich Punkt-Punkt-Verkehr fahre, natürlich gut möglich. Ich schicke eine GüterBim in der Taktung der Straßenbahn hinterher. Nur: Wie viele Industrie-unternehmen gibt es in Wien entlang von Straßenbahnlinien, welche bahnaffin sind und keinen eigenen Vollbahnanschluss haben?

Der Wasserweg? Wien liegt ja an der Donau ...

Schwammenhöfer Nein, die Bundeshauptstadt liegt, was die die Quellen und Senken signifikanter Gütermengen betrifft, leider nicht an der Donau. Das soll nicht mit der wichtigen Funktion des Hafens Wiens als moderner und leistungsfähiger Knoten in land- und wassergebundenen Güterverkehren verwechselt werden. Wien ist nicht Amsterdam und die Donau ist wenig geeignet um den großstädtischen Gütertransport in der Feinverteilung signifikant unterstützen zu können. Es gab Versuche von Baustellenlogistik am Wasser, also Materialanlieferungen im Bereich Donaukanal. Dem war aber meines Wissens ein ähnliches Schicksal beschieden die der „GüterBim“ ...

Recht viel bleibt uns jetzt nicht mehr. U-Bahn?

Schwammenhöfer Die U-Bahn wäre an sich geeignet für Gütertransporte, weil man damit vergleichsweise große Mengen bewältigen könnte. Der Ur-Ahn der Cargo Sous Terrain, wenn Sie so wollen. Aber die U-Bahn ist ein Massenverkehrsmittel des Personenverkehrs, eben mit entsprechender Taktung. Bei Zwei bis Drei-Minuten-Intervallen wird es schwierig, da Gütertransporte unterzubringen. Zudem bräuchte man Umschlagsbereiche. Es gab sogar schon Überlegungen in diese Richtung, entsprechende Pläne wurden allerdings immer wieder verworfen. Zumal sich bei weitem nicht alle Linien eignen würde, z.B. aus statischen Gründen, Brandlasten, etc..

Und auch Seilbahnen, falls das Ihre nächste Frage sein sollte, lösen großstädtische Transportprobleme nicht wirklich. Wir haben erneut das Thema Punkt-Punkt-Verkehr, Cargo in der Stadt ist aber in der Regel kein Punkt-Punkt-Verkehr. Hub-Hub Verkehre sind denkbar, aber eine Frage des Aufwandes, des Stadtbildes, des Geschäftsmodelles, etc.

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Die einen bezeichnen es als innovatives Jahrhundertprojekt, die anderen als utopische Spinnerei. Cargo Sous Terrain (CST, „Fracht unter der Erde“), eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Basel, ist angetreten, um die Logistik zu revolutionieren.

Cargo Sous Terrain will in den kommenden Jahrzehnten ein Gesamtlogistiksystem errichten, das den Transport günstiger und die Umwelt entlasten soll.

Geplant ist ein unterirdisches, vollautomatisiertes Tunnelsystem , in dem künftig beträchtliche Teile des Güterverkehrs, inklusive Citylogistik, abgewickelt werden sollen. Im Endausbau soll sich das „bewegliche Lagerhaus unter dem Boden“, wie es die Initiatoren nennen, von St. Gallen bis Genf, bzw. Basel bis Luzern erstrecken. Die beeindruckenden Eckdaten: 450 Kilometer Länge in bis zu 50 Meter Tiefe, sechs Meter Durchmesser, Kostenpunkt 33 Milliarden Schweizer Franken. Ab 2045 sollen Millionen Tonnen Güter, vom Lippenstift über die Tiefkühlpizza bis hin zum Rasenmäher, unterirdisch befördert werden. 2023 will man mit dem Bau beginnen. Das erste Teilstück soll Härkingen-Niederbipp mit Zürich verbinden und bereits 2030 fertiggestellt sein.

Der Tunnel wird dreispurig ausgeführt, mit einer Fahrspur je Fahrtrichtung und einer zentralen Servicespur für Zwischenlagerung, bzw. als Ausweichschienen. Im Tunnel werden vollautomatisierte Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb auf Induktionsschienen verkehren, die Durchschnittsgeschwindigkeit soll 30 km/h betragen. Darüber hinaus ist am Plafond eine ebenfalls unbemannte, dreispurige Hängebahn vorgesehen, mit der kleinere Güter mit 60 km/h befördert werden können. Via Hubs, teilweise in bestehenden Logistikzentren angesiedelt, werden die Güter per Lift in das System eingespeist, bzw. dem System entnommen. Die gesamte Finanzierung soll durch die Privatwirtschaft erfolgen. Zu den Hauptaktionären der CST zählen die Post, Swisscom, SBB Cargo, Coop und Migros, sowie der Berner Energiekonzern BKW und der Versicherer Mobiliar. Im Aufsichtsrat sitzen u.a. SAP und Hyperloop One.

Im Jänner dieses Jahres erreichte CST ihr erstes Etappenziel. Es gelang ihr die vom Schweizer Bundesrat geforderten 100 Millionen Schweizer Franken aus privaten Investitionszusagen zu lukrieren. Das Parlament wird jetzt ein entsprechendes Rahmengesetz auf den Weg bringen, das den Bau von Cargo Sous Terrain rechtlich ermöglicht.