KVP-Reportage : Eisenwerk Sulzau-Werfen - kein Wattebällchen-Werk

Eisenwerk Sulzau
© Waldner

Frank Schröders Finger gleitet über einen Werkzeugkasten. Was er sieht, gefällt Schröder gar nicht. „Hier sollte wieder einmal sauber gemacht werden“, sagt der Werkleiter des Eisenwerks Sulzau-Werfen und pustet etwas Staub von seinem Finger. Doch eigentlich weiß er es besser: Halb so schlimm, das bisschen Staub. Schließlich ist man in einer Gießerei und „nicht in einer Lebensmittelproduktion“, sagt der 51-Jährige im Manager-Dresscode. Es ist Schröders fünftes Jahr in der Tennecker Walzengießerei, die als 260-Mann-Betrieb einer der großen Arbeitgeber im Pongau ist. Für überwiegend ausländische Kundschaft (Exportanteil 98 Prozent) produzierten die Salzburger zuletzt rund 20.000 Tonnen Warmbandwalzen bis anderthalb Meter Durchmesser pro Jahr – und brachen dabei mit einem alten Klischee: Dem des unbändigen Lärms und extremen Schmutzaufkommens in der Schwerindustrie. Ein Bild, das sich wacker hält – doch der Betrieb, seit über hundert Jahren in der Hand der Familie Weinberger, lieferte schon vor mehr als einem Jahrzehnt Gründe, um daran ernsthaft zu zweifeln: Um dem Kostendruck standzuhalten, startete der Betrieb 2001 mit der Optimierung seines Werks nach den Prinzipien der schlanken Fertigung. Das Unternehmen holte sich Anregungen in der Schwerindustrie, „aber auch in klinisch reinen Werken der Autozulieferbetriebe“, sagt Schröder. Heute – nach Einführung einer patenten Instandhaltungsstrategie im Jahr 2004 und vielen weiteren Maßnahmen – fahren die Salzburger die Ernte ein: Der Betrieb ist – mit branchenbedingt eher rauen Arbeitsbedingungen an den Öfen und Maschinen – selber Exempel einer hocheffizienten Produktion geworden. Denn Produktionsoptimierern von außen fällt es immer schwerer, in Tenneck noch Prozesse zu finden, die aufzupäppeln wären. Firmen, von deren Hallenböden man essen könnte, stehen für intime Führungen durchs Eisenwerk Schlange. Und die gut eingespielten Prozesse der Tennecker scheinen – wie die nahe Festung Hohenwerfen und das gravitätisch thronende Kalkalpenmassiv – für die Ewigkeit gemacht: „Dafür sorgen jedes Jahr mehr als einhundert Teamsitzungen in der Gießerei“, lacht Schröder. Fortsetzung auf Seite 2: Eisenwerk Sulzau-Werfen - zwei sorgenvolle Jahre zum Auftakt

ESW-Vorstandsvorsitzender Rudolf Weinberger ist der Mann, der darüber entscheidet, ob für die Optimierungen im Hause Jahr für Jahr Mittel in nicht unbedeutender Höhe freigegeben werden (Umsatz 2010: 74,3 Millionen Euro). Aufmerksam folgt er den Worten seines quirligen Werksleiters – und legt Wert auf die Feststellung, dass der Optimierungskurs in der Anfangszeit sehr wohl mit Bauchweh verbunden war. In den ersten beiden Jahren produzierte der Betrieb nicht nachweisbar besser – „wir pulverten nur Geld hinein und traten auf der Stelle“, erzählt Weinberger. Dennoch gab es grünes Licht für weitere Schritte – was sich bezahlt machte: Heute hat der Betrieb die Prozessoptimierung „komplett verinnerlicht“, anerkennt Manfred Pfeiffer, Chef des Beratungsunternehmens Kaizen Institute Österreich. Kein Wunder, dass sich Firmen wie W&H Dentalwerk Bürmoos, die AMAG oder der Kunststoffhalbzeuge-Hersteller Senoplast schon einiges in der Gießerei abschauten. In die führt nun Technikleiter Frank Schröder. Hier, wo die bis zu 45 Tonnen schweren Walzen aus verschiedensten Eisen- und Stahllegierungen gegossen werden, erleben Besucher einen Großangriff auf die Sinne. Rot glühende Schmelze wird von Arbeitern bei etwa 1500 Grad Celsius in eine riesige rotierende Gussform – Fachleute nennen sie Kokille – gefüllt. Drehzahlen von 600 Umdrehungen pro Minute pressen die Schmelze dann an die Form, nach einer halben Stunde ist das flüssige Metall erstarrt. Einige Wochen später, nach dem Abkühlen und einer Wärmebehandlung in speziellen Öfen, werden die Walzen geschliffen und nachbearbeitet. Aus einiger Entfernung sieht der Gießprozess wie ein Traumgespinst aus – die rauchgeschwängerte Luft in der Halle tut dazu ihr Übriges. „Viel Rauch wird schon bald nicht mehr in der Luft hängen“, verrät Schröder. Ein Projekt zur Verfahrensoptimierung sei nämlich „auf gutem Wege“. Fortsetzung auf Seite 3: Eisenwerk Sulzau-Werfen - Ehrenamt Maschinenpatenschaft

Was in Tenneck Werksbesuchern – selbst branchenfremden Produktionsleuten – unter die Haut geht, ist diese Leichtigkeit der Salzburger, ihre Stärken weiterzuentwickeln. TPM (Total Productive Management) höher als Stufe 3 ist im Eisenwerk zurzeit kein Thema, obwohl die Japaner teilweise bis Stufe 7 gehen. Die Produktivität würde im Eisenwerk wegen noch nicht optimaler Maschinenverfügbarkeit drastisch sinken, wenn „jeder Maschinenbediener auch noch Ersatzteile wechseln müsste“, ist Schröder überzeugt. Und eine besenreine Fabrik betreiben, nur weil es Automobilisten vormachen? Geschenkt. „Wir wollten niemals eine Wattebällchenfabrik sein“, so Frank Schröder. Dies macht die Firma an einem Nebenschauplatz der Gießerei transparent. In der Fahrzeug-Sammelstelle sollte eine helle Hose zwar besser keine Bekanntschaft mit dem Hallenboden machen – „es geht nicht darum, einen Schönheitspreis zu gewinnen“, sagt Schröder. Dafür sind die hier abgestellten drei Fahrzeuge (ein Stapler, zwei Kehrfahrzeuge) in topgepflegtem Zustand – und alle Zufahrten frei und unverstellt. Nur Zufall? Mitnichten. Für die viel bewegten Gefährte wurden vor fünf Jahren Patenschaften eingeführt – nicht vergleichbar mit den reinen Geldbeschaffungsaktionen in Tierparks für Pandas oder anderes Getier. „Dort, wo sich bisher keiner für eine Maschine zuständig gefühlt hat, erledigt der Pate nun kleinere Reparaturen, treibt Ersatzteile auf und hält so die Verfügbarkeit des Geräts hoch“, erklärt Schröder. Das Ehrenamt sei ein voller Erfolg: Der Bereich arbeite nun „um 30 Prozent effizienter“, rechnet der Werkleiter vor. Wohl auch wegen des verschließbaren Kästchens, in dem ein wichtiges Utensil aufbewahrt wird: Die Mappe mit den „Problemlösungsstorys“. So wird hier etwa folgendes Problem präzise festgehalten: „Starke Verschmutzung beim Schlichteplatz, Quarzsand ist in Halle verteilt.“ Die rettende Lösung, fürs Team einsehbar und unmissverständlich formuliert: „Frühzeitiges Saugen nach dem Ziehen der Modelle“, rezitiert Schröder. Seine Karriere startete der Werkleiter mit Physikdiplom vor mehr als einem Jahrzehnt bei einem großen deutschen Armaturenhersteller. Im thailändischen Werk desselben stellte er ein komplettes Kennzahlensystem auf die Beine. Engpassmanagement findet Schröder seit jeher faszinierend. „Die Gießerei Werfen produziert in einem Riesentempo, manchmal ohne Rücksicht auf Verluste“, lacht er. Deshalb müsse er dem Gesamtfluss zuliebe mitunter „den Knebel anlegen“ – also bremsen. Fortsetzung auf Seite 4: Eisenwerk Sulzau-Werfen - KVP-Reigen

Gießereimitarbeiter Harald Balluch steht an seiner Schraubenbar. Cocktails darf man sich hier nicht erwarten. Balluch reinigt Schrauben, die an der Kokillenaußenseite zum Einsatz kommen, ölt sie anständig ein, schneidet Gewinde. Er ist ein Mitarbeiter, wie ihn sich wohl jedes produzierende Unternehmen wünscht – denn Balluch nimmt den KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) ernst. „Ich habe mir Gedanken gemacht, wie der Arbeitsplatz effizienter aussehen könnte“, erzählt der sympathische Mann. Dank eines pneumatischen Gewindeschneiders sei die Gefahr des Verkantens beim manuellen Gewindeschneiden nun gebannt. Und ein Magnet hält die Schraube nach dem Schneiden zum Schmieren in Position. Für eine Kiste mit zwölf Schrauben benötigt Balluch so nur mehr fünf Minuten – früher brauchte er nach eigener Aussage drei Mal so lang. Der Betrieb spart so an diesem Arbeitsplatz rund 5000 Euro pro Jahr ein. Auch jene Anlage, mit der ein Mitarbeiter ein paar Schritte weiter verhärtete Sandrückstände aus dem Inneren einer Gussform rüttelt, haben Eisenwerk-Mitarbeiter optimiert. Früher mussten hartnäckige Rückstände minutenlang per Hand aus der Form gestemmt werden. Nun behilft man sich mit einem ziemlich originellen Trick: Die Rüttelfläche wurde um einen Metalldorn erweitert, der wie ein mächtiger Zahn aus dem Boden ragt. Er bricht die Rückstände gewaltsam auf, sobald die Gussform auf der Rüttelplatte aufsetzt. Werkleiter Frank Schröder sieht dem Spektakel zufrieden zu. Er liebt sie, die frappierend simplen Lösungen. Auf seiner persönlichen Hitliste auch ganz oben: Werkzeugschränke für Bügellehren, die in ihrer eleganten Durchdachtheit auch den etwas freiheitsliebenderen Arbeiter zur Ordnung rufen. Oder die LED-Deckenbeleuchtung als Testlauf für ein besseres Arbeitsumfeld. Schröder: „Sieht hier doch gleich viel freundlicher aus.“ Fortsetzung auf Seite 5: Eisenwerk Sulzau-Werfen - Altgerät als heißte Aktie

Auch nicht von schlechten Eltern: Die Idee, die Abwärme des 8-Tonnen-Schmelzofens ins Fernwärmenetz einzuspeisen (Auskopplung 2011: 681.000 Kilowattstunden). Ähnliches plant man heuer auch für den 16-Tonner. Was Produktionsleiter auch nach Tenneck zieht: Die Nonchalance, mit der die schlanke Produktion des Hightech-Produkts erfolgt: So pfeift man sich nichts um die Optik einzelner Bearbeitungsmaschinen. Bestes Beispiel ist eine Schleifmaschine zur Walzenbearbeitung, Baujahr 1961. Die Maschine steht fast gänzlich unlackiert da, Abdeckungen – sofern nicht zur Sicherheit notwendig – fehlen. Ziemlich rustikal sieht das aus. Dafür sind alle Aggregate „leicht zu erreichen“, freut sich Schröder. Und: Die doch schon etwas betagte Maschine wurde im Vorjahr um eine halbe Million Euro zukunftsfit gemacht. Sie ist nun deutlich schneller gerüstet (minus 15 Minuten). Und die Hydraulik, Antriebe und Elektronik wurden erneuert – das ließ die Produktivität um mehr als 15 Prozent in die Höhe schnalzen. Ein weiteres Highlight: Die Steuerung ist nun kompatibel zu zwei anderen Maschinen. Mitarbeiter können so nun alle drei bedienen. Das gefiel schon einigen Produktionsleitern auf Kurzbesuch. Ob man so viel Aufmerksamkeit und Lob verkrafte? Es sei „ja eine schöne Ehrung“, wenn sich selbst Automobilisten zu Beifallsbekundungen fürs Werk hinreißen ließen, meint Schröder. Die schönere Erfahrung für den Mann: „Von anderen zu lernen.“ Eisenwerk Sulzen-Werfen R. & E. Weinberger AG, TenneckMitarbeiter: 260Umsatz 2010: 74,29 Millionen Euro (2009: 58,69)EGT 2010: 29,41 Millionen Euro (2009: 12,18)Exportquote: 98 ProzentInvestitionen in Produktivität pro Jahr: rund 2,5 Millionen EuroInvestitionen in Ideenmanagement 2010: 60.000 Euro (direkter wirtschaftlicher Nutzen: 400.000 Euro)